Buckelwal vor Tonga
Paul Hilton / Greenpeace
Paul Hilton / Greenpeace
Naturrechte

Rechte für Wale als politisches Instrument

Auf der Pazifikinsel Rarotonga wurden jüngst Wale zu juristischen Personen erklärt. Auch in Afrika, Amerika und Europa gibt es ähnliche Initiativen zum Schutz bedrohter Lebewesen. Dabei findet laut einer Expertin „eine Übersetzung von indigenem Denken in westliche Rechtsbegriffe statt“. Die Konsequenzen sind bisher aber eher gering.

„Alles was wir auf der Erde sehen können, ist Pachamama. Alles, auch wir“ – so drückt es Antaurko Patsakamaq aus, ein spiritueller Führer der Chawpin-Inka-Gemeinde in Peru. Pachamama, das könnte man übersetzen als Mutter Erde. Oder auch: die Schöpfung, die alles umfassende Natur. Sie spielt im Weltbild vieler indigener Völker eine Schlüsselrolle. Pachamama kann man nicht besitzen. Man ist Teil von ihr.

Der Gegensatz zur Ausbeutungslogik westlicher Ökonomien ist unübersehbar. Hier das Leben im Einklang mit der Natur, dort ihre systematische Zurichtung und Zerstörung. Was bekanntlich allerlei Krisen heraufbeschwor – vom Klimawandel über den Verlust natürlicher Lebensräume bis hin zum gegenwärtigen Massensterben von Tier- und Pflanzenarten.

Annäherung der Weltbilder

Wohl wegen der Dringlichkeit dieser Krisen gab es in den letzten Jahren eine Annäherung beider Weltbilder. Mittlerweile hat die Stimme des Globalen Südens auf dem internationalen Parkett durchaus Gewicht. Etwa bei den Verhandlungen des Weltbiodiversitätsrats, der den Stand des Wissens, ähnlich wie der Weltklimarat, in Sachstandberichten zur Verfügung stellt. Dort sind nun auch die Rechte der Natur – Pachamama inklusive – festgehalten, und zwar gleichrangig mit den wissenschaftlichen Inhalten.

„Das ist nicht einfach so passiert“, sagt die Politikwissenschaftlerin Alice Vadrot von der Uni Wien. „Akteure aus Lateinamerika, unterstützt durch viele afrikanische Staaten, haben diesen Wertewandel gefordert. Es gab sehr viele Konflikte. Letztlich haben sie sich durchgesetzt.“

Ein Sinneswandel – zumindest in jenem Teil der Welt, der sich für Arten- und Umweltschutz einsetzt. Das Weltbild wird durchlässig für neue Ideen, beziehungsweise: für tatsächlich uralte Ideen, die bloß im Globalen Norden als neu erscheinen.

Ecuador: Naturrecht im Verfassungsrang

Isabella Radhuber vom Zentrum für zeitgenössische Solidaritätsstudien der Uni Wien findet an diesem Vorgang vor allem eines bemerkenswert: Es finde „eine Übersetzung von indigenem Denken in westliche Rechtsbegriffe statt.“ Dass jüngst Wale in Ozeanien zur Rechtsperson erklärt wurden, sei bloß das letzte Beispiel einer Reihe ähnlicher Rechtsakte.

Eine Chronologie ausgewählter Ereignisse:

  • 2006 werden „natürliche Gemeinschaften“ bzw. Ökosysteme in Pennsylvania erstmals als juristische Personen anerkannt – und auf diese Weise vor Ablagerung von giftigem Klärschlamm geschützt.
  • 2008 eine Grundsatzentscheidung in Ecuador: Die Rechte der Natur werden in der Verfassung verankert. Ein Auszug: „Die Natur oder Pachamama, der Ort, an dem sich das Leben reproduziert und entsteht, hat das Recht auf ganzheitlichen Respekt für ihre Existenz und für die Erhaltung ihrer Lebenszyklen. Alle Personen, Gemeinschaften, Völker und Nationen können die öffentlichen Behörden auffordern, die Rechte der Natur durchzusetzen.“
  • 2019 erkennt Uganda im Nationalen Umweltgesetz die Rechte der Natur an.
  • 2022 die erste Anerkennung in Europa: Die Salzwasserlagune Mar Menor in Südspanien wird zur juristischen Person erklärt.

Politikwissenschaftlerin Radhuber hat vor einigen Jahren Patricia Gualinga, eine Vertreterin der Sarayakus aus Ecuador, auf einer Tour durch Europa begleitet und in Gesprächen erfahren, wie sie die Welt sieht: „Sie hat immer wieder betont, dass die Natur, dass Tiere, Pflanzen, Wälder, Ökosysteme, eigene Lebewesen sind, die sogar ein eigenes Bewusstsein haben und in enger Verbindung mit anderen Lebewesen auf dieser Erde stehen. Und wir Menschen sind eines von vielen.“

Prozess gewonnen, kaum Konsequenzen

Gualinga ist nicht irgendjemand. Sie ist eine Galionsfigur der Naturrechtsbewegung. Sie und ihre Gemeinde haben einen aufsehenerregenden Prozess gewonnen – gegen den Staat Ecuador, der zu wenig gegen die Naturzerstörung durch eine argentinische Ölfirma in ihrem Lebensraum unternommen hat. Der Prozess gilt als Präzedenzfall. Als Beispiel dafür, dass die Naturrechtsbewegung tatsächlich etwas erreichen kann. Jedenfalls in einem Land wie Ecuador, das Pachamama, die Harmonie mit der Natur, in der Landesverfassung festgeschrieben hat.

„Ein extrem wichtiger Schritt“, sagt die Umweltphilosophin Sarah Espinosa vom Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinische Universität Wien. „Nur eine Frage bleibt: Wie wird entschieden, was gut für die Natur ist?“ Espinoa ist in Ecuador aufgewachsen, sie kennt die Verhältnisse in diesem Land aus erster Hand – und hat noch eine Anmerkung zu machen zur Galionsfigur Gualinga und ihrer – wie es heißt – „Erfolgsgeschichte vor Gericht“.

Es bleibt „ein bitteres Gefühl“

Das Urteil, über das von Medien und NGOs ausführlich berichtet wurde, stammt aus dem Jahr 2012. Mehr als zehn Jahre hatte die Regierung Ecuadors bis heute Zeit, um die Renaturierung des Sarayaku-Gebiets voranzutreiben. Doch passiert ist so gut wie nichts.

So bleibe „ein bitteres Gefühl“, sagt Espinosa. Dass die Natur als juristisches Individuum anerkannt werde, sei von großer symbolischer Bedeutung. Gleichwohl müsse darauf immer ein Zweites folgen: „Verbindlichkeit“. Espinosa legt den Finger in die Wunde der Naturrechtsbewegung. Symbolik allein ist offenbar zu wenig, um der Natur zu ihrem Recht zu verhelfen. Was müsste passieren, damit aus dem Akt der Anerkennung tatsächlich gelebtes und exekutiertes Recht wird?

Wer vertritt den Wal?

Für Vadrot braucht es neben der rechtlichen Übersetzung indigener Werte auch eine ökonomische. „Könnten wir berechnen, welcher Schaden inklusive aller Folgekosten entsteht, wenn zum Beispiel eine Walart ausstirbt – dann würden wohl auch andere Entscheidungen getroffen werden.“

Hinzu kommt das Repräsentationsproblem: Nachdem der Wal nicht selbst im Gerichtssaal Platz nehmen und für sich sprechen kann, muss er vertreten werden. Von wem, sei nicht festgelegt, sagt Vadrot. Das gelte besonders für die Weltmeere: Drei Viertel aller Gebiete werden nicht von Nationalstaaten verwaltet, von Eindeutigkeit sei man weit entfernt.

Uneindeutig heißt nicht unlösbar. Platz hätten Wal, Fluss und Ökosystem etwa im „Parlament der Dinge“, erdacht vom französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour. Das Latour’sche Modell erscheint Vadrot eine tragfähige Idee für eine neue politische Kultur und die Neugestaltung unserer Zukunft. Weil man es mit den Erscheinungen der Natur nur befüllen muss.

Orientieren könnte man sich freilich auch an dem, was indigene Gruppen bisher getan haben, sagt Radhuber. Bei ihnen sind Räte dafür zuständig, um Tiere auf lokaler Ebene zu vertreten. Die verlorene Harmonie mit der Natur wiederzugewinnen – das ist ihren Erhebungen zufolge etwas, das man sich auch im Westen wünscht, nicht zuletzt in Österreich. „In der Gesellschaft brodelt es. Und die Politik unterschätzt meiner Ansicht nach die Zustimmung zu solchen Ideen. Die Rechte der Natur könnten ein wirksames Instrument sein, um tiefgreifenden politischen Wandel anzustoßen.“