Frau, Stopp, Gewalt, Feminismus
fizkes – stock.adobe.com
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Spurensicherung

Wie Gewaltambulanzen Täter überführen

Vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt an Frauen in Österreich steigt die Notwendigkeit, Beweismittel für Gerichtsprozesse zu sichern. Derzeit ist das nur an der Gewaltambulanz Graz möglich – in diesem Jahr sollen weitere Einrichtungen folgen. Einen historischen Fall eines Gerichtsprozesses um sexualisierte Gewalt beleuchtet indes „Universum History“ in einer neuen Doku.

Sieben Femizide und neun Fälle schwerer Gewalt an Frauen gab es in diesem Jahr bereits, so die jüngste Statistik der Autonomen Frauenhäuser Österreichs (AFÖ) auf der Basis von Medienberichten. 2023 wurden 28 Frauen ermordet, 27 davon waren Femizide (= Gewalt mit Bezug zur Privatsphäre der Frauen), es gab 51 Mordversuche bzw. Fälle schwerer Gewalt.

Klinisch-forensische Untersuchungen zur Sicherung von Beweismitteln vor Gericht werden derzeit nur an der Gewaltambulanz des Diagnostik- & Forschungsinstituts für Gerichtliche Medizin der MedUni Graz durchgeführt. Diese betreute im Vorjahr 150 Gewaltbetroffene, die überwiegende Mehrheit davon Frauen, ein Sechstel Männer.

Häufigstes Problem: Häusliche Gewalt

Das sei eine deutliche Steigerung gegenüber den Vorjahren, sagt Juliane Glas, Fachärztin für Gerichtsmedizin und Bereichsleiterin der Klinischen Gerichtsmedizin des D&F Instituts für Gerichtliche Medizin der MedUni Graz. Die hohe Dunkelziffer macht den Bedarf an niederschwelligen Einrichtungen deutlich.

Es ist eine niederschwellige Anlaufstelle für Gewaltbetroffene, die hier ihre Verletzungsbefunde gerichtsverwertbar dokumentieren lassen können. Die gesicherten Befunde und Spuren werden über mehrere Monate bis Jahre aufbewahrt und können im Auftrag der Ermittlungsbehörden einer gerichtsmedizinischen Auswertung zugeführt werden.

Ziel ist es, die Verurteilungsrate der Gewalttäter zu erhöhen. Damit dient die Einrichtung dem Schutz der Betroffenen vor weiteren, unter Umständen folgeschweren Übergriffen. Die meisten Untersuchungen an der Gewaltambulanz Graz finden im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt statt, gefolgt vom Verdacht auf sexualisierte Gewalt. Auch Kinder mit dem Verdacht auf Kindesmisshandlung oder -missbrauch werden hier untersucht.

Schamgefühlen mit Empathie begegnen

Nach einem telefonischen Erstkontakt wird ein Termin für eine Untersuchung oder eine sofortige Vorstellung vereinbart, schildert Glas das Prozedere. Sexualisierte Gewalt ist neben körperlichen Schmerzen mit großer Scham für die Betroffenen verbunden, sagt Glas. Diesem Schamgefühl versuchen die Ärztinnen und Ärzte, die auch psychologisch geschult sind, empathisch, mit viel Verständnis und ohne Wertung, zu begegnen, und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Glas schildert den Ablauf einer gerichtsmedizinischen körperlichen Untersuchung: Diese dauert in der Regel zwischen einer und drei Stunden, und umfasst eine körperliche Untersuchung mit standardisierter Fotodokumentation von Verletzungen und eine Spurensicherung. Zu Beginn steht meist ein ausführliches Aufklärungs- und Anamnesegespräch. Falls notwendig, werden weiterführende Untersuchungen und/oder Fachärztinnen und -ärzte anderer Disziplinen (HNO nach Gewalt am Hals; Gynäkologie, Urologie, Chirurgie etc.) eingeleitet.

Geschütztes, sicheres Umfeld

Die körperliche Untersuchung findet schrittweise von Kopf bis Fuß statt, führt Glas aus, dabei werden (Verletzungs-)Befunde gesucht und mit Maßstab fotodokumentiert. Das schrittweise Vorgehen, das sich am Tempo der Betroffenen orientiert, sei besonders wichtig. Dabei werde darauf geachtet, dass die Gewaltbetroffenen nie vollständig entkleidet sind und neuerlich Scham empfinden müssten.

Da Verletzungen häufig mit Schmerzen verbunden sind, werde hier besonders behutsam und unter Schonung der schmerzhaften Körperstellen vorgegangen, so die Fachbereichsleiterin.

Notfallnummern bei Gewalterfahrungen

Polizei: 133 oder 112
SMS Polizei: 0800 | 133 133
(auch Notruf für Gehörlose)
Frauenhelpline: 0800 | 222 555
Gewaltschutzzentren in ganz Österreich: 0800-700-217
24h-Frauennotruf in Wien, Tel.: +43 1 71 71 9

Prinzip Freiwilligkeit

Bei der Untersuchung finde nichts gegen den Willen der Betroffenen oder auf Zwang statt, betont Glas, keinesfalls dürften Schmerzen entstehen. Bei Hinweisen auf Verabreichung von Drogen, Medikamenten oder Alkohol im Zusammenhang mit der Gewalttat, würden Blut- und Urinproben für eventuelle forensisch-toxikologische Untersuchungen entnommen, bei sexualisierter Gewalt u. a. Proben für klinische Untersuchungen auf HIV, Hepatitis oder Schwangerschaft.

Eventuelle (DNA-)Spuren auf der Haut und/oder im Genitalbereich werden mit speziellen Abstrichtupfern gesichert. Wenn möglich, ergänzt Glas, werden auch Kleidungsstücke, Kondome, Tampons, Slipeinlagen etc., die DNA-Spuren enthalten könnten, in Verwahrung genommen.

Bundesweiter Ausbau angekündigt

Weitere Gewaltambulanzen sollen in diesem Jahr bundesweit folgen. Vor dem Hintergrund der ungebrochen hohen Gewalt an Frauen in Österreich kündigte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) bereits 2022 eine flächendeckende Einrichtung an. Laut aktueller Auskunft aus dem Justizministerium wird ressortübergreifend an der österreichweiten Einrichtung von Gewaltambulanzen gearbeitet.

Bis Mitte des Jahres sollen in Ost- und Südösterreich entsprechende Pilotprojekte eingerichtet werden, und Betroffenen als niedrigschwellige Anlaufstellen rund um die Uhr offenstehen. Für Westösterreich gebe es Gespräche mit den jeweiligen Gerichtsmedizinischen Instituten an den MedUnis Innsbruck und Salzburg.

Die Abdeckung ländlicher Gebiete soll durch mobile Verfügbarkeit der Gewaltambulanzen erreicht werden, heißt es aus dem Justizministerium. Geplant ist auch, die bestehende Gewaltambulanz des Diagnostik- und Forschungsinstitutes für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Graz zu einer rund um die Uhr erreichbaren Einrichtung für den südösterreichischen Raum auszubauen.

ORF-Sendungshinweis

„Universum History“ widmet dem historischen Fall am Frauentag dem 8. März 2024, 22.25 Uhr ORF 2, die Spieldoku „MeToo im Barock – der Fall Artemisia“.

Der Fall Artemisia Gentileschi

Die flächendeckende Einrichtung von Gewaltambulanzen in Österreich wird ein Meilenstein zur klinisch-forensischen Untersuchung und damit im Kampf gegen Gewalt an Frauen sein. Wie schwierig es für Frauen in der Vergangenheit war, ihnen angetane Gewalt vor Gericht zu beweisen, zeigt der historische Fall Artemisia Gentileschi.

Die Künstlerin wird 1611 in ihrem Atelier vom 15 Jahre älteren Malerkollegen ihres Vaters vergewaltigt. Der Fall kommt vor Gericht. Da der Täter leugnet, muss Gentileschi ihre Anschuldigungen vor Gericht unter Folter wiederholen, und sich einer entwürdigenden gynäkologischen Untersuchung unterziehen. Damals gibt es keine klinisch-forensischen Nachweismöglichkeiten für (sexualisierte) Gewalt.