Magazine und Zeitungen: Schlagzeilen über das Coronavirus
ORF/Czepel
ORF/Czepel

„Tendenz zum Verlautbarungsjournalismus“

Die Coronavirus-Pandemie stellt auch die Medien auf eine harte Probe. Seriöser Journalismus ist heute wichtiger denn je, sagt der deutsche Medienwissenschaftler Florian Meißner. Anlass zur Kritik sieht er allerdings auch: eine Zwischenbilanz.

science.ORF.at: Herr Meißner, wie hat sich die Mediennutzung während der Corona-Pandemie verändert? Gibt es da schon konkrete Zahlen?

Florian Meißner: Es gibt mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen. Die Mediennutzung hat deutlich zugenommen, das gilt für Deutschland und Österreich. In Österreich zeigt das zum Beispiel eine Studie des Gallup-Instituts. Interessant daran ist, dass sich die Nutzer wieder den klassischen Medien zuwenden, vor allem den Öffentlich-Rechtlichen.

Medienforscher Florian Meißner
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Zur Person

Florian Meißner forscht an der Universität Düsseldorf im Fach Medienwissenschaft, Themenschwerpunkte: Journalismusforschung und Krisenkommunikation. Er ist außerdem Advisory Editor bei „NewsGuard“, einem Unternehmen, das sich den Kampf gegen Falsch- und Desinformation im Internet und sozialen Netzwerken zur Aufgabe gemacht hat.

Wie man Fake News erkennt

„NewsGuard“ betreibt ein Tracking-Center zu Falschinformationen über das Coronavirus: Die laufend aktualisierte Liste enthält Webseiten, die falsche und potenziell gefährliche Artikel über das Virus veröffentlicht haben.

Wie beurteilen sie die Berichterstattung qualitativ?

Meißner: Vor allem in Boulevardmedien gab es auch Panikmache und Sensationalismus. Zum Beispiel Berichte in der Bild-Zeitung, die durchaus geeignet waren, Hamsterkäufe zu befeuern – das war sicherlich kritikwürdig. Aber abseits davon war das Angebot zum Thema Coronavirus sehr vielfältig, man konnte sich umfassend informieren. Vielen Medien wurde ja zu Beginn recht pauschal Panikmache vorgeworfen, wenn man sich diese Kritik nun im Nachhinein durchliest, gewinnt man in einigen Fällen den Eindruck: Hier wollten manche Akteure die Pandemie herunterspielen, das war fast schon eine Verharmlosung. Laut der erwähnten Gallup-Studie fühlt sich der überwiegende Anteil der Medien-Nutzer und Nutzerinnen gut bis sehr gut informiert. Das sind beeindruckende Zahlen, die ich als Erfolg bewerten würde, gerade für die Öffentlich-Rechtlichen.

Was hätten die Öffentlich-Rechtlichen besser machen können, haben wir die richtigen Fragen gestellt?

Meißner: Gerade zu Beginn, als die ersten Maßnahmen verkündet wurden, hätte ich mir mehr Debatten gewünscht. Was bedeuten diese Einschränkungen für kleine Unternehmen, für Kinder und junge Eltern? Diese Fragen wurden anfangs zu wenig gestellt. Das kommt erst jetzt nach und nach. Wir beobachten das in Krisenzeiten häufig: In der Frühphase der Krise gibt es die Tendenz zum Verlautbarungsjournalismus, es wird durchgegeben, was Krisenmanager entschieden haben. Die Kritik kommt in dieser Phase häufig zu kurz. Was ich aktuell in vielen Medien beobachte, ist die Haltung zu sagen: Wann haben wir es endlich überstanden? Hier fehlt mir der Blick nach vorne, auch beim ORF. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass mit der schrittweisen Aufhebung der Einschränkungen die Krise überstanden ist. Aber das ist nicht so: Experten gehen davon aus, dass wieder mit Anstiegen von Neuinfektionen zu rechnen ist. In diesem Fall wird es auch wieder temporäre Beschränkungen des Lebens geben. Es kommen neue Härten auf die Menschen zu, dafür wurde zu wenig Bewusstsein geschaffen.

Können Sie zum Thema Fake News eine Zwischenbilanz ziehen?

Meißner: Im Online-Bereich gab es viele Trittbrettfahrer, die versucht haben, die Krise für die Verbreitung von Verschwörungstheorien zu nutzen. Laut einer Analyse des Unternehmens „NewsGuard“ lösen solche Falschinformationen häufig deutlich mehr Interaktionen in den sozialen Netzwerken aus als verlässliche Quellen, wie zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation. Das ist alarmierend. Und es zeigt, wie wichtig seriöser, glaubwürdiger Journalismus gerade in Krisenzeiten ist – aber auch, dass Online-Plattformen noch mehr zur Eindämmung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien tun müssen.

Für die Medienhäuser ist die Vollbremsung der Wirtschaft ein massives Problem, Werbeaufträge brechen weg: Was sollten Regierungen dagegen unternehmen – und was unternehmen sie tatsächlich?

Meißner: Es ist paradox. Auf der einen Seite verzeichnen wir eine deutlich gestiegene Mediennutzung. Seriöse Medien sind systemrelevant – und werden auch so wahrgenommen. Auf der anderen Seite kommen den Medienhäusern im großen Stil Werbekunden abhanden, und das in einer Branche, die ohnehin nicht auf Rosen gebettet ist. In Österreich gibt es jetzt zusätzliche Subventionen für die Medien. Ich halte das für eine wichtige Maßnahme – natürlich unter Wahrung der Staatsferne der Medien. In Deutschland gab es nur Rufe nach einer solchen Maßnahme, die sind bislang allerdings nicht erhört worden.

Stichwort „Staatsferne“: Der Verteilungsschlüssel der österreichischen Sonder-Medienförderung rief einiges an Kritik hervor.

Meißner: Das fand ich auch erstaunlich. Aber den Verteilungsschlüssel gab es schon vorher, insofern ist das ein guter Anlass, sich darüber Gedanken zu machen, wie viel Geld der Boulevard oder ideologisch einschlägige Medien vom Staat bekommen sollten. So eine Diskussion wäre notwendig.

Wie beurteilen Sie die Krisenkommunikation der Regierungen?

Meißner: Die Kommunikation der deutschen Regierung ist für mich ambivalent. Die Bundeskanzlerin und auch der Bundepräsident haben sich sehr eindringlich an die Bevölkerung gewandt. Das appellierende Moment hat gut funktioniert. Auf der anderen Seite erlebe ich, dass wichtige Informationen mehr oder weniger nebenbei veröffentlicht werden. Da hört man dann in einer Talkshow oder in irgendeinem Zeitungsinterview: Ach übrigens, die Maßnahmen werden bis 19.4. unverändert bestehen bleiben. In Österreich gab es einigen Tumult über einen mittlerweile zurückgenommenen Oster-Erlass des Gesundheitsministeriums. Das hat für Verwirrung gesorgt. Die Menschen benötigen klare Signale und Orientierung.

Wie sehen Sie die Corona-Medienberichte im Vergleich mit Gesundheitskrisen früherer Zeit, zum Beispiel SARS oder Vogelgrippe?

Meißner: Diese Beispiele haben weder in den konkreten Auswirkungen auf die Gesellschaft noch in den Medienberichten das Ausmaß von Corona erreicht. Verständlicherweise. Was man aber im Rückblick auf vergangene Krisen feststellen kann, ist: Wenn es sich um ferne Bedrohungen handelt, ist oft mehr sensationslüsterne Berichterstattung in den Medien zu beobachten. Ist das eigene Land betroffen, berichten Journalisten tendenziell verantwortungsvoller.