Schülerin in Kamerun
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Warum Afrika weniger betroffen ist

Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie hat man sich eine medizinische Katastrophe auf dem afrikanischen Kontinent erwartet – diese ist zumindest bisher ausgeblieben. Warum, darüber spekulieren Forscher noch. Ein internationales Forscherteam versucht nun eine Erklärung.

„Afrika war relativ gut vorbereitet, damit haben sie sich Zeit erkauft“, erklärt der Tropenmediziner Betrand Lell von der Medizinischen Universität Wien, der aktuell im zentralafrikanischen Küstenstaat Gabun forscht. Parallel zu Ländern in Europa wurden Maßnahmen wie Grenzschließungen, Reise- und Versammlungseinschränkungen eingeführt und es wurde vergleichsweise früh großflächig getestet, erläutern Lell und seine Kollegen in einem Artikel im Fachmagazin Science. Das war zu einem Zeitpunkt, wo einige afrikanische Länder noch keine Coronafälle hatten, so der Tropenmediziner.

Gesundheitspersonla misst Temperatur eines Schülers bei Schulöffnung in Nigeria
AFP/PIUS UTOMI EKPEI
Bei der teilweisen Schulöffnung in Nigeria gibt es strenge Gesundheitskontrollen

Dennoch rechnen Experten damit, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Zahlen steigen und die Spitäler überlastet werden. „Man hat für Afrika für Mai, Juni eine Katastrophe erwartet. Aufgrund der bekannten Probleme, wie schwachen Gesundheitssystemen, fehlenden finanziellen Spielraum für Maßnahmen und großen Ballungszentren.“

Alter und Immunsystem

Dass die befürchtete Katastrophe bis jetzt ausgeblieben ist, könnte einerseits daran liegen, dass die Bevölkerung in afrikanischen Ländern durchschnittlich viel jünger ist als in Europa oder Nordamerika und Jüngere von SARS-CoV-2 weniger stark betroffen sind. Während das Durchschnittsalter in der Europäischen Union etwa 43 Jahre ist, liegt der Altersmedian in Afrika bei knapp 20 Jahren. Das allein erkläre aber nicht, weshalb die Todesrate durchschnittlich 40 Mal niedriger ist als in Europa und den USA, so das internationale Forscherteam.

Eine weitere Rolle könnte demnach das Immunsystem spielen. Viele Menschen in Afrika leiden seit der Kindheit an Wurmerkrankungen. Das dämpft die Immunreaktion grundsätzlich, so Bertrand Lell. „Damit kann z.B. erklären, warum in Afrika Allergien seltener sind, oder Erkrankungen wie Asthma oder Autoimmunerkrankungen.“

Das könnte dem Körper im Kampf gegen SARS-CoV-2 zugutekommen. Wie sich bei COVID-19-Fällen nämlich immer wieder zeigt, kann eine überschießende Immunreaktion zu einem schweren Krankheitsverlauf bzw. zum Tod führen. „Ob das gedämpfte Immunsystem nun auch bei COVID-19 hilft, ist aber ‚reine Spekulation‘", so Lell. „Es ist aber ein interessanter Erklärungsversuch.“

Steigende Zahlen in Südafrika

Nicht ganz in dieses Bild passen hier allerdings die Geschehnisse in der Urwaldmetropole Manaus in Brasilien. Auch hier sind Parasiten weit verbreitet und trotzdem kam es früh zu einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Für Fragezeichen sorgt auch die Situation in Südafrika. Hier sind die Zahlen im Juli stark gestiegen. Über 60 Prozent aller Fälle auf dem afrikanischen Kontinent findet man dort. Und auch in anderen Ländern gab es Anstiege. Erklären kann Lell das nicht. "Allerdings gehen die Zahlen in Afrika jetzt wieder zurück seit einigen Tagen und Wochen.“

Gesundheitspersonal des südafrikanischen Militärs
AFP/MICHAEL SHEEHAN
Gesundheitspersonal des südafrikanischen Militärs

Sieht man sich die Anzahl der Todesfälle in Bezug auf die Bevölkerung an, sind in Südafrika bisher weniger Menschen an dem Virus verstorben als vergleichsweise in Großbritannien, der Schweiz oder Portugal.

Doch auch wenn die Todeszahlen vergleichsweise niedrig bleiben sollten, könnte die Pandemie einige Länder Afrikas hart treffen, da dort viele Menschen mit anderen Erkrankungen wie HIV, Malaria und Tuberkulose kämpfen. Experten befürchten als Folge der Pandemie Engpässe im Gesundheitssystem: beim Zugang zu Medikamenten, bei der ärztlichen Versorgung und den Spitalsbetten. „Schon im Normalfall ist es immer etwas schwierig, dass alle Gesundheitseinrichtungen rechtzeitig versorgt werden. Jetzt mit den Einschränkungen des Flugverkehrs ist das noch schwieriger. Wenngleich ich noch keine Fälle kenne, wo es zu großen Problemen gekommen ist“, erklärt Lell.