Der französische Opernsänger Gabriel Bacquier
AFP – GERARD FOUET
AFP – GERARD FOUET

Wie Superspreader die Pandemie antreiben

Was macht Menschen zu Superspreadern, die das Coronavirus viel häufiger verbreiten als andere Menschen? Laut Forschern halten sich diese „Superverbreiter“ nicht nur am „richtigen Ort“ auf – Stichwort: Apres-Ski-Hütte in Ischgl –, sondern haben auch eine Reihe von Merkmalen.

Bei SARS-CoV-2 nehme man an, dass ein Infizierter ohne Gegenmaßnahmen durchschnittlich drei andere Menschen anstecken würde, sagt der Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg. Eine exakte Grenze, ab wie vielen Ansteckungen man als Superspreader gilt, gebe es nicht. Oft könne im Nachhinein auch nicht mehr zweifelsfrei geklärt werden, ob wirklich alle Fälle auf eine Quelle zurückgehen.

Große Unterschiede bei Ansteckungen

Das Phänomen macht jedenfalls deutlich, dass die sogenannte Reproduktionszahl bei SARS-CoV-2 täuschen kann: Liegt der R-Wert zum Beispiel bei 1, heißt das, dass ein Infizierter im Durchschnitt einen anderen Menschen ansteckt. Als Laie mag man sich darunter eine gleichmäßige Ausbreitung vorstellen.

Wissenschaftler nehmen allerdings bei SARS-CoV-2 inzwischen eine deutliche Ungleichverteilung an: Dass wenige Leute ganz viele andere Menschen anstecken, die meisten Infizierten hingegen niemanden oder nur wenige Menschen, wie der Virologe Christian Drosten kürzlich im NDR-Podcast zusammenfasste. Je nach Schätzung machten 20 Prozent der Infizierten – oder noch weniger – 80 Prozent der Ausbreitung aus.

Virus im Rachen, laute Stimme, viel Schleim

Aber woran liegt es, dass nur manche Menschen so extreme Virenschleudern sind? Komplett verstanden ist das noch nicht. „Superspreading ist wahrscheinlich eine Mischung aus Eigenschaften einer Person und der Situation“, sagt Salzberger. Voraussetzung ist demnach ein Infizierter, bei dem sich das Virus gerade stark im Rachen nahe den Stimmbändern vermehrt, der eine laute Stimme hat und der über genügend Schleim zur Tröpfchen- und Aerosolbildung verfügt.

Letzteres sei ein Kriterium, das ältere Menschen mit eher trockenen Schleimhäuten weniger zu Superspreadern mache, schildert Salzberger. Wie der Infektionsepidemiologe Udo Buchholz vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin ergänzt, gibt es auch gesunde Menschen, die beim Atmen und Sprechen von Natur aus mehr Partikel ausstoßen als andere.

Singen und lautes Sprechen „ideal“

Wer allerdings zum hochansteckenden Zeitpunkt zu Hause sitzt – beim Coronavirus ist das nach derzeitigem Kenntnisstand wohl oft der Tag vor Symptombeginn -, wird eher kein Massenverbreiter. Neben einem Anlass gelten auch die Zahl der Kontakte und das Verhalten als entscheidend: „Singen und lautes Sprechen sind die besten Wege, um ein Aerosol zu erzeugen“, sagt Salzberger.

Aerosole sind feinste Tröpfchenkerne, die im Gegensatz zu größeren Tröpfchen längere Zeit in der Raumluft schweben können. Vermutet wird derzeit, dass ein guter Teil der Coronavirus-Ansteckungen darauf zurückgeht – gerade in Situationen wie Chorproben und Gottesdiensten, bei denen Teilnehmer nicht nur einige Minuten zusammen verbringen.

Superspreading kann Experten zufolge aber auch über Tröpfchen passieren, obwohl diese schneller zu Boden fallen als Aerosole, man einem Infizierten für eine Ansteckung also recht nahe kommen muss. Ein Beispiel dafür wäre eine Bar, in der die Gäste bei einem infizierten Barkeeper bestellen. Generell gilt laut Studien für SARS-CoV-2, dass Ansteckungen in Räumen sehr viel wahrscheinlicher sind als im Freien.