Leeres Klassenzimmer, aufgrund Coronavirus
APA/HANS PUNZ
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Infektionen

Wie Schulschließungen helfen

Was bringen geschlossene Schulen im Kampf gegen das Coronavirus? Experten und Expertinnen sind sich nicht ganz einig, Informatiker der Technischen Universität Wien versuchen es zu berechnen.

In 22 Ländern sind laut UNESCO bereits alle Schulen geschlossen (Stand: 11. März): Über 370 Millionen Schüler und Schülerinnen gehen wegen des Coronavirus zurzeit nicht in die Schule. Viele andere Länder ziehen nach, ab nächster Woche sollen sie auch in Österreich schrittweise geschlossen werden, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Kinder sind vom Coronavirus zwar relativ wenig gefährdet. Schulen sind dennoch Orte mit vielen Sozialkontakten, Epidemien können sich von hier gut ausbreiten.

Bei der Spanischen Grippe sehr hilfreich

Was Schulschließungen wirklich im Kampf gegen Epidemien beitragen, ist nicht ganz klar. Der Soziologe und Mediziner Nicholas Christakis von der Yale University hält sie in einem Interview für eine der „stärksten nicht-pharmazeutischen Maßnahmen“ überhaupt. Dabei würden nicht nur die Kinder geschützt, sondern auch die Sozialkontakte der Erwachsenen untereinander verringert, die sie abholen.

Christakis verweist auf eine historische Studie, die die Wirksamkeit geschlossener Schulen beweist. Vor 100 Jahren haben US-Städte sehr unterschiedlich auf die Spanische Grippe reagiert. In Städten, die damals sehr früh Schulen gesperrt hatten, starben viel weniger Menschen als in Städten, die das später gemacht haben. Die zwei Extrembeispiele: Während die Schulen in St. Louis knapp vor dem Höhepunkt der Epidemie schlossen und über vier Monate lang geschlossen blieben, folgten die Schulen in Pittsburgh eine Woche nach dem Höhepunkt und öffneten nach weniger als zwei Monaten wieder. „In St. Louis betrug die Todesrate nur ein Drittel von jener in Pittsburgh“, fasst Christakis zusammen. „Das funktioniert.“

Müsste sehr lange dauern

Allerdings: Das Grippevirus ist nicht das Coronavirus, es fehlt weltweit die Grundimmunität gegenüber SARS-CoV-2. Andere Experten und Expertinnen melden so auch Zweifel an, wie wichtig Schulschließungen in der aktuellen Situation wirklich sind. Die US-Epidemiologin Jennifer Nuzzo etwa schreibt in der „New York Times“, dass Kinder nicht zu den Hauptüberträgern gehören und Schulschließungen auch mehr Schaden als Nutzen anrichten können. Die Betreuungssituation erschwere sich, die Bildung der Kinder werde unterbrochen, und nicht jedermann habe die technische Ausrüstung, um auf Online-Lernen umzustellen: Betroffen davon seien vor allem ärmere Eltern und Alleinerzieherinnen.

Und: „Um irgendeinen Einfluss auf die öffentliche Gesundheit zu haben, müssten die Schulen über den gesamten Zeitraum der Epidemie geschlossen bleiben.“ Wie lange das dauert, weiß niemand, ist aber eher eine Frage von Monaten als von Wochen. Nuzzo verweist auf das Beispiel Singapur, das die Krise trotz Nähe zu China ohne geschlossene Schulen bisher gut gemeistert hat.

Simulation der Auswirkungen

Theoretisch lässt sich die Auswirkung von Schulschließungen auch berechnen. Daran arbeiten Informatiker der Technischen Universität Wien. In Prozentzahlen ausdrücken können sie es zwar noch nicht, sie gehen aber davon aus, dass die Schulschließungen dazu beitragen, die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen. Dabei müssten gar nicht alle Schulen auf einmal geschlossen werden, wie das nun der Fall sein wird. „Schließt man nur jene Schulen mit Krankheitsfällen und in einem Umkreis von fünf Kilometern, könnte das fast genauso wirken“, sagte der Informatiker Niki Popper im Ö1-Frühjournal. 90 Prozent offene Schulen bei gleicher Wirkung könnten die zu erwartenden Betreuungsprobleme verringern.

Konkret ausgerechnet haben das die Forscher noch nicht. Sie verwenden aber ein Computermodell, das die Ausbreitung des Virus und verschiedene Gegenmaßnahmen in Österreich simuliert. Am wichtigsten sei es jetzt, die Zahl der Sozialkontakte zu reduzieren. Schon ein Viertel weniger Sozialkontakte könne die maximale Anzahl der Erkrankten fast halbieren. Schulen schließen kann dabei helfen, kann aber auch unerwünschte Nebenwirkungen haben, so Niki Popper von der Forschungsplattform „DEXHELPP“ an der Technischen Universität Wien.

„Die Frage ist: Gibt es dann Effekte wie eine Kinderbetreuung durch Großeltern, wo wir dann möglicherweise Kontakte zu Risikopatientinnen haben, die wir ja eigentlich verhindern wollen?“ Um das zu verhindern, appelliert die Politik gerade, dass Großeltern ab Montag nicht auf die Kinder aufpassen sollen – eine grundlegende Betreuungsmöglichkeit von Kindern an den Schulen soll auch weiter bestehen.