Aufnahme von neugeborenem Weißen Hai
Carlos Gauna/The Malibu Artist
Carlos Gauna/The Malibu Artist
„Kinderstuben“

Junge Weiße Haie leben gerne in Strandnähe

Haie gelten von Geburt an als Einzelgänger. Doch das stimmt nur bedingt. Vor der kalifornischen Küste finden sich junge Weiße Haie in durchaus großen Gruppen zusammen. Welche Vorteile diese „Kinderstuben“ in Strandnähe für die heranwachsenden Raubfische bieten, zeigt eine neue Studie.

Weiße Haie sind keine fürsorglichen Mütter. Ihre Jungen sind – wie bei vielen anderen Haiarten – von der ersten Minute ihres Lebens auf sich allein gestellt. Trotzdem gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Junghaie offenbar nicht als einsame Jäger durch die Meere ziehen, sondern sich gerne in flachen, bis zu etwa zehn Meter tiefen Gewässern zusammenfinden.

Vor der Küste der Stadt Santa Barbara in Zentralkalifornien konnte ein Forschungsteam rund um den Meeresbiologen Chris Lowe vom Department of Biological Sciences der California State University erstmals eine große Gruppe junger Weißer Haie beobachten. Die Studie wurde im Fachjournal „Frontiers in Marine Science“ veröffentlicht.

Soziale Tiere

Zwei Jahre lang folgten die Meeresbiologinnen und Meeresbiologen den mehr als 50 Jungtieren im Alter zwischen einem und sechs Jahren, um zu verstehen, was sie zu dem sozialen Verhalten veranlasst. Denn im Gegensatz zu ihren jungen Artgenossen halten erwachsene Weiße Haie in der Regel mindestens neun Meter Abstand voneinander.

Das Wissenschaftsteam stattete 22 Junghaie mit Sensoren aus, die neben der exakten Position eines Individuums auch Informationen über den lokalen Wasserdruck und die aktuelle Meerestemperatur lieferten. Mit Empfangsmodulen, die die Forscherinnen und Forscher in einem rund fünfeinhalb Quadratkilometer großen Gebiet entlang der Küste verteilten, konnten sie jeden einzelnen Junghai stets punktgenau lokalisieren.

Junge Haie mögen’s heiß

Zusätzlich kontrollierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem autonomen Unterwasserfahrzeug die Temperaturverteilung in unterschiedlichen Meerestiefen entlang des Küstenstreifens. Damit trainierten sie eine künstliche Intelligenz, um ein 3-D-Modell über die von den jungen Raubfischen bevorzugten Wassertiefen und die Temperaturzonen zu erstellen.

„Wir konnten zeigen, dass Jungtiere immer wieder ihre vertikale Position in der Wassersäule änderten, um zwischen 16 und 22 Grad Celsius zu bleiben. Wenn möglich sogar zwischen 20 und 22 Grad", so die Erstautorin der Studie, Emily Spurgeon. Sie vermutet, dass die heranwachsenden Haie bei diesen Temperaturen die optimalen Bedingungen für eine möglichst rasche und effiziente Entwicklung sowie bessere Nahrungsbedingungen innerhalb ihrer Gruppe vorfinden.

Wohlfühltemperatur kostet Energie

In diesen Zonen zu bleiben, erfordert von den jungen Haien allerdings viel Energie. Weil sich die Temperaturverteilung in den Gewässern vor der Küste Kaliforniens immer wieder verändert, müssen sie ständig ihre Position wechseln. Das Wissenschaftsteam beobachtete zudem, dass die Tiere in der Morgen- und Abenddämmerung auf der Jagd nach Rochen, Schwarmfischen und anderen kleineren Knochenfischen viel tiefer abtauchten, während sie sich am Nachmittag nur in bis zu maximal vier Metern Tiefe aufhielten, oft sogar auch direkt an der Meeresoberfläche. Wahrscheinlich, um sich aufzuwärmen, vermutet Spurgeon. Eine höhere Körpertemperatur beschleunige womöglich den Stoffwechsel und die Verdauung der Tiere. Gleichzeitig wärmen die jungen Haie im flachen Wasser wohl auch ihre Muskeln, was ihre Effizienz bei weiteren Beutezügen erhöhen könnte.

Jedenfalls habe die Temperaturverteilung großen Einfluss auf die Verteilung der Junghaie in den unterschiedlichen Meerestiefen, so die Forschenden. Je höher die Wassertemperatur in einem Gebiet, desto tiefer müssten die Tiere tauchen, um sich dort zu „Kinderstuben“ sammeln. Trotz steigender Meerestemperaturen verbrächten jugendliche Weiße Haie aber grundsätzlich viel mehr Zeit in flachen, warmen Gewässern als erwachsene Tiere. Das treibe vor allem junge Haie in immer weiter vom Äquator entfernte Gewässer, wie zum Beispiel vor die Küste Kaliforniens.

Temperatur ist nicht alles

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Wassertemperatur ein Schlüsselfaktor ist, der Jungtiere in das untersuchte Gebiet lockt. Allerdings gibt es an der kalifornischen Küste viele Orte, an denen ähnliche Umweltbedingungen herrschen, sodass die Temperatur nicht alles ist. Zukünftige Experimente werden sich mit individuellen Beziehungen befassen, zum Beispiel um zu sehen, ob einige Individuen im Tandem zwischen den Kinderstuben wechseln“, sagt Spurgeon.

Offen ist auch noch, welche Vorteile eine „Kinderstube“ für Junghaie bietet. Eine Erklärung könnte sein, dass die Jungtiere als Team in flachen Küstengewässern effizienter jagen können, aber auch vor anderen Raubfeinden wie größeren Haien besser geschützt sind. Weitere Studien sollen es zeigen.