Schild, auf dem „Mount Zion“ steht
ORF – Lukas Wieselberg
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Zionsberg

3.000 Jahre aufgeladene Geschichte

Jerusalem ist die vermutlich umstrittenste Stadt weltweit: religiös höchst bedeutsam und Herz des israelisch-palästinensischen Konflikts. Das prägt auch die Archäologie der Stadt – etwa am Zionsberg, wo 3.000 Jahre Geschichte begraben liegen, neben- und übereinander, knapp unter der Erdoberfläche.

„Der Zionsberg ist religiös besonders aufgeladen“, sagt die Archäologin Luisa Goldammer vom Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI). Der südwestlich der heutigen Altstadtmauern gelegene Hügel ist allen drei Weltreligionen heilig. Juden und Muslime verehren hier das Grab Davids, Christen den Saal des letzten Abendmahls. Im Lauf der Jahrhunderte standen hier Synagogen, Kirchen und Moscheen.

Kulturwandel im ersten Jahrhundert

Das macht es Archäologinnen und Archäologen nicht immer ganz leicht. Auch nicht auf dem protestantischen Friedhof am Zionsberg, wo das DEI seit 2015 auf mehreren Ebenen Ausgrabungen vornimmt. „Der Zionsberg ist unterhöhlt von vielen Höhlen und Zisternen, und auch mit einigen Mikven“, erzählt Luisa Goldammer bei einem Besuch im November 2019.

Zwei dieser jüdischen Ritualbäder liegen auch am Grabungsgelände des protestantischen Friedhofs. Sie sind ungefähr 2.000 Jahre alt und wurden bereits vom antiken Geschichtsschreiber Flavius Josephus beschrieben. Er berichtete damals auch von einem plötzlichen Kulturwandel im Israel des ersten Jahrhunderts. Die konservative Priesterschaft wehrte sich gegen eine Hellenisierung der Stadt.

Luisa Goldammer auf dem Grabungsgelände des Zionsbergs in Jerusalem
ORF – Lukas Wieselberg
Luisa Goldammer auf dem Zionsberg

„Jerusalem sollte damals eine hellenistische Stadt werden, wie es sie etwa in Athen gab, mit Gymnasien, Tempeln, griechischer Philosophie etc. Die konservative Priesterschaft wollte das aber nicht“, erzählt Goldammer. Ein historischer Beleg dafür sind die kultischen Bäder am Zionsberg. An den gleichen Stellen, wo jahrhundertelang Trinkwasser in Zisternen gesammelt wurde, wurden plötzlich Mikwen errichtet.“ Diese Gegenreaktion auf die Verweltlichung durch das Römische Reich zeige sich auch in vielen jüdischen Schriften der Zeit. „Sie belegen den damaligen Kulturwandel und enthalten Regeln wie ‚Ihr müsst euch reinigen, ihr müsst den Schabbat einhalten etc.‘“

Mikwen werden trocken gehalten

Neues gegen Altes, Säkulare gegen Orthodoxe: Was vor zweitausend Jahren konfliktreich war, beschäftigt Jerusalem noch heute. Auch das zeigt sich an den Mikwen am Zionsberg. Denn diese könnten theoretisch noch benutzt werden – von heutigen Gläubigen. Mikwen müssen nach jüdischem Verständnis mit „lebendigem Wasser“ gefüllt sein, also etwa mit Grund- oder Regenwasser. Deshalb haben die Archäologen und Archäologinnen ein Abwassersystem installiert, das die Mikwen trocken halten soll. „Wenn sie mit Wasser gefüllt wären, würde sich das in kürzester Zeit herumsprechen und dann hätten wir das Problem, dass sie von den Orthodoxen benutzt würden.“

Ö1 Sendungshinweis:

„3.000 Jahre Geschichte. Der Zionsberg in Jerusalem“: Dimensionen, 9.4., 19.05 Uhr

In den beiden Mikwen am Zionsberg hat bisher niemand gebadet, in anderen in der Nähe aber sehr wohl. Für orthodoxe Jüdinnen und Juden sind die ausgegrabenen Bäder am Zionsberg Orte höchster Religiosität. Hier fühlen sie sich König David nahe, der hier vor 3.000 Jahren gestorben sein soll und dessen Grab unweit verehrt wird. Für die Archäologen sind die Mikwen kostbare Zeugnisse der Geschichte, die es zu schützen gilt.

Eine der beiden Mikwen
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Eine der beiden Mikwen

Institut mit langer Tradition

Seit 2015 gräbt das DEI am Zionsberg. Wie der Name schon verrät, handelt es sich dabei um eine religiös-wissenschaftliche Melange. Das Institut wird von der Evangelischen Kirche in Deutschland getragen, ist zugleich eine Forschungsstelle des Deutschen Archäologischen Instituts und gehört damit zum Geschäftsbereich des deutschen Außenministeriums. Gegründet wurde das Institut im Jahr 1900 mit dem Ziel, „die Beziehungen zwischen den Stätten der heiligen Geschichte einerseits und der gelehrten Forschung und dem Interesse der christlichen Frömmigkeit andererseits zu pflegen.“

Das Institut wird seit 2005 von Dieter Vieweger geleitet und unterhält zwei Forschungsstellen, eine im jordanischen Amman, die andere in Jerusalem. Mit Ausgrabungen auf beiden Seiten des Jordans unterstreicht das Institut die Einheit des Kulturraums – und die politische Neutralität in aktuellen Konflikten.

Essenertor wieder entdeckt

Am Zionsberg untersuchen die Forscherinnen und Forscher den Zeitraum von rund 1.000 vor bis 1.000 nach unserer Zeitrechnung. Sie setzen hier die Arbeit ihrer Vorgänger im 19. Jahrhundert fort. Britische und amerikanische Forscher hatten damals nach Resten der antiken Stadtmauern gesucht und gefunden. Sie gruben dabei auch das sogenannte „Essenertor“ auf dem Zionsberg aus, ein lang verschollenes Stadttor.

Das schon von Flavius Josephus erwähnte Tor ist für historisch interessierte Christen wichtig. Denn es verweist auf die Essener, eine geschichtlich nicht gesicherte jüdische Sekte, in deren Viertel das letzte Abendmahl stattgefunden haben soll.

Das Grabungsgelände auf dem Zionsberg in Jerusalem
ORF – Lukas Wieselberg
Das Grabungsgelände

Insgesamt fand das DEI am Zionsberg die Überreste von drei größeren Siedlungsphasen. Die älteste stammt aus der Eisenzeit und passt in die Epoche zwischen dem König Hiskija und der ersten Zerstörung Jerusalems im Jahre 587 v. Chr., die mittlere stammt aus der Zeit, als Herodes den zweiten Tempel erbauen ließ. Und auch eine byzantinische Besiedlung (4.–7. Jh. n. Chr.) konnten die Forscher und Forscherinnen freilegen. Zählt man noch die Gefechtsstellungen aus dem Sechs-Tage-Krieg 1967 dazu, die auf dem Grabungsgelände liegen, ergibt das fast 3.000 Jahre Geschichte, die hier auf einem nur einige hundert Quadratmeter kleinen Grabungsgelände liegen.

Durcheinander der Zeiten und Ebenen

Der Strudel der Zeiten ist den Steinen am Zionsberg buchstäblich eingeschrieben. „Wir haben hier verschiedene Straßenniveaus, wo Häuser auf einmal wieder auf Straßen draufgebaut sind. In byzantinischer Zeit steht ein Haus wieder auf einer römischen Straße, sodass wir dann vom byzantinischen Straßenniveau, das höher gelegen ist, quasi in den Keller des römischen Hauses kucken können“, sagt Luisa Goldammer.

Luisa Goldammer und Lukas Wieselberg auf dem Zionsfriedhof
Andreas Schnadwinkel
Luisa Goldammer und der Autor auf dem Zionsfriedhof

Dieses Durcheinander der Zeiten und Ebenen ist typisch für ganz Jerusalem und erst recht für den Zionsberg. Ein Durcheinander, das schon bei der Verortung des Hügels südwestlich der heutigen Altstadtmauern beginnt. Im jüdischen Tanach ist mit „Zionsberg“ die Stadt Davids gemeint, die eigentlich auf einem weiter östlich gelegenen Hügel Jerusalems liegt. Als „Zion“ galt Jahrhunderte später der nördlich davon gelegene Tempelberg. Schließlich wanderte die Bezeichnung „Zionsberg“ an den heutigen Ort.

Cloaca Maxima erzählt Sozialgeschichte

An jeder Häuserecke klebt hier Geschichte, das zeigt sich auch beim riesigen Abwasserkanal aus römischer Zeit: der Cloaca Maxima. Im römischen Reich haben Abwassersysteme an vielen Orten für Hygiene gesorgt. Die berühmteste Cloaca Maxima liegt in Rom, und wird dort heute noch benutzt. Am Zionsberg in Jerusalem ist sie nur noch ein historisches Zeugnis. Erbaut wurde das Abwassersystem hier im zweiten Jahrhundert vor Christus. Seit einem großen Erdbeben im achten Jahrhundert ist es unbrauchbar. Für die Archäologie war es aber von großer Bedeutung: „Teile der Cloaca Maxima wurden von Archäologen im 19. Jahrhundert bei der Suche nach der eisenzeitlichen Stadtmauer als Tunnel benutzt. Damals hat man Tunnelgrabungen gemacht, d.h. man hat ein Stück der Stadtmauer gesucht, es gefunden und dann entlang des Fundaments gegraben, wie ein Tunnel eben“, erzählt Luisa Goldammer.

Heute wird die Cloaca Maxima am Zionsberg nicht mehr als Tunnel für Grabungen benutzt, das Kanalsystem ist aber Zeugnis einer lang zurückliegenden Klassenstruktur. Wie die ausgegrabenen Häuser in der Nähe des Abwasserkanals verraten, wohnte hier die untere Schicht der Bevölkerung. „Die Häuser sind klein, hier lag das Handwerkerviertel nahe der Stadtmauer, d.h. dort haben sich Müll und Abwasser gesammelt. Je näher man an der Cloaca Maxima gewohnt hat, desto niedriger war der soziale Stand.“

Ausgrabungen müssen wieder zugeschüttet werden

Im Gegensatz dazu wohnten die reichen Bürger ganz oben am Zionsberg. Über dem heutigen Friedhof wohnhaft blieben sie in ihren Villen fernab der Cloaca Maxima von Gestank und Müll verschont. Eines dieser Häuser einer wohlhabenden byzantinischen Familie aus dem 5. bis 6. Jahrhundert haben die Archäologen vor Kurzem freigelegt. „Es handelt sich um eine typische Villa, ein Repräsentationsbau mit großen Räumen, bunten Mosaiken, Empfangsräumen.“ Die Archäologen mussten das Haus, nachdem sie alles vermessen und dokumentiert hatten, wieder zuschütten. Das war schon vor Grabungsbeginn klar und nur so durfte überhaupt gegraben werden.

Grabungsgelände auf dem Zionsberg, im Hintergrund eine Gefechsstellung aus dem Sechstagekrieg
ORF – Lukas Wieselberg
Grabungsgelände auf dem Zionsberg, im Hintergrund eine Gefechtsstellung aus dem Sechs-Tage-Krieg

Grund dafür ist wieder die außergewöhnliche Lage und Bedeutung des Zionsbergs. Weil er religiös so aufgeladen ist, müssen die Ausgrabungen nicht nur von der israelischen Antikenverwaltung genehmigt werden, sondern auch von Vertretern der Religionsgemeinschaften. Konkret sind das hier Benediktiner der nahegelegenen Dormitio-Abtei, das armenische Patriarchat und eine Jeschiwa, eine Talmud-Schule orthodoxer Juden. Nicht alle sehen es gerne, wenn Archäologen und Archäologinnen in versteinerten Religionsvorstellungen bohren. Vor zwei Jahren haben sogar orthodox jüdische Brandstifter versucht, eine Grabung zu sabotieren.

Doch generell verläuft die Arbeit hier am Zionsberg friedlich und respektvoll, wie Luisa Goldammer betont. Mit ein Grund, warum das DEI daran denkt, das Gelände in ein paar Jahren auch für Touristen zu öffnen. Anreiz dazu gäbe es genug, nicht zuletzt auch wegen des Friedhofs, auf dem einige prominente Verstorbene liegen – wie etwa der britische Archäologe Flinders Petrie, der seine Knochen hier ruhen, seinen Kopf aber nach London überführen ließ. Doch das ist eine andere Geschichte.