In Schwarz-Weiß: drei fossile Blüten aus der frühen Kreidezeit (Glandulocalyx, Normanthus, Platydiscus). In Farbe: vier rezente Gattungen (Cymbidium, Primula, Hyacinthoides und Passiflora)
Julia Asenbaum
Julia Asenbaum
Botanik

Höhere Blütenvielfalt vor 140 Mio. Jahren

Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Wien hat Daten zu fossilen und heutigen Blüten verglichen und festgestellt: Vor etwa 140 Millionen Jahren war die Vielfalt der Blüten deutlich höher als heute – auch wenn es damals in Summe weniger Arten gab.

Mit mindestens 300.000 Arten bilden Blütenpflanzen – Angiospermen – die größte Gruppe der heute lebenden Pflanzen. Für ihre Vergleichsstudie mit fossilen Blüten sichtete das Team um die Botanikerin Marion Chartier von der Universität Wien und Andrea López-Martínez von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko alle in der Literatur verfügbaren Beschreibungen zu bisher gefundenen fossilen Angiospermen, prinzipiell sehr rare Untersuchungsobjekte, und stellten einen umfassenden Datensatz zusammen.

Der Vergleich von fossilen und rezent vorkommenden Blütentypen bei Angiospermen im Fachjournal „New Phytologist“ zeigt, dass es zu Beginn der Evolution der Angiospermen, vor etwa 140 Mio. Jahren in der frühen Kreidezeit, eine höhere morphologische Vielfalt der Blüten gab als heute.

Die Beschreibungen beruhen, so Chartier, mitunter auf sehr gut erhaltenen verkohlten 3-D-Pflanzenresten, die aus der Kreidezeit, im Sediment eingebettet, erhalten blieben und die z. B. über hochauflösende Röntgencomputertomografie einen durchaus detaillierten Einblick in damalige Blütenformen, die Anzahl von Blüten- und Kronblättern, die Anordnung von Frucht- und Staubblättern als Fortpflanzungsorgane oder andere Charakteristika liefern.

„Pflanzenarten, die es heute nicht mehr gibt“

Das Team nahm 30 Blütenmerkmale bei 1.201 lebenden und 121 fossilen Angiospermen genauer unter die Lupe, um die Blütenvielfalt zu messen und die Muster der Blütenevolution über geologische Zeiträume und über die verschiedenen Abstammungslinien hinweg zu untersuchen. „Die 121 fossilen Angiosperme spiegeln das wider, was wir finden konnten. Die untersuchten fossilen Blüten gehen auf sehr unterschiedliche Fundorte zurück und zeigen sehr unterschiedliche Charakteristika. Es handelt sich um Pflanzenarten, die es heute nicht mehr gibt. Die Verbindung zwischen den damaligen Blüten und heutigen Blütenpflanzen basiert auf wissenschaftlichen Einschätzungen“, so Chartier.

Über die vier untersuchten Zeitperioden zeigte sich jedenfalls: Die morphologische Blütenvielfalt war vor 145 bis 100 Mio. Jahren am höchsten und nahm dann über die späte Kreidezeit (vor etwa 100 bis 66 Mio. Jahren) bis ins Paläogen (vor 66 bis etwa 23 Mio. Jahren) ab; sie liegt heute etwa zwischen den ermittelten Werten für die späte Kreidezeit und das Paläogen.

Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass sich die Blüten der frühen Kreidezeit im Durchschnitt stärker voneinander unterschieden als die heutigen Blüten, obwohl es heute viel mehr Arten von Blütenpflanzen auf der Erde gibt. Nur eine kleine Anzahl von Blüten aus der frühen Kreidezeit sei bekannt, aber diese zeige eine größere Variabilität auf als die lebenden und für die Studie untersuchten Arten, so das Forschungsteam.

Wenig Konkurrenzdruck

Als mögliche Erklärung gehen sie davon aus, dass die Organisation der Blüten zu Beginn der Entwicklung der Gruppe flexibler war und sich neue Blütentypen leichter entwickeln konnten. Diese Flexibilität könne es den Blütenpflanzen ermöglicht haben, „sich innerhalb weniger Millionen Jahre nach ihrer Entstehung an die verschiedenen Tiere anzupassen, die ihre Blüten bestäubten und ihre Früchte verbreiteten“, so Koautorin Maria von Balthazar von der Uni Wien.

„Wir vermuten, dass sich am Anfang die Pflanzen evolutionär sehr schnell verändert haben. Man kann annehmen, dass es damals für diese wenigen Arten wenig Konkurrenzdruck gab – sie konnten relativ einfach neue Standorte erschließen und mit Insekten interagieren. Auch die damalige Anordnung der Pflanzenorgane spricht dafür, dass sich die Pflanzenblüten vielfältiger entwickeln konnten“, so Chartier. Es bleibe aber ungewiss, heißt es in der Studie, ob die ursprüngliche Entwicklung der Blütenvielfalt mit der Ausbeutung von ökologischen Möglichkeiten, beispielsweise durch die Interaktion mit Bestäubern, verbunden war.

Erfolgreiche Blütentypen entstanden mehrmals

Als ein weiteres Ergebnis der Studie verweist Koautor Jürg Schönenberger, ebenfalls von der Uni Wien, darauf, dass „die morphologische Vielfalt einer Untersuchungsgruppe nicht unbedingt mit dem Artenreichtum derselben Gruppe korreliert“. Tatsächlich sei es einigen der artenreichsten Gruppen von Blütenpflanzen wie den Orchideen gelungen, Tausende von Arten hervorzubringen und dabei die gleiche Blütenorganisation beizubehalten. „Hier variieren auch andere Merkmale wie z. B. die Blütenfarbe“, so Chartier, „die etwa mit verschiedensten Strategien zur Bestäubung zusammenhängen.“

Es hat sich zudem gezeigt, dass bestimmte Kombinationen von Merkmalen theoretisch möglich waren, aber offenbar nie von der Evolution hervorgebracht wurden. Gleichzeitig sind einige besonders erfolgreiche Blütentypen mehrmals unabhängig voneinander entstanden.