Flüssigkeit tropft aus einer Spritze
APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand
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Coronavirus-Impfstoffe

Erste werden vielleicht nicht die besten sein

Mehrere Impfstoffkandidaten nähern sich der Zielgeraden im Rennen um eine Impfung gegen SARS-CoV-2. Die ersten werden nicht unbedingt die erfolgreichsten sein, sagt nun ein Wiener Experte. Mehrere sehr unterschiedlich funktionierende Impfstoffe werden nötig sein, um das Coronavirus zu besiegen.

Abgesehen von Russland, das nach Eigenangaben den ersten Wirkstoff zugelassen hat, ohne freilich Studien nach internationalen Standards vorgelegt zu haben, gibt es weltweit einige Impfstoffkandidaten, die derzeit in der dritten und letzten Phase der klinischen Tests sind. Das heißt, hier wird an tausenden gesunden Menschen getestet, ob ein Impfstoff tatsächlich wirkt und ob er auch gut verträglich ist. In dieser Phase befindet sich unter anderem der Impfstoff des Pharmaunternehmens AstraZeneca, der gemeinsam mit der Oxford Universität entwickelt wird. Bereits für August sind erste Ergebnisse angekündigt. Eine weitere Studie soll demnächst in den USA starten, wie science.ORF.at vor Kurzem berichtet hat. Auch der Impfstoffkandidat des deutschen Herstellers BioNtech und seines US-Partners Pfizer sowