Schatten von Gewaltszene
APA/dpa/Maurizio Gambarini
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Metastudie

Gewalt lässt Kinder schneller altern

Wer als Kind Gewalt oder Missbrauch erlebt, leidet oft ein Leben lang unter psychischen und körperlichen Folgen. Die schlimmen Erfahrungen lassen Körper und Gehirn buchstäblich schneller altern, wie nun eine große Studie belegt: Betroffene Kinder kommen u. a. früher in die Pubertät.

Traumatische Kindheitserlebnisse gehen selten spurlos vorbei: Betroffene leiden als Erwachsene häufig unter Depressionen und Angststörungen und sind auch anfälliger für schwere körperliche Erkrankungen wie Diabetes. Womöglich lässt das früh erlebte Unglück den Körper tatsächlich biologisch früher altern, wie das mittlerweile zahlreiche Studien nahelegen. Die Ergebnisse sind aber nicht ganz eindeutig, wie die Forscherinnen um Katie A. McLaughlin von der Harvard University schreiben.

Das könnte daran liegen, dass man nicht alle Unglückserfahrungen in einen Topf werfen kann. Armut sei beispielsweise nicht dasselbe wie Gewalt, Verlust oder Vernachlässigung. Um eine solche Vermischung zu vermeiden, haben McLaughlin und ihre Kolleginnen die vorhandene wissenschaftliche Literatur zum Thema nun noch einmal systematisch durchsucht und dabei zwei Arten von Traumen unterschieden: solche, die mit körperlicher Bedrohung zu tun haben, wie Gewalt oder Missbrauch, und solche, die mit Mangel zu tun haben, wie etwa Armut und Vernachlässigung. Insgesamt 80 Studien mit mehr als 110.000 bis zu 18-jährigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden berücksichtigt.

Messbare Folgen

Gewalterfahrungen hatten laut den Forscherinnen tatsächlich messbare körperliche Folgen: Betroffene Buben und Mädchen kamen früher in die Pubertät und die Zellen waren deutlich schneller gealtert als es bei Gleichaltrigen der Fall war. Armut und Vernachlässigung in den ersten Lebensjahren hatte hingegen keine derartigen Konsequenzen.

Mädchen hälft sich die Hände vors Gesicht
APA/DPA/NICOLAS ARMER

25 Studien beschäftigten sich auch mit den kognitiven Auswirkungen von Kindheitstraumen. In allen Fällen war die Gehirnentwicklung betroffen, aber auf unterschiedliche Art und Weise. Bei Gewalt waren Regionen betroffen, die für soziale und emotionale Verarbeitung zuständig sind, bei Vernachlässigung war hingegen die Wahrnehmung stärker beeinträchtigt.

Sinnvolle Reaktion

Wie die Autorinnen schreiben, ist die Reaktion der kindlichen Körper aus evolutionärer Sicht durchaus sinnvoll: In einem bedrohlichen und unvorhersehbaren Umfeld sei es wünschenswert, schneller erwachsen zu werden, um der Situation früher zu entkommen oder um sich fortzupflanzen, bevor etwas passiert. Langfristig können die Anpassungen aber schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben.

Das unterstreiche die Notwendigkeit von frühen Interventionen: „Dass wir so früh schon Folgen sehen, zeigt, wie früh solche biologischen Mechanismen in Gang gesetzt und die Weichen für spätere gesundheitliche Unterschiede gestellt werden“, meint McLaughlin in einer Aussendung. Man sollte daher auch schon möglichst früh ansetzen, um diese Spätfolgen zu verhindern.

Laut McLaughlin gibt es immerhin wirksame psychotherapeutische Behandlungen, um die psychischen Nachwirkungen schlimmer Kindheitserfahrungen zu lindern. Man müsse allerdings erst untersuchen, ob diese auch auf körperlicher Ebene helfen.