Stammbaum

Damhirsch aus Carnuntum kam vom Balkan

Der Verbreitung des Damhirsches über 10.000 Jahre hinweg hat sich ein internationales Forschungsteam mit österreichischer Beteiligung in einer Studie gewidmet. Dabei zeigte sich, dass ein im 3. Jahrhundert in Carnuntum verendetes Tier vom Balkan kam und nicht – wie bisher vermutet – aus Anatolien.

Für den historischen Stammbaum des Europäischen- (Dama dama) und Mesopotamischen Damhirsches (Dama mesopotamica) hat das Forschungsteam um Karis Baker und Naomi Sykes von den Universitäten Durham und Exeter in Großbritannien, dem auch Günther Karl Kunst von der Universität Wien angehörte, mehrere Hundert Erbgutspuren der Tiere und archäologische Befunde zusammengetragen und analysiert. Einer der älteren Funde in Mitteleuropa stammt aus der einstigen Militärlager Carnuntum östlich von Wien und datiert aus der Römerzeit.

Wo sich das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Tiere befand, ist bis heute nicht vollständig geklärt, heißt es in der Arbeit. Die neuen Analysen legen nun aber nahe, dass die europäische Variante das Maximum der letzten Eiszeit am Balkan und in Anatolien überdauern konnte. Aus diesen beiden getrennten Populationen rekrutierten sich daraufhin nahezu alle Tiere, die in andere Teile Europas gelangten.

Das taten sie unter kräftiger Mithilfe des Menschen, die die anpassungsfähigen Tiere auch nach Nordamerika und in die Karibik brachten. Dort brachte es der Europäische Damhirsch sogar zum „Nationaltier“ von Antigua und Barbuda, wo er im 18. Jahrhundert ankam.

Comeback erst im Mittelalter

Lange davor – in der Zeit von 8.000 bis 1.200 vor Christus – residierte die Art aber noch im südlichen Balkan und in Klein- und Vorderasien. In der Eisen- und Römerzeit wurden dann Vertreter der Balkan- und nicht der Anatolien-Population über erstaunlich weite Strecken hinweg auf die östlichen Ägäisinseln verteilt, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachjournal „PNAS“. Vermutlich auch aus kultischen Gründen – die Tiere standen in der Mythologie in Verbindung zu den griechisch-römischen Göttinnen Artemis und Diana – wurden sie zwischen 1.200 vor und rund 500 nach Christus dann in weiten Teilen Europas etabliert.

Während man auf den Balearen Vertreter des Mesopotamischen Damhirsches aus jener Zeit nachwies, sind jene Exemplare, die nach Mittel-, Nord- und Westeuropa gebracht wurden, auf die Balkan-Linie zurückzuführen. So auch das Tier aus Carnuntum.

Danach starb die Art in weiten Teilen des Kontinents wieder aus. Im Mittelalter gaben die Tiere jedoch ihr Comeback. Die dann angesiedelten Damhirsche stammten nun größtenteils aus der anatolischen Linie. Das gilt auch für jene Europäischen Damhirsche, die später im Zuge der Kolonialisierung auch nach Amerika gelangten, wo sie teils als invasive Art gelten. Weniger gut als seinem europäischem Verwandten mit heute weiten Verbreitungsgebieten geht es den Mesopotamien-Damhirschen: Sie gelten als stark gefährdet.