Ein Wolf steht im Wald
Getty Images/iStockphoto/Andreas Neßlinger
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Ökosystem

Mehr Wölfe würden Wälder gesünder halten

Wölfe sind laut einer aktuellen Umfrage bei der europäischen Landbevölkerung größtenteils erwünscht und verbessern den Zustand der Wälder. Hierzulande werden sie infolge „rechtswidriger Bundesländer-Verordnungen“ verfolgt, sagt Biologe Kurt Kotrschal. Man solle sie stabile Rudel bilden lassen, anstatt sie als Problemtiere zu verunglimpfen.

Nicht nur im Yellowstone Nationalpark (USA), sondern auch für Mitteleuropa sei nachgewiesen, dass der Wolf dem Wald gut tut, sagt Kurt Kotrschal. Er ist Professor im Ruhestand an der Universität Wien und in der Arbeitsgruppe Wildtiere des „Forums Wissenschaft und Umwelt“ aktiv. In Sachsen-Anhalt habe man auf 125 Quadratkilometern Fläche von 2008 bis 2021 untersucht, wie sich die Anwesenheit der Wölfe auf die Natur auswirkt.

„Es zeigte sich, dass Wölfe Wilddichten kontrollieren können“, erklärte der ehemalige langjährige Leiter der Konrad Lorenz Forschungsstelle für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Uni Wien in Grünau: „Damit verringert sich der Verbiss an vielen Arten von Baumkeimlingen erheblich.“ Das spare der Forstwirtschaft Geld und der Wald wird verjüngt. Dadurch wird er Klimawandel-fitter und beherbergt mehr unterschiedliche Arten von Lebewesen – die Biodiversität steige. „Wölfe würden uns helfen, den günstigen Erhaltungszustand der Wälder zu erreichen, wofür wir uns mit der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU verpflichtet haben“, so der Biologe.

Zu wenige Wölfe

„Im Moment haben wir in Österreich nicht mehr als 50 Wölfe“, berichtet Kotrschal. Für einen guten Erhaltungszustand der Wälder bräuchte man mindestens zehn Mal so viel. Wenn die Jagdverbände hierzulande die sachlich völlig verfehlte Abschusspolitik der Bundesländer mittragen oder sogar einfordern, würden sie das Gegenteil eigener Erzählung vom angewandten Naturschutz praktizieren, sagte er.

„Heuer erließen die Landesregierungen etwa von Kärnten, Tirol, Salzburg, Ober- und Niederösterreich Verordnungen, die den Abschuss von zweifelhaft definierten ‚Problemwölfen‘ auf Verdacht erlauben“, so Kotrschal. Damit verletzten sie seiner Meinung nach die bindende Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie. Ebenso rechtswidrig wäre, dass diese Verordnungen „den Zugang der Zivilgesellschaft zum Rechtsweg wohl bewusst ausschließen und damit gegen die Aarhus-Konvention verstoßen“, erklärte er. Im Rahmen dieser Verordnungen wurden bis Oktober 2023 zwölf Wölfe abgeschossen. „Die Zahl der gewilderten Wölfe dürfte noch wesentlich höher liegen“, meinte der Biologe: „Man weiß aus Untersuchungen, dass ein ‚legales Ventil‘ illegalen Abschuss nicht eindämmt, sondern geradezu fördert.“

„Besonders skandalös ist, dass die Verordnungen mancher Bundesländer dem Schützen ein Aneignungsrecht einräumen“, berichtet Kotrschal: „Damit wird die vorgebliche Managementmaßnahme zur Gratis-Trophäenjagd pervertiert.“ Die Schützen sparten sich somit tausende Euro, die sie im Ausland für Wolfsabschüsse berappen müssten.

Herdenschutz statt Abschüsse

Die Bevölkerung ländlicher Regionen würde dem Wolf und anderen großen Beutegreifern wie Luchs und Bär durchaus eine Daseinsberechtigung zugestehen und strengen Schutz befürworten, wie eine aktuelle Befragung der „Eurogroup for Animals“ in zehn Ländern (inklusive Deutschland, exklusive Österreich) zutage brachte. „Trotz all dem setzt man in Österreich vor allem auf Abschuss“, so der Forscher. Dass die Schafe, Ziegen und Rinder dadurch geschützt werden, sei ein Mythos. Daten aus der Slowakei zeigen laut Wissenschaftlern, dass Wolfsabschüsse keineswegs das Prädationsrisiko (Risiko von Fressfeinden angegriffen zu werden) ungeschützter Weidetiere senken. „Das bestätigt frühere Ergebnisse aus den USA und Finnland“, erklärte Kotrschal.

Ein probates Mittel gegen Risse wäre hingegen Herdenschutz. „Dazu müsste man oft nur die Elektrozäune aufrüsten, damit sie nicht nur die Schafe drinnen, sondern auch die Wölfe draußen halten“, sagte er. Die Rudel merkten sich sehr wohl, dass man sich die Schnauze elektrisiert, wenn man in Richtung der Schafe geht, und ließen dann von ihnen ab. „Das geben die Wölfe auch an ihre Nachkommen weiter“, erklärte der Verhaltensforscher: Sie wenden sich dann vermehrt den Wildtieren zu, und zwar hier vor allem den kranken, alten und schwachen. „Sie halten damit die Wildbestände viel gesünder als menschliche Jäger“, so Kotrschal.

Rudelbildung zulassen

Die meisten Wolfsrisse in Österreich geschehen „im Tal, in Rufnähe der Gehöfte, wo es nicht zu gebirgig für Elektrozäune ist – und nicht auf der entlegenen Alm“, berichtet er. Dort wiederum könnten Herdenschutzhunde „Meister Isegrim“ vor den Schafen und Ziegen fernhalten. „Dennoch blockiert eine der Regierungsparteien seit geraumer Zeit jene Novelle des Tierschutzgesetzes, die für den rechtskonformen Einsatz von Herdenschutzhunden notwendig wäre“, schrieb Kotrschal in einem Positionspapier des Forums Wissenschaft und Umwelt. Er mutmaßt, dies diene dafür, weiterhin argumentieren zu können, dass Herdenschutz rechtlich gar nicht möglich sei und man daher schießen müsse.

Statt zum Jagdgewehr zu greifen, sollte man die lokale Rudelbildung der Tiere zulassen. „Bestehende Rudel halten die Wolfsdichten konstant, indem sie etwa zuwandernde Jungwölfe abhalten“, sagte der Biologe. Ein völliges Tabu ist ein Abschuss für ihn aber nicht: „Wenn Wölfe wirklich gelernt haben, Herdenschutz zu überwinden, dann muss man natürlich darüber reden, was man tut.“ Dann wäre dies auch von der FFH-Richtlinie gedeckt. Rückendeckung für Jäger sowie Naturschutz würde laut Kotrschal auch ein bundeseinheitliches Jagdgesetz geben, das in Richtung „Ökosystemmanagement“ ausgerichtet sein sollte. Für ein Volksbegehren dazu werden derzeit Unterstützungserklärungen gesammelt.