Ragweed oder Ambrosia
ASSOCIATED PRESS
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Pollenallergie

Mit Käfern gegen lästiges Ragweed

Aus Nordamerika eingeschleppt, breitet sich Ragweed und die damit verbundene Allergie in Europa aus. Ein kleiner Käfer könnte diese Belastung reduzieren. Doch auch bei dem Insekt handelt es sich um eine eingeschleppte Art – und das birgt Risiken.

Menschen mit einer Allergie gegen Ragweed-Pollen kennen die Symptome: Die Nase rinnt, die Augen jucken, der Hals kratzt, manchmal fällt das Atmen schwer. Eine Allergie gegen die Pollen der Ambrosia, wie die Pflanze auch genannt wird, ist weit verbreitet. Ein europäische Forschungsteam hat eine umfassende Analyse dazu vorgelegt, die soeben in Nature Communications erschienen ist. Sie haben beleuchtet, wie weit Ambrosia in Europa verbreitet ist, wie schwer die Pollenbelastung ist und welche Kosten für die Gesundheitssysteme damit verbunden sind.

Käfer als Unkrautvernichter

Laut dieser Hochrechnung sind in Europa 13,5 Millionen Menschen von einer Ragweed-Allergie mit spürbaren Symptomen betroffen. Und diese Allergie verursacht Kosten von mehr als sieben Milliarden Euro für die europäischen Gesundheitssysteme. Ein natürlicher Fressfeind der Ambrosia könnte jetzt dazu beitragen, die Pollenbelastung zur Hochsaison im August und September zu reduzieren und so auch die damit verbundene Belastung für die Betroffenen und die Kosten für die Gesundheitssysteme. Der kleine Käfer heißt Ophraella communa und wurde 2013 erstmals in Europa, in Norditalien, entdeckt.

Blattkäfer Ophraella communa.
Heinz Müller-Schärer

Die Käferart dürfte unbeabsichtigt per Flugzeug nach Europa gekommen sein und hat sich seitdem rund um Mailand stark verbreitet. Der vier Millimeter lange, gelbbraune Blattkäfer legt seine Eier auf der Ragweed-Pflanze ab. Die geschlüpften Larven fressen Blätter und Blüten und verhindern damit, dass der allergieauslösende Pollen in die Luft gelangt. Die europäische Studie, an der auch der Botaniker Gerhard Karrer von der Universität für Bodenkultur beteiligt war, hat gezeigt, dass der kleine Käfer dabei sehr effektiv ist. „Diese Larven vernichten unter optimalen Bedingungen fast 100 Prozent der grünen Pflanzenmasse“, so Karrer.

80 Prozent weniger Pollenbelastung

Und das hat Folgen für die Pollenbelastung durch Ragweed: Die hat sich laut Studie rund um Mailand seit Ausbreitung des Fressfeindes um mehr als 80 Prozent verringert. Eine andere Erklärung für den Rückgang gebe es nicht, sagt der Studienleiter Urs Schaffner, der am Center for Agriculture and Bioscience International (CABI) in Delémont in der Schweiz zu Fragen des Ökosystem Managements forscht. „Man kann diesen Rückgang nicht klimatisch erklären, man kann ihn nicht mit Veränderungen der geographischen Verbreitung von Ambrosia erklären, der einzige Grund ist der Käfer selber“, so Schaffner.

Die Studie:

„Biological weed control to relieve millions from Ambrosia allergies in Europe“ von Urs Schafnner et al. ist in Nature Communications erschienen.

Das haben Schaffner und das internationale Team nicht nur anhand von Daten europäischer Pollenmessdienste nachgezeichnet, auch ein Feldversuch in der Po-Ebene belegte diesen kausalen Zusammenhang. Dafür wurden an verschiedenen Standorten etwa 400 Quadratmeter große Flächen definiert und untersucht, wie viele Keimlinge von Ambrosia überleben können, und wie viel Pollen pro Quadratmeter in die Luft gelangt. Dort, wo sich der Käfer normal verbreiten konnte, wurden die Ragweed-Pflanzen stark dezimiert. Auf den Kontrollflächen, auf denen die Käfer mit einem Insektizid vernichtet wurden, gelangte genauso viel Pollen in die Luft, wie vor der Ankunft des Käfers in Norditalien.

Baldige Ankunft in Österreich wahrscheinlich

Damit Ophraella communa sein Fressfeindpotential voll entfalten kann, sollte ein warmes, nicht allzu trockenes Klima vorherrschen. Denn idealerweise produziert der kleine Käfer im Lauf einer Saison, von Frühling bis Herbst, mehr als drei Generationen. Das beobachte man bis dato nur in Südeuropa und in Südosteuropa, sagt Schaffner. „In Norddeutschland könnte sich der Käfer vielleicht etablieren, aber unter derzeitigen Bedingungen nie drei Generationen durchlaufen“, so Schaffner weiter. Es brauche aber die Larven, um das Ragweed entscheidend zu dezimieren.

Frau schneuzt sich in Taschentuch, dahinter Ragweed
CABI
Laut Hochrechnung sind 13,5 Millionen Menschen in Europa von einer Ragweed-Allergie betroffen.

In Slowenien und Kroatien wurde der Käfer bereits entdeckt, sagt Co-Autor Karrer. „Deswegen ist zu erwarten, dass er bald einmal auch in der Südsteiermark und im südöstlichen Burgenland auftauchen wird“, so der Botaniker. 2021 sei es spätestens soweit. Laut der Studie werden die Ambrosia-Fressfeinde zwar nicht das Ende der Ragweed-Allergien in Europa einläuten, sie können die Belastung zukünftig doch um einiges reduzieren und damit auch die Kosten für die Gesundheitssysteme. Wenn es dem Käfer gelingt, seine ökologische Nische zu besetzen, könnten 2,3 Millionen Allergikerinnen und Allergiker ohne Symptome durch das Jahr kommen. Die Kosten für die europäischen Gesundheitssysteme könnten um 1,1 Milliarden Euro sinken.

Mögliche Gefahr für Sonnenblumen

Dass der eingeschleppte Käfer zu einem großen Problem für andere Pflanzenarten werden könnte, glauben die Forscherinnen und Forscher nicht. Auch wenn die Risikoanalyse in diesem Fall ungewöhnlich sei, wie Schaffner erklärt: „Eigentlich braucht die Wissenschaft etwa fünf bis zehn Jahre, um eine neue Methode der biologischen Unkrautbekämpfung bewerten zu können, ihre Chancen und Risiken zu ermitteln und zwar bevor die zum Einsatz kommt“, so Schaffner. Also um zu überprüfen, ob der fremde Fressfeind auch heimische Natur- und Kulturpflanzen angreifen könnte. In diesem Fall sei der Käfer bereits da. Und es gebe einige Untersuchungsergebnisse aus Australien und China, wo Ophraella communa schon gegen Ragweed eingesetzt wurde.

Die größte Gefahr vermutete man für Sonnenblumen, die mit der Ambrosia verwandt sind. „Doch unsere Studien und auch andere deuten darauf hin, dass das unter Feldbedingungen nicht der Fall ist“, so Schaffner. Der Käfer frisst zwar auch Sonnenblumen, doch er befällt sie erst im Herbst, zu einem Zeitpunkt, der für den Ertrag keine Rolle mehr spielt. Und auch für andere heimische Pflanzen scheinen die Risiken nach heutigem Wissensstand gering zu sein. Aber eine endgültige Risikoeinschätzung gebe es nicht, ergänzt Karrer. „Der Käfer setzt seine Ausbreitung unbeirrt fort und wir können so in einem unkontrollierten Großversuch eine biologische Invasion verfolgen“, so der Botaniker. Das sei ein seltenes Ereignis in der Forschung.

Internationales Vorgehen schwierig

Im Fall des Käfers habe man wahrscheinlich Glück gehabt, meint Studienleiter Schaffner. Als sich der Käfer in Europa ausbreitete, gab es bereits ein laufendes EU-Projekt über Ambrosia und die Ausbreitung der Pflanze. „Wir haben in Europa institutionell nach wie vor ein großes Problem, wenn es darum geht, eingeschleppte Arten bewerten und gegebenenfalls gemeinsam darauf reagieren zu können“, so Heinz Müller-Schärer von der Universität Fribourg, der Koordinator des EU-Projektes und Mitautor der Studie. Das sollte sich bald ändern, denn auch bei zufällig eingeführten Arten müsste eine europaweite Risikoanalyse durchgeführt werden. „Wir arbeiten daran“, meint Müller-Schärer.