Forscher mit Schutzanzug und Pipette im Labor
AFP/NICOLAS ASFOURI
AFP/NICOLAS ASFOURI
SARS-CoV-2

Stammt das Virus aus dem Labor?

Das neue Coronavirus verfügt über eine besonders wirkungsvolle Methode, um menschliche Wirtszellen zu infizieren. Könnte diese Eigenschaft durch genetische Manipulation entstanden sein? Der Virologe Tim Skern hält das für extrem unwahrscheinlich.

science.ORF.at: Herr Skern, glauben Sie, dass SARS-CoV-2 aus einem Labor stammt?

Tim Skern: Als Wissenschaftler glaube ich nichts. Ich akzeptiere Daten als Beweis oder Widerlegung einer Hypothese. In diesem Fall sieht man an den Daten: Das Virus kommt keineswegs aus einem Labor, es stammt aus der Natur.

Virologe Tim Skern im Labor
Tim Skern

Zur Person

Tim Skern forscht an der an MedUni Wien im Bereich Virologie und leitet ebenda das Zentrum für medizinische Biochemie.

Im Erbgut von SARS-CoV-2 gibt es zwei Regionen, die Anlass gaben für Spekulationen über dessen Herkunft. Das ist zunächst das Gen für das sogenannte Spike-Protein. Was ist die Aufgabe dieses Proteins?

Skern: Viele Viren brauchen Moleküle, mit denen sie sich an die Wirtszellen anheften. Das Coronavirus tut das mit Hilfe des Spike-Proteins. Das Protein bindet ganz spezifisch an die Zelle und ermöglicht dem Virus den Eintritt. Es ist sozusagen der Barcode des Erregers.

SARS-CoV-2 bindet besser an die Zellen als verwandte Erreger, stimmt das?

Skern: Ja, das konnte man sogar messen. Es bindet sieben bis zehn Mal besser als SARS.

Könnte das ein Hinweis auf genetische Optimierung sein?

Skern: Es handelt sich um eine genetische Optimierung – aber eine, die aus der Natur stammt. Viren probieren viele Möglichkeiten, um in Zellen einzudringen. Und manchmal ziehen sie eben den Jackpot. Das ist bei diesem neuen Virus passiert, es hat eine ganz andere Methode gefunden, um an den ACE2-Rezeptor der Wirtszellen zu binden. Diese Methode wurde vorher von der Wissenschaft nicht gesehen.

Was macht Sie so sicher, dass die Gensequenz in der Natur entstanden ist?

Skern: Wenn man die Sequenzen analysiert, sieht man, dass die Bindungssequenz von einem Vorläufer von SARS-CoV-2 stammt, der sie wiederum vor rund 40 Jahren von einem anderen Virus erhalten hat. Man nennt das Rekombination, das passiert in der Natur sehr häufig.

Den direkten Vorläufer hat man aber noch nicht aufgespürt?

Skern: Nein, bisher nicht.

Modell des Coronavirus und des Spke-Proteins
AFP/National Institutes of Health
Modell des Coronavirus und des Spike-Proteins

Auffällig im Erbgut von SARS-CoV-2 ist auch eine sogenannte Furin-Spaltstelle. Was hat es damit auf sich?

Skern: Diese Sequenz kennt man bereits von einem Fledermausvirus namens HKU9. Im Fall des Coronavirus kann man erkennen, dass auch diese Sequenz durch Rekombination mit einem anderen Virus entstanden sein muss, davor liegt nämlich ein Bereich, der es der RNA ermöglicht, von einem Viruserbgut zu einem anderen zu springen.

Warum ist diese Spaltstelle – im Englischen „furin cleavage site“ genannt – so wichtig?

Skern: Normalerweise werden Coronaviren als Ganzes von der befallenen Zelle aufgenommen. Die Spaltstelle bewirkt, dass die Membranen von Virus und Wirtszelle fusionieren – und nur die RNA in die Wirtszelle gelangt. Die Sequenz stattet SARS-CoV-2 also mit einem zusätzlichen Zugang zur Zelle aus. Und das macht es für uns schwieriger, den Erreger mit Hilfe von Medikamenten zu stoppen. Man muss beide Möglichkeiten hemmen.

Ähnliche Spaltstellen besitzen auch andere Erreger, etwa HIV, Dengue und Ebola. Ist das der Grund, warum diese Viren so gefährlich sind?

Skern: Ja, das ist sozusagen der Zünder der Bombe. Viren verstecken oft ihre infektiösen Anteile und werden erst dann aktiv, wenn sie auf geeignetes biologisches Material treffen. Das ist die Funktion dieser Spaltstellen.

Bei mit SARS-CoV-2 nahe verwandten Coronaviren gibt es diese Sequenz allerdings nicht – weswegen spekuliert wurde, sie könnte künstlich eingefügt worden sein. Was halten Sie davon?

Skern: So würde das kein Virologe machen. Wäre die Sequenz eingefügt worden, sähe sie anders aus.

Inwiefern?

Skern: Jede RNA-Sequenz besteht aus Blöcken zu je drei Buchstaben. Drei Buchstaben stehen für eine Aminosäure in einem Protein. Bei dieser Sequenz ist der Dreier-Raster allerdings verschoben. Wenn man eine Sequenz einfügt, tut man das normalerweise innerhalb des Leserasters.

Zugegeben, das ist nun sehr spekulativ: Könnte ein verrückter Wissenschaftler den Leseraster bewusst verschoben haben, um die Manipulation „natürlich“ aussehen zu lassen – und somit seine Tat zu verschleiern?

Skern: Sie sehen: Es braucht ganz schön komplizierte Theorien, um den Ursprung aus dem Labor irgendwie plausibel machen zu können. Aber selbst dann funktioniert es nicht. Wenn man sich die anderen Sequenzen im Erbgut von SARS-CoV-2 ansieht, fällt auf, dass es weitere Unterschiede zu Fledermaus-Coronaviren gibt. Viele Basen im RNA-Strang – wir nennen sie Wobble-Basen – wurden ausgetauscht. Das ist nur durch eine 40 Jahre dauernde Evolution zu erklären. Wenn jemand so fies wäre, einen falschen Leseraster einzufügen, müsste diese Person auch alle anderen Änderungen im Viruserbgut vornehmen. Das wäre eine Herkulesarbeit, die mit den verfügbaren Methoden eigentlich nicht zu bewältigen ist.

Wie sieht es mit dem Ursprung von SARS-CoV-2 aus? Gilt der Großhandelsmarkt in Wuhan noch immer als der primäre Infektionsort?

Skern: William Gallaher aus New Orleans hat die Hypothese formuliert, dass das Virus ganz woanders entstanden ist, nämlich in Yunan, im Südosten Chinas. Dort ist die Diversität der Fledermaus-Coronaviren sehr hoch. Er geht davon aus, dass der Erreger von einem infizierten Menschen von Yunan nach Wuhan eingeschleppt wurde.

Der Markt als Ursprung ist fraglich?

Skern: Der Markt ist ein Ort, an dem sich viele Menschen angesteckt haben. Aber dass er der primäre Infektionsort war, ist für mich überhaupt nicht gesichert.

Wie wahrscheinlich ist es, dass in Zukunft wieder ein Coronavirus vom Tier auf den Menschen überspringt?

Skern: Ich denke, in Gegenden wie Yunan passiert das sogar häufig. Doch die meisten Infektionen sind Sackgassen und können nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden. Mich würde interessieren: Wie viele Antikörper gegen Coronaviren lassen sich in der Bevölkerung von Yunan nachweisen? Das sollte man untersuchen.