Gemälde von Maximilian I.
Public Domain
Public Domain

Im Backoffice von Maximilian I.

Kaiser Maximilian I. (1459–1519) gilt als jener Kaiser, der den Aufstieg der Habsburgerdynastie zur Weltmacht eingeleitet hat – und als Meister der Selbstinszenierung. Ein neues Forschungsprojekt nimmt die Frauen und Männer in den Blick, die das erst ermöglichten. Wie es im „Backoffice“ des Kaisers ausgesehen hat, beschreiben die Historikerin Christina Lutter und der Historiker Andreas Zajic in einem Gastbeitrag.

Im September 1498 schrieb Barbara von Wolkenstein an Zyprian von Serntein, den späteren Tirolischen und Hofkanzler Kaiser Maximilians I. Sie wünschte ihm, „die schwarzen hupfotten frantzosen“ – sie meint damit eine Art Wanzen – mögen den reisenden Serntein im Schlaf plagen, denn dann müsse er sich viel herumwerfen, würde dabei schlanker werden und besser in seine Rüstung passen.

Ausschnitt aus dem Schreiben der Barbara von Wolkenstein an Zyprian von Serntein
Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Maximiliana 1.41-1498.6
Ausschnitt aus dem Schreiben der Barbara von Wolkenstein an Zyprian von Serntein

Der Brief scheint gängigen Bildern von Geschlechterrollen um 1500 zu widersprechen: Die Verfasserin war Tochter des vormaligen Landeshauptmanns von Tirol und der Obersthofmeisterin der Königin Bianca Maria Sforza sowie selbst Angehörige von deren „Frauenzimmer“, so die zeitgenössische Bezeichnung der Umgebung einer Fürstin. Barbara schreibt eigenhändig und in vertraulichem Ton an eine der „grauen Eminenzen“ Maximilians und nimmt dabei scherzhaft Sernteins Körperbau aufs Korn: Dem Idealbild des kriegstüchtigen Mannes in Harnisch und Waffen, wie es die damals in ganz Europa populäre Chanson „L’homme armé“ entwirft, entspricht der „Papierkrieger“ Serntein dem Spott der Herrin von Wolkenstein zufolge wohl wenig.

„Managing Maximilian“

Der ÖAW-Spezialforschungsbereich (SFB) „Managing Maximilian“ wird vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

Über Autorin und Autor

Andreas Zajic leitet die Abteilung Editions-Unternehmen und Quellenforschung am Institut für Mittelalterforschung der ÖAW. Er ist Koordinator des SFB und leitet das Projekt zu Schriftgebrauch und Schriftlichkeit in der Herrschaft Maximilians I.

Christina Lutter ist Professorin für Österreichische Geschichte und Dekanin der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Im SFB leitet sie das Projekt zu Geschlechterverhältnissen am Hof Maximilians I.

Dieses Schreiben, das Geschlechterrollen zur Zeit Maximilians I. scherzhaft verhandelt, ist im Zuge des Forschungsprojekts „Managing Maximilian“ aufgetaucht, das seit März 2023 alte Narrative zu Person und Herrschaft, Verwaltung, Kunst- und Kulturproduktion Kaiser Maximilians zurechtrückt. Ereignis- und Diplomatiegeschichte haben dessen Regierung lange von wenigen handelnden Männern bestimmt gesehen. Später hat eine Fülle an kulturwissenschaftlichen Studien die persönliche Rolle Maximilians in Entwurf und Ausgestaltung seines propagandistischen Selbstbilds unterstrichen.

Dass er keineswegs das alleinige Mastermind seiner Politik und medialen Vermarktung war, zeigt das Projekt systematisch auf: Es eruiert aus bisher oft unberücksichtigten Quellen in den Archiven in Wien und Innsbruck all jene Personen – Frauen wie Männer –, die an der Gestaltung und Umsetzung von Maximilians Herrschaft und der Repräsentation seiner Person Anteil hatten. Nach Projektabschluss werden zwei Open-Access-Datenbanken mit bis zu 200.000 historischen Personennamen helfen, ein neues Gesamtbild der personalen Strukturen der Herrschaft Maximilians zu zeichnen. Ebenso werden die konkreten Interaktionen vieler Personen mithilfe digitaler Recherche- und Dokumentationstools nachvollziehbar werden.

Der Kaiser als alleiniger Gestalter seiner Bildpropaganda: irreführendes Selbstbild Maximilians in dessen autobiographischem Publikationsprojekt des „Weißkunig“
Albertina, gemeinfrei
Der Kaiser als alleiniger Gestalter seiner Bildpropaganda: irreführendes Selbstbild Maximilians in dessen autobiographischem Publikationsprojekt des „Weißkunig“

Auch „unsichtbare“ Personen im Blick

Neu ist nicht nur der enorme Umfang dieser Datensammlung und die interdisziplinäre Zusammenschau von acht Teilprojekten aus Geschichtswissenschaften, Kunstgeschichte, Deutscher und Lateinischer Philologie, Musikwissenschaften und Digital Humanities, die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), den Universitäten Wien und Graz sowie dem KHM Wien und der Albertina angesiedelt sind.

Neu ist auch, dass nicht nur die Rolle einflussreicher Ratgeber des Kaisers, also höfischer Eliten, untersucht wird. Vielmehr werden auch bisher „unsichtbare“ Personen und Personengruppen Maximilians in den Blick genommen, die ihren Anteil am „Management“ des Kaisers hatten: Amtsinhaber und Funktionsträger der „zweiten“ und „dritten“ Reihe, bis hinunter zu den Zöllnern, Mautnern und Kammerfrauen, die bei Hof ebenso wie „vor Ort“ die Verwaltung der weitgespannten Territorien des Kaisers wahrnahmen.

