„Cold Atom Lab“ auf der Raumstation ISS
NASA
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Raumstation

Quantenwolken im Weltraum

Wissenschaftlern ist auf der Raumstation ISS ein im Wortsinn „cooles“ Experiment geglückt: Sie haben Rubidium-Atome in den Zustand eines ultrakalten Quantengases versetzt und damit Experimente gemacht, die die Satellitennavigation revolutionieren könnten.

25 Jahre ist es mittlerweile her, dass Physiker zum ersten Mal ein sogenannten Bose-Einstein-Kondensat hergestellt haben. Ein technologischer Durchbruch, der bald danach mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Die Herstellung dieses einst von Albert Einstein und Satyendranath Bose in der Theorie vorhergesagten Materiezustandes ist aufwändig, man muss einzelne Atome in Magnetfallen sperren, sie dort zur „Levitation“, also in einen Schwebezustand bringen – und dann das Ganze auch noch fast bis zum absoluten Nullpunkt abkühlen.

Umso erstaunlicher ist es, dass solche Experimente nun auch unter den erschwerten Bedingungen möglich sind, wie man sie beispielsweise im „Cold Matter Lab“ auf der Raumstation ISS vorfindet. Das dafür notwendige technische Upgrade nahmen die beiden Astronautinnen Christina Koch und Jessica Meir est im Jänner dieses Jahres vor.

„Cold Atom Lab“ auf der Raumstation ISS
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„Cold Matter Lab“ der ISS

In der aktuellen Ausgabe von „Nature“ berichten nun Wissenschaftler um David Aveline von ihrem jüngsten Versuch, die Vorgehensweise war ähnlich, wie das in Laboratorien auf der Erde der Fall ist, doch im Detail gibt es ein paar wichtige Unterschiede. In die Kategorie „irdisch“ fällt etwa die Wahl der Materiebausteine.

Die Methode mit dem Kick

Aveline und sein Team verwendeten für ihre Versuche Rubidium-Atome, sie haben eine gerade Anzahl von Protonen und Neutronen und sind daher geeignet, sich zu einer Atomwolke zu vereinigen, in der es keinen Unterscheid mehr gibt zwischen Individuum und Kollektiv, soll heißen: Egal, wie viele Atome vorhanden sind, sie verhalten sich so, als wären sie eins. In diesem Zustand treten dann Eigenschaften wie bei Supraflüssigkeiten auf – vorausgesetzt, man hat die Atome bereits stark genug abgekühlt.

Dafür bedarf es einiger Arbeitsschritte, der letzte und entscheidende heißt im Fachjargon „evaporative cooling“. Dabei werden die schnellsten (und somit wärmsten) Atome durch Strahlung aus der Magnetfalle herausgekickt, der verbliebene Rest begibt sich dann in ebenjenen sonderbaren Zustand, den man Bose-Einstein-Kondensat (BEC) nennt.

Damit allein geben sich Physiker freilich nicht zufrieden. Sie wollen auch wissen, wie sich so ein BEC verhält. Um die Atomwolke untersuchen zu können, müssen sie die Atome wieder aus der Magnetfalle befreien. Woraufhin sich die abstoßenden Kräfte der Atome binnen kürzester Zeit aufschaukeln – und sich das BEC bis zur Unkenntlichkeit verdünnt.

Vorteil der Schwerelosigkeit

Bei diesem Problem bieten die Experimente im Weltraum einen großen Vorteil: Im Zustand der Schwerelosigkeit konnten Aveline und seine Kollegen auch anderen Typen von Magnetfallen verwenden und die Untersuchungszeit auf mehr als eine Sekunde ausdehnen.

Das mag nach nicht viel klingen, doch auf der Erde dauert die Ausdehnung des BECs Millisekunden, dann ist der Spuk wieder vorbei. So gesehen ist eine Sekunde eine halbe Ewigkeit – wertvolle Zeit, um zu untersuchen, was im Inneren des Atomkollektivs vor sich geht. Davon abgesehen böten sich die schwerelosen Bose-Einstein-Kondensate auch als superempfindliche Sensoren an, etwa im Bereich der Interferometrie. Besonders die Satellitennavigation und die Erdbeobachtung könnten von solchen Atom-Interferometern profitieren. Und nicht zuletzt könnte man mit einem solchen Gerät auch Gravitationswellen untersuchen.

Die Existenz dieser Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit wurde ebenfalls von Albert Einstein vorhergesehen. Auch in diesem Fall war der Weg von der Theorie bis zum Experiment ein langer und beschwerlicher. Einsteins führte seine Berechnungen im Jahr 1916 durch, der erste Nachweis gelang im Jahr 2016. Natürlich wurde auch diese Pioniertat mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.