Sozialwissenschaft

Coronavirus ist eher „Katastrophe als Krise“

Die Coronavirus-Pandemie ist nach Überzeugung des deutschen Sozialwissenschaftlers Martin Voss eine Katastrophe. Dass von ihr in der Regel als Krise gesprochen wird, sieht er kritisch.

„Es fehlen bei der Coronavirus-Pandemie die zerstörerischen Bilder und die sofort sichtbaren großen Opferzahlen, die verwundeten Menschen und zerstörten Häuser“, sagte Martin Voss, der die Katastrophenforschungsstelle (KFS) an der Freien Universität Berlin leitet, der Deutschen Presse-Agentur. So erscheine es vielen, als wäre alles noch nicht ganz so schlimm.

Alle Bereiche betroffen

„Wir haben in den Köpfen ein Bild von einer Katastrophe als Sturm oder Hochwasser“, so der Wissenschaftler. Die Pandemie werde jedoch ein Vielfaches der Opfer fordern wie etwa der Tsunami von 2004 oder das Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010. Voss nennt die Coronavirus-Pandemie eine „komplexe Katastrophe“, weil praktisch alle Bereiche betroffen und die Auswirkungen nicht wirklich absehbar seien.

Die meisten Menschen würden allerdings nicht an der Infektion sterben, sondern an den damit verbundenen indirekten Folgen. „Die Pandemie steht exemplarisch für die komplexen Katastrophen, die uns im 21. Jahrhundert in einer vernetzten Welt zunehmend drohen“, warnte Voss.

Ob die Politik angemessen auf die Bedrohung durch die Coronavirus-Pandemie reagiert hat, lasse sich erst auf längere Sicht beantworten. „Wir operieren am offenen Herzen der Gesellschaft in Echtzeit und haben davor gar nicht geübt“, sagte er. Offen sei auch, ob die Coronavirus-Krise zu mehr Solidarität führe oder im Gegenteil zu mehr Egoismus.