Ehefrauen als unbezahlte Ressource

Zu den oft ausgeblendeten Personengruppen selbst im engeren Umfeld des Kaisers gehörten lange Zeit Frauen. Zwar werden die Handlungsspielräume von Fürstinnen und weiblichen Verwandten des Kaisers in den vergangenen Jahren zunehmend analysiert, wenig systematisch erforscht sind aber Handlungsmöglichkeiten, Rollen und Einfluss von Frauen unterhalb dieser hierarchisch-sozialen Ebene.

Unter den formalen Amtsträgern Maximilians sind es neben Hofmeisterinnen und mancher Handwerkerin vorwiegend männliche Personen, die für ihre Funktionen besoldet wurden. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass ganz selbstverständlich deren – oft unerwähnt bleibende – Ehefrauen vielfach unbezahlt als komplementäre Ressource für das ökonomische Funktionieren des Hofs herangezogen wurden.

Befehl Maximilians an Ulrich Möringer über die Herstellung von Birnenkompott durch dessen Ehefrau
Österreichisches Staatsarchiv, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Maximiliana 36-1-8
Befehl Maximilians an Ulrich Möringer über die Herstellung von Birnenkompott durch dessen Ehefrau

1507 etwa wurde für die Innsbrucker Hofburg der Bau eines Altans (d.h. einer Art Balkon) angeordnet und Elisabeth, die Frau des in der Verwaltung des kaiserlichen Waffenarsenals tätigen Zahl- und Hauszeugschreibers Hans Kugler, zur Gärtnerin und „allthanerin“ bestellt. Im Rahmen dieser Funktion sollte sie auch Kräuterbrände für Maximilian I. herstellen. Beiträge zur Tafel des Kaisers sollte auch die Frau des Innsbrucker Kammermeisters Ulrich Möringer leisten, indem sie offenbar mehrere Jahre lang ein von Maximilian geschätztes Birnenkompott – auf ausdrücklichen kaiserlichen Befehl – zubereitete.

Formen „geteilter Herrschaft“

All diese Beispiele machen deutlich, dass es vor allem der traditionelle Blick auf die Quellen war, der die Informationen und die Vielfalt weiblicher und männlicher Akteure, ihre Interaktionen und Kooperationen lange verstellt hat. Die Überlieferung selbst – Briefe und Abrechnungen, Bilder und Gegenstände materieller Kultur – gibt bei näherem Hinsehen deutlich mehr über die Menschen hinter den Kulissen preis.

Betrachtet man Herrschaft „von unten“, wie es dieses Projekt tut, und zieht dabei eine Fülle unterschiedlichen Materials heran, so wird klar, dass das komplexe Management eines expandierenden Reiches gar nicht von einzelnen „großen“ Akteuren allein geleistet werden konnte. Hingegen haben viele gemeinsam das gestaltet, was später als „die“ Herrschaft Einzelner wahrgenommen wurde: Maximilian I. war Römischer König bzw. Kaiser und gleichzeitig Herr der habsburgischen Erbländer.

Seine beiden Ehen mit Maria von Burgund und Bianca Maria Sforza von Mailand begründeten Ansprüche auf diese Gebiete; seine Heiratsprojekte wiesen bald noch deutlich weitere Perspektiven nach Spanien, Böhmen und Ungarn. Solche Dimensionen machten Formen „geteilter Herrschaft“ nötig, und so delegierte Maximilian die herrschaftlichen Aufgaben in Burgund (den späteren habsburgischen Niederlanden) an seine Tochter Margarete.

Margarete von Österreich. Gemälde von Jean Hey (bekannt als Meister von Moulins) ca. 1490
Metropolitan Museum of Art, New York
Margarete von Österreich. Gemälde von Jean Hey (bekannt als Meister von Moulins) ca. 1490

Ihre Funktion als Statthalterin übernahm später deren Nichte, Maximilians Enkelin Maria. Dynastische Politik glich also der eines „Familienunternehmens“. Verwandte beiderlei Geschlechts waren die wichtigsten Partner bei der Verteilung von Aufgaben. Die Familienmitglieder schrieben einander und ihren Ratgebern zahlreiche Briefe, die ihr Herrschaftshandeln dokumentieren – Margarete und Maria waren gebildete Frauen und herausragende Politikerinnen, die mit ihren männlichen Verwandten auf Augenhöhe kommunizierten.

Eine Art Familienbetrieb

Sie alle aber – Herrscherinnen und Herrscher – handelten geleitet und begleitet von Hofleuten, Amtsträgern und Ratgeberinnen, Gelehrten und Bediensteten, Personal unterschiedlichen Standes, Herkunft, Alters und Geschlechts. Herrscherhöfe um 1500 beruhten auf personalen Beziehungen, vielfach wurden Ämter mit Hilfe persönlicher Ressourcen ausgeübt – auch auf dieser Ebene sind die Strukturen mit Familienbetrieben vergleichbar, in denen Männer und Frauen zusammenarbeiteten.

Familiäre Netzwerke spielten daher auch für sozialen Aufstieg bei Hof eine große Rolle. Oft waren es Frauen, die ihren Männern aufgrund ihres ökonomischen und finanziellen Hintergrunds den Zugang zu Positionen ermöglichten – das galt nicht zuletzt für die Humanistenkreise rund um Maximilian. Und so ist es die Vielfalt der Akteure, die dieses Projekt in ihrem Zusammenwirken sichtbar macht, die auch die Bedeutung von Geschlechterrollen neu bewerten lässt.