Das Weltmuseum (ehem. Museum für Völkerkunde) nach der Renovierung
APA/HANS PUNZ
APA/HANS PUNZ
Museum für Völkerkunde

Gründung als Schauplatz ideologischer Machtkämpfe

Im Mai 1928 ist das Museum für Völkerkunde in Wien eröffnet worden, als Ort für die kulturvergleichende Darstellung der Menschheitsgeschichte. Die Gründungsphase des heute als Weltmuseum bekannten Hauses war überschattet von fachlichen, persönlichen und vor allem auch ideologischen Konflikten, wie Veronika Stachel in einem Gastbeitrag ausführt. Die Kultur- und Sozialanthropologin hält am Montag einen Vortrag zum Thema.

Die ethnografischen Sammlungen in österreichischem Besitz fanden 1876 im Naturhistorischen Museum ein Zuhause, wo sie mit prähistorischen und anthropologischen Objekten in der Anthropologisch-ethnografischen Abteilung zusammengefasst wurden. Durch die enorme Anhäufung von Objekten herrschte dort jedoch von Beginn an Platzmangel und als sich die Ethnologie dann auch an den Universitäten immer mehr als Geisteswissenschaft etablierte, wurde der Wunsch laut aus dem Naturhistorischen Museum auszuziehen.

Über die Autorin

Veronika Stachel ist Doktorandin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. Ihre Forschungsinteressen gelten der Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der Frühgeschichte der Ethnografie und Kulturanthropologie. Derzeit ist sie ifk Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz in Wien.

Porträt Veronika Stachel
Jan Dreer

1925 wurde die Gründung eines Kulturhistorischen Museums beschlossen. In der Neuen Hofburg (dem heutigen Standort des Weltmuseums) sollte eine universelle Geschichte der Menschheit anhand prähistorischer, ethnografischer und anthropologischer Objekte präsentiert werden. Doch unklare Raumzuweisungen, finanzielle Unsicherheiten und interne Konflikte sorgten dafür, dass das Projekt rasch scheiterte.

Deutschnationale akademische Cliquen

Zwischen dem Leiter der Anthropologisch-ethnografischen Abteilung, dem Prähistoriker Josef Bayer und dem Leiter der ethnografischen Sammlung, Viktor Christian, bzw. ab 1924 seinem Nachfolger Friedrich Röck kam es regelmäßig zu Auseinandersetzungen.

Nachdem die Abteilung 1924 in drei selbstständige Gruppen geteilt worden war (Prähistorie, Anthropologie, Ethnografie), wurde Bayers Verantwortungsbereich enorm minimiert. Er vermutete, dass es sich um einen Angriff deutschnationaler Professorenkreise handelte und meldete das der Presse. Daraufhin leitete die Universität, deren Ansehen er damit verletzt haben soll, ein Disziplinarverfahren ein und entzog Bayer seine Lehrbefugnis. Mit seiner Vermutung hatte er Recht, wie die Rechtshistorikerin Kamila Staudigl-Ciechowicz herausfand (Kamila Staudigl-Ciechowicz: Das Dienst-, Habilitations- und Disziplinarrecht der Universität Wien, 1848-1938, 2017). Die Mitglieder der deutschnationalen und antisemitischen „Deutschen Gemeinschaft“ wollten Bayer, den sie als „stark rot“ bezeichneten, als Direktor des neuen Museums verhindern (Zitat bei Kamila Maria Staudigl-Ciechowicz).

Der Sibirien-Saal bei der Eröffnung des Museums für Völkerkunde 1928.
ÖStA, AVA Unterricht UM allg. Akten 3630
Der Sibirien-Saal bei der Eröffnung des Museums für Völkerkunde 1928

Durch die Denunziation Bayers war der Weg freigemacht worden für den späteren Museumsdirektor Friedrich Röck, der den deutschnationalen Kreisen als Mitglied des „Deutschen Klubs“ nahestand. Bereits seine Habilitation verdankte er laut Peter Rohrbacher seiner guten Vernetzung und weniger seinem wissenschaftlichen Können. (Andre Gingrich und Peter Rohrbacher: Völkerkunde zur NS-Zeit aus Wien, 2021). Sein Vorgänger Viktor Christian war ebenfalls Mitglied im „Deutschen Klub“ und zudem Teil der konspirativen Professorengruppe „Bärenhöhle“. Diese verhinderte, wie Klaus Taschwer aufdeckte, ab den 1920er Jahren gezielt Habilitationen und Berufungen von jüdischen und linken Wissenschafter:innen (Andreas Huber; Linda Erker; Klaus Taschwer: Der Deutsche Klub: Austro-Nazis in der Hofburg, 2020)

Planänderung im Ministerium

Viktor Christian schlug im Jänner 1927 dem Unterrichtsministerium vor, statt des Kulturhistorischen Museums ein Museum für Völkerkunde zu errichten, ohne Prähistorie. Christian war zu diesem Zeitpunkt seit fast drei Jahren nicht mehr am Museum tätig, sondern am Institut für Orientalistik an der Universität Wien. Das Ministerium stimmte im April 1927 diesem Plan zu. Das war die Geburtsstunde des Museums für Völkerkunde, dem heutigen Weltmuseum Wien.

