Rentier in Nahaufnahme
Leo Rescia
Leo Rescia
Ruhephase

Rentiere „schlafen“ beim Fressen

Bei Wiederkäuern nimmt die Nahrungsaufnahme ziemlich viel Zeit in Anspruch. Laut einer Studie nutzen Rentiere diese aber optimal: Während sie kauen, befindet sich ihr Gehirn in einem schlafähnlichen Zustand. So kommen sie auch in den hellen Sommermonaten zu ausreichend Schlaf und können Reserven für den langen und kalten Winter anlegen.

Die Tage in der Arktis sind im Sommer sehr hell und im Winter sehr finster, nur in den Übergangszeiten gibt es einen ähnlichen Tagesrhythmus wie in unseren Breiten. Und nur in dieser Phase kann man erkennen, dass sich auch Rentiere am Lichtwechsel orientieren. Wenn es hell ist, sind die Tiere für gewöhnlich aktiver als im Dunklen, schreiben die Forscher und Forscherinnen um Melanie Furrer von der Universität Zürich. Ob sich diese saisonalen Unterschiede auch auf den Schlaf der Tiere auswirken, sei allerdings unklar.

Für die soeben im Fachmagazin „Current Biology“ erschienene Studie hat das Team nun Versuche mit weiblichen Eurasischen Tundrarentieren im norwegischem Tromsø durchgeführt. Die Experimente fanden in einem geschlossenen Raum unter kontrollierten Lichtbedingungen und mit ausreichend Futter statt. Nicht-invasive Gehirnstrommessungen dokumentierten das Schlafverhalten.

Kein saisonaler Schlafrhythmus

Es zeigte sich, dass die Rentiere bei allen Lichtverhältnissen – also in allen Jahreszeiten – ungefähr gleich viel schlafen, obwohl sie deutlich aktiver sind, wenn es hell ist. Das sei im Widerspruch zu vielen anderen Arten, deren Schlaf saisonal stark variiert. Im Durchschnitt verbrachten die Tiere 5,4 Stunden im Non-REM-Schlaf, 0,9 Stunden im REM-Schlaf und 2,9 Stunden beim Wiederkäuen.

Rentierherde in Tromsoe
Current Biology/Furrer et al.
Norwegische Rentierherde

„Da sie im Sommer und Winter gleich viel schlafen, müssen sie andere Strategien haben, die die erhöhte Aktivität im Sommer ausgleichen“, so die Schlafforscherin in einer Aussendung. Eine Möglichkeit sei, dass sie sich beim Wiederkäuen ausruhen, wie das etwa Schafe, Ziegen und Rinder tun. Tatsächlich glichen die Gehirnwellen während dem Kauvorgang jenen in der Schlafphase des Non-REM-Schlafs.

Schlafähnlicher Zustand

Auch äußerlich sind sich die Schlaf- und Kauphasen sehr ähnlich, d. h. entweder hatten es sich die Tiere auf dem Boden bequem gemacht oder sie standen relativ regungslos im Raum. Sie ließen sich auch weniger von der Umgebung aus der Ruhe bringen. Wenn sich etwa eine Artgenossin bewegte, reagierten sie deutlich seltener, als wenn sie richtig wach waren.

Im nächsten Schritt testeten die Forscher und Forscherinnen, ob Wiederkäuen das Schlafbedürfnis der Rentiere dämpft, nachdem man sie künstlich zwei Stunden wach gehalten hatte. Tatsächlich zeigte sich bei Schlafentzug im Gehirn ein erhöhter Schlafdruck, der sich durch den Kauvorgang allerdings wieder abschwächen ließ. „Das könnte für das Rentier sehr nützlich sein. Wenn sie keinen Schlaf nachholen müssen, haben sie mehr Zeit zum Fressen“, so Furrer. Besonders wichtig sei das im Sommer, wo die Tiere Fettreserven für den langen und kalten Winter anlegen müssen.