Schafherde auf einem Hügel
AFP/PASCAL GUYOT
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Archäogenetik

Die Ahnenreihe moderner Schafe

Schafe zählen zu den frühesten domestizierten Tieren. Schon vor rund 12.000 Jahren wurden sie in einer jungsteinzeitlichen Siedlung in der heutigen Türkei als Nutztiere gehalten. Ihre genetische Vielfalt galt bisher als eher gering. Eine Studie widerlegt nun diese These und schreibt die Geschichte der Nutztierhaltung neu.

Aşıklı Höyük ist ein rund 10.300 Jahre alter steinzeitlicher Siedlungshügel in Zentralanatolien (heutige Türkei). Über den gesamten etwa 1000 Jahre dauernden Zeitraum seiner Besiedlung, die von etwa 8.300 bis 7.300 v. Chr. reichte, habe man sehr unerwartet eine hohe genetische Vielfalt unter den dort domestizierten Schafen entdecken können, schreiben die Forschenden um Edson Sandoval Castellanos von der Ludwig-Maximilians-Universität München in der Fachzeitschrift „Science Advances“. Auch die Prähistorikerin Barbara Horejs von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) war an der Studie beteiligt.

Im Zuge der Untersuchung wertete das internationale Team statistisch hunderte DNA-Proben aus: Sie verglichen 173 alte mitochondriale Erbgut-Proben, darunter auch 62 aus Aşıklı Höyük, mit 456 DNA-Proben moderner Schafe.

Ursprünglich fünf Erblinien …

Mitochondriale DNA, die nur von der Mutter weitergegeben wird, sei aus Knochenüberresten isoliert und mit Proben aus anderen archäologischen Fundstellen in Anatolien, der Levante, dem Kaukasus und Europa kombiniert worden, teilt die ÖAW mit. Durch den Vergleich mit der mitochondrialen DNA moderner Schafe aus 15 Ländern „konnten wir die Entwicklung der Schafspopulationen in Europa und Asien über die vergangenen 10.000 Jahre rekonstruieren“, erklärt Horejs, die wissenschaftliche Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der ÖAW.

Ausgrabungen der Siedlung Aşıklı Höyük zeigen frühe Spuren der Haltung von Schafen als Nutztiere, wobei Schafe (Ovis aries) mit zu den ältesten Haustieren zählen. Viele Domestizierungstheorien gehen von einem genetischen Flaschenhals für frühe Nutztierpopulationen in Herdenhaltung aus. Dagegen spricht nun der aktuelle Befund: „Fünf verschiedene mütterliche Erblinien kommen mit relativ gleicher Verteilung über die gesamten 1.000 Jahre vor, obwohl archäologische Spuren nahelegen, dass sich die Haltung und Nutzung zur Fleischproduktion in dieser Phase intensiviert haben“, so Horejs weiter. Eine mögliche Erklärung dafür sei, „dass eine recht große Population regelmäßig durch das Einkreuzen wilder Tiere aufgestockt wurde“.

… schrumpften auf zwei Ahnenreihen

Domestizierte Schafe wurden dann in Europa vor rund 8.500 Jahren eingeführt. In modernen Schafspopulationen in Europa und Asien finden sich nur noch zwei der fünf mitochondrialen Erblinien, die in Aşıklı Höyük präsent waren. Die rund 60 Millionen Schafe, die heute in Europa gehalten werden, gehören fast ausschließlich zur sogenannten Haplogruppe B – eine Art Ordnungsgruppe für die genetische Abstammung.

Auf Basis ihrer Modellierungen von Populationsentwicklungen erhielten die Forschenden nun Hinweise, dass das Flaschenhals-Phänomen erst später als bisher angenommen auftrat: „Wir haben später im Neolithikum (Jungsteinzeit, Anm.) einen zehnfachen demografischen Engpass festgestellt“, heißt es in der Studie. Die Population muss also in dieser Phase dementsprechend stark zurückgegangen sein. Das habe „die Fixierung der mitochondrialen Haplogruppe B in Südwestanatolien“ verursacht.

Schafgenom schreibt Geschichte

„Unsere Untersuchungen belegen, dass die frühe Nutztierhaltung sich schnell entwickelt hat, mit stabilen Populationen, einem regen Austausch von Tieren zwischen Siedlungen und regelmäßigem Einkreuzen von Wildtieren“, so Horejs: „Einen genetischen Flaschenhals gab es erst im Zuge der Ausbreitung der Nutztierhaltung von Anatolien aus nach Europa und Asien, die parallel zur Verbreitung der Landwirtschaft stattgefunden hat.“ Zukünftige Analysen des kompletten Genoms der Schafe, über die mitochondriale DNA hinaus, könnten weitere wichtige Informationen über Populationen und Wanderungen von Menschen und Tieren in dieser entscheidenden Epoche unserer Geschichte liefern.