Veranstaltungshinweis

Veronika Stachel hält am Montag, 29.4. am IFK einen Vortrag mit dem Titel „Museum der Konflikte. Die Gründung des Museums für Völkerkunde in Wien“

Die Idee hatte Christian bereits als Sammlungsleiter entwickelt und ließ dafür schon 1923 von der Kunsthistorikerin Melanie Stiassny einen ostasiatischen Kunstsaal in der Neuen Hofburg einrichten, der, wie Barbara Plankensteiner feststellte, zum Konfliktort wurde (Barbara Plankensteiner: „Völlige Fühllosigkeit dem Künstlerischen gegenüber …“ Der Streit um den „asiatischen Kunstsaal“ anläßlich der Neueröffnung des Museums für Völkerkunde in Wien im Jahre 1928, 2003). Er war überzeugt, dass Kunst das wirksamste Mittel sei, um dem Publikum fremde Kulturen näher zu bringen. Als das Museum am 25. Mai 1928 unter Direktor Röck eröffnet wurde, war der Kunstsaal allerdings schon abgebaut worden.

Ostasiatische Kunst als Streitpunkt

Ab dem Frühjahr 1927 kam eine neue Gruppe ans Museum: der Missionsorden Societas Verbi Divini (SVD). Patres wurden als Volontäre eingesetzt und sollten nun die von Pater Wilhelm Schmidt begründete Wiener Schule der Kulturkreislehre, die an der Universität bereits verankert war, auch am Museum präsentieren. Theodor Bröring, zuvor Missionar in China, war für die Ostasien-Säle zuständig. Er begann ostasiatische Objekte aus dem missionsethnologischen Museum in Rom zu leihen und verlagerte sukzessive Objekte aus dem Kunstsaal in seine Säle.

Ausstellungsräumlichkeiten des heutigen Weltmuseums
APA/ROLAND SCHLAGER
Ausstellungsräumlichkeiten des heutigen Weltmuseums

Melanie Stiassny quittierte daraufhin ihren Dienst und auch der Ethnologe Robert Heine-Geldern verließ nach acht Jahren als Volontär das Museum. Die von Bröring eingerichteten Säle wurden nach der Eröffnung von Kunsthistorikern und Kunstkritikern massiv kritisiert.

„Verjudete ostasiatische Kunst“

Auch wenn die Meinungen über die Qualität von Melanie Stiassnys Aufstellung geteilt waren – Röck kritisierte etwa, dass im großen Saal zu wenige Objekte ausgestellt seien und wollte den Raum anderweitig nutzen – war seine Entscheidung, den Kunstsaal abzubauen, nicht nur fachlich motiviert. Röck wollte jüdische bzw. als jüdisch wahrgenommene Personen aus dem Museum drängen und lehnte jüdische Bewerber:innen grundsätzlich ab.

Robert Heine-Geldern, der jüdischer Herkunft war, wurde trotz fachlicher Eignung eine Anstellung verweigert; Stiassny wurde als Jüdin geboren und konvertierte 1907 zum Katholizismus. Sie erfuhr eine doppelte Diskriminierung, da Röck auch der Meinung war, Frauen seien für kuratorische Aufgaben nicht geeignet. Mit dem offen antisemitischen Theodor Bröring fand Röck den idealen Partner, um die „verjudete ostasiatische Kunst“ (Zitat Friedrich Röck: Archiv des Weltmuseums Wien, Direktionsakten 1938, Rechtfertigung Röcks, 29.8.1938) im Museum kleinzuhalten.

Die Gründung des Museums für Völkerkunde war von Anfang an stark von politischen und persönlichen Auseinandersetzungen beeinflusst. Diese Konflikte hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die Gestaltung und die Sammlungspraktik des Museums. Sie verdeutlichen, wie wissenschaftliche und kulturelle Institutionen in der Zwischenkriegszeit zum Schaden der Wissenschaft als Arenen ideologischer Machtkämpfe missbraucht wurden.