Eine Schülerin beim Heimunterricht mit ihrer Mutter im elterlichen Wohnzimmer.
APA/ERWIN SCHERIAU
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Homeschooling

Tücken des Fernunterrichts werden untersucht

Durch den Fernunterricht zu Hause könnten benachteiligte Schülerinnen und Schüler weiter in ihren Lernleistungen zurückfallen. Welche Konsequenzen der digitale Ersatzunterricht tatsächlich hat und wo er funktioniert, untersucht aktuell ein Forschungsprojekt in Wien – und versucht das E-Learning der Zukunft zu verbessern.

Aktuell sind alle Lehrerinnen und Lehrer an den Wiener Neuen Mittelschulen und AHS-Unterstufen dazu aufgerufen, einen Onlinefragebogen auszufüllen. Damit will man herausfinden, welche Unterrichtsstrategien in den letzten Wochen entwickelt wurden, erklärt der Sozial- und Politikwissenschaftler Mario Steiner vom Institut für Höhere Studien IHS. „Da gibt’s natürlich die ganze Bandbreite an möglichen Strategien, wie man damit umgeht. Das unter Anführungszeichen Schöne an solchen Krisenzeiten ist ja, dass es ganz viele kreative Lösungen gibt.“

Projekt

Die Forschungsprojekte sind zwei von insgesamt 24 Forschungsprojekten, die

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 4.5., 7:00 Uhr.

Anhand der Ergebnisse der Onlinebefragung werden Steiner und seine Kollegen im Herbst gezielt Familien aufsuchen und zu ihren Erfahrungen und Strategien befragen. Wie viele Experten geht auch der Soziologe davon aus, dass durch den wochenlangen Fernunterricht vor allem ohnehin benachteiligte Schüler weiter abgehängt werden. Schon jetzt gilt nämlich: Je mehr das Lernen zu Hause stattfindet, desto mehr hängt der Lernerfolg von der Bildung der Eltern, der Lernkultur zu Hause und den finanziellen Mitteln ab. „Wo sich Eltern nicht mit den Kindern hinsetzen können, um Aufgaben mit ihnen zu machen bzw. sich keine Nachhilfe leisten können, wo es also eine Form von Ressourcenmangel gibt, ist oft ein Leistungsdefizit die Folge.“

Schulsystem schafft Nachteile

Schon bisher wird im österreichischen Bildungssystem mit Hausaufgaben, Vorbereitungen für Tests bzw. Schularbeiten und Projekten viel von der Schule ins Private übertragen, kritisiert Steiner. Die Folge davon ist eine soziale Selektion der Schülerinnen und Schüler. Demnach haben beispielsweise Jugendliche aus Familien mit geringem sozioökonomischen Status ein fünfmal so hohes Risiko, im Alter von 15 Jahren nicht sinnerfassend lesen zu können und andere Basiskompetenzen nicht zu beherrschen – verglichen mit Schülern und Schülerinnen aus privilegierten Elternhäusern.

Mit dem Fernunterricht kommen in manchen Familien noch Probleme wie mangelnde Technik und zu wenig Platz hinzu, was das Lernen zu Hause zusätzlich erschwert. Auch müssen Eltern plötzlich noch mehr ihren Kindern helfen und erklären, wenn sie etwas nicht verstehen. „Sie übernehmen also die Rolle der Lehrer. Hier kann es schon am Sprachverständnis der Eltern scheitern.“

Welche Unterrichtsmethoden selbst in solchen Fällen funktionieren und welche nicht, wird sich erst zeigen, aber: „Schon jetzt lässt sich die Hypothese formulieren, dass je mehr Lehrer den Kontakt zu ihren Schülern suchen und sie aktiv unterstützen, desto integrativer dürfte es sein.“

Positive Strategien der Lehrer und Eltern

Steiner und sein Team sind aber nicht die Einzigen, die die Unterrichtsmethoden in Zeiten der Schulschließungen analysieren. Ein vergleichbares Projekt führt aktuell auch die Soziologin Ursula Holtgrewe vom Zentrum für Soziale Innovation ZSI durch. Alle zwei Wochen befragen sie und ihr Team ca. 50 Lehrer und Lehrerinnen, rund 480 Schüler unterschiedlichen Alters und deren Eltern an sechs Wiener Schulen.

Sowohl Steiner als auch Holtgrewe hoffen, damit nicht nur etwas über die sozialen Auswirkungen der Schulschließungen zu lernen. Vielmehr geht es auch darum, neue digitale Unterrichtskonzepte für die Zukunft zu sammeln. „Auch ohne Coronabedingungen liegt die Zukunft im pädagogischen Bereich ja im E-Learning. Hier haben wir noch keine wirklich konkreten Ideen, wie wir sicherstellen, dass dadurch nicht wieder die bekannten Benachteiligungsstrukturen reproduziert werden oder man weitere Gruppen von Schülern verliert“, erklärt Steiner.

Unabhängig davon braucht es aber für die nächsten Monate und Jahre eine Bildungsoffensive, um etwaige entstandene Nachteile auszugleichen. Dabei müsse man sich gezielt bestimmten Zielgruppen widmen und zurückgefallenen Schülerinnen und Schülern Rückenwind geben, betont Steiner.