Labor: Forscherin mit Zellen in der Petrischale
nikolya – stock.adobe.com
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Urzelle

Wie man künstliches Leben erzeugt

Die deutsche Biophysikerin Petra Schwille will synthetische Zellen im Labor herstellen – und damit die Antwort auf zwei Fragen finden, die so alt sind wie die Wissenschaft selbst: Was ist Leben? Und wie ist es entstanden?

„Mitte der 30er Jahre, da interessierten sich die theoretischen Physiker für das Rätsel des Lebens. Schließlich ist es eine merkwürdige Sache. Menschen erzeugen Menschen, Katzen erzeugen Katzen, und Mais erzeugt Mais. Das scheint nicht in der Physik und Chemie drin zu sein.“ Der Satz stammt von einem, der es wissen muss: von Max Delbrück, studierter Physiker, später Virologe, der mit seinen Versuchen die Molekularbiologie mitbegründete und dafür den Nobelpreis bekam.

Die Liste der Physiker, die sich auf biologisches Terrain vorwagten, ließe sich um illustre Namen erweitern – man denke etwa an Erwin Schrödingers Vermutung, beim Gen handle es sich um einen „aperiodischen Kristall“, dem „eine Art Code“ eingeschrieben sei – oder an Francis Crick, der Schrödinger ein paar Jahre später mit der Aufklärung der DNA-Doppelhelix bestätigte.

Fortschreiben lässt sich die Liste der Grenzgänge bis heute. Die deutsche Biophysikerin Petra Schwille hat jüngst einen grundsätzlichen Blick auf die Biologie geworfen, so wie vor ihr Schrödinger und Delbrück. In Schwilles Fall bedeutet das: Sie will herausfinden, was Leben ist.

Petra Schwille bei einem Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
ÖAW/Daniel Hinterramskogler
Petra Schwille an der Akademie der Wissenschaften in Wien, wo sie Mitte Dezember einen Vortrag über synthetische Zellen hielt

Ist das nicht längst beantwortet? Kommt darauf an. In einem schwachen Sinne ja. Eigenschaften, die für Leben typisch sind, lassen sich natürlich formulieren. Stoffwechsel, Vererbung, Vermehrung etwa. Oder auch Reizbarkeit, Wachstum, Evolution. Nur: Welche davon sind unverzichtbar für Leben? Genau das, sagt Petra Schwille, wisse man eben nicht. „Wir erkennen Leben, wenn wir es sehen. Aber wir wissen nicht, wie wir es definieren.“

Das minimale Bakterium

Definieren heißt, eine Grenze errichten zwischen notwendigen und nicht notwendigen Eigenschaften, zwischen dem Noch-nicht- und dem Gerade-schon-Lebendigen. Um das herauszufinden, hat die Forscherin vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried einen experimentellen Ansatz gewählt. Sie will im Labor synthetische Zellen herstellen. Zellen mit der schlichtesten Ausstattung, die irgendwie denkbar ist.

Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann sich der Sache „von oben“ nähern oder „von unten“. Für ersteres hat sich etwa Craig Venter entschieden. Der US-amerikanische Genetiker und Biotechunternehmer hat in den letzten Jahren das ohnehin schon kleine Erbgut eines Bakteriums schrittweise beschnitten, sodass am Ende nur mehr Gene übrig waren (es sind je nach Ansatz zwischen 450 und 500), die für das Überleben absolut notwendig sind. „Mycoplasma laboratorium“ heißt dieser Minimalorganismus aus dem Reagenzglas.

Mocoplasma-Zellen unter dem Elektronenmikroskop
Tom Deerinck & Mark Ellisman, University of California at San Diego
Mycoplasma-Zellen in 15.000-facher Vergrößerung

Was „in gewisser Hinsicht geschummelt ist“, sagt Schwille. Denn natürlich handle es sich nicht um minimales Leben per se, sondern um eine verschlankte Version bereits existierenden Lebens. Schwille indes geht von den elementaren Bausteinen aus. Sie will Leben in seiner einfachsten Form grundsätzlich neu kreieren. Ihre Forschungen konzentrieren sich auf Nanomaschinen, die Ordnung im globalen Strom der Unordnung herstellen können.

Ordnungsliebende Nanomaschinen

„Negative Entropie“ nannte das Erwin Schrödinger anno 1944 in seinem Buch „Was ist Leben?“ – in Anlehnung an den zweiten Hauptsatz der Wärmelehre, der in abgeschlossenen Systemen eigentlich eine Zunahme der Unordnung („Entropie“) fordert. Lebewesen widersprechen diesem Naturgesetz nur scheinbar. Sie sind offene Systeme, durchflossen von Energie, und können sich durch diesen Fluss ihre innere Ordnung „erkaufen“.

Das trifft auf zwei Nanomaschinen zu, die Petra Schwille mit ihrem Team vor 15 Jahren entdeckt hat. Diese beiden Proteine erzeugen nicht nur Ordnung im globalen Strom der Unordnung, sie können auch Stoffe von A nach B transportieren und Zellen zur Teilung anregen. Und: Man kann diese Proteine offenbar auch durch einfachere Moleküle ersetzen, ohne dass sich an den grundsätzlichen Eigenschaften etwas ändern würde. Womit Schwille einen Mechanismus entdeckt hat, der auch bei der Entstehung des Lebens vor etwa vier Milliarden Jahren eine Rolle gespielt haben könnte.

Zur Forschung in diesem Grenzbereich kam die studierte Physikerin über Umwege. Einen Namen hatte sich Schwille ursprünglich in der Entwicklung biophysikalischer Methoden gemacht, bei einer Variante der Fluoreszenz-Spektroskopie, mit der man Moleküle in der lebenden Zelle in Aktion beobachten kann – wofür sie 2010 auch den hochdotierten Leibniz-Preis bekam.

„Als ich auf diesem Gebiet alles erreicht hatte“, erzählt Schwille im Ö1-Interview, „machte mir die reine Methodenentwicklung keinen Spaß mehr. Ich wollte auch einmal eine Frage beantworten. Und da kam mir in den Sinn: Wie einfach kann Leben eigentlich sein?“

Welches Molekül kam zuerst?

Das Problem ist vielschichtig. Denn früher oder später führen die Experimente im Labor zum Vergleich mit jenen Vorgängen, die sich in der Ursuppe auf der noch jungen Erde zugetragen haben, letztlich zur Frage: Ist damals ähnliches passiert wie nun im Reagenzglas?

Kpnstlerische Darstellung eines RNA-Moleküls
Dr_Microbe – stock.adobe.com
Ursprung des Lebens: die „RNA-Welt“ ist ein mögliches Szenario – aber nicht das einzige

Theoretische Modelle zur Entstehung des Lebens gibt es viele, manche gehen davon aus, dass RNA-Genen der erste und entscheidende Schritt hin zur belebten Materie gelang, andere schreiben diese Rolle Membranmolekülen zu und wieder andere Proteinen. Vielleicht ist die Reihenfolge gar nicht so entscheidend. Denn alle drei Molekülarten sind – sofern auf sich alleine gestellt – in ihrer Entwicklung beschränkt. Weshalb man davon ausgeht, dass Kooperation schon ganz früh ein wesentliches Element des Lebens war. Wenn die Gene den ersten Schritt unternommen haben, dann waren sie wohl keine egoistischen Gene.

Nächstes Ziel: Zellteilung

Petra Schwille ist in dieser Frage „agnostisch“. Für sie ist die Fähigkeit, spontane Ordnung zu erzeugen, eine unverzichtbare Eigenschaft von Leben. Auch eine hinreichende? Das natürlich nicht, sagt die Biophysikerin, Selbstorganisation beobachte man auch in der unbelebten Natur. Ein minimales Lebewesen müsse zumindest noch zwei Eigenschaften aufweisen, nämlich Vererbung und einen Stoffwechsel, damit man es tatsächlich als lebendig bezeichnen könne. An genau solchen Systemen forschen derzeit Arbeitsgruppen aus Europa, Amerika und Asien.

Schwilles nächstes Etappenziel ist die Herstellung von Urzellen mit der Fähigkeit zur Teilung, das werde „in den nächsten fünf Jahren gelingen“, hofft sie. Und dann sei ihr Team auch so weit, die Nanomaschinen mit Stoffwechsel und Erbmaterial auszustatten, also die Forschungsansätze verschiedener Arbeitsgruppen zu einem neuen Ganzen zusammenzusetzen. Dieses neue Ganze könnte dann tatsächlich die lang gesuchte Minimalzelle aus dem Reagenzglas sein.

Wie lange das noch dauert? Das kann natürlich niemand vorhersagen. Zu hoffen bleibt, dass die Forschung nach einer Phase des Suchens nun auf eine Wende zusteuert. So wie damals in den 1940ern, als Erwin Schrödinger vom „aperiodischen Kristall“ sprach und ein paar Jahre später tatsächlich so etwas gefunden wurde.

„Viele glauben ja, dass die Entstehung des Lebens ein großer Zufall war“, sagt Petra Schwille. „Da bin ich anderer Ansicht. Ich glaube, die Bedingungen auf der jungen Erde haben Leben mit Notwendigkeit hervorgebracht. Genau deshalb möchte ich im Labor in der Zeit zurückreisen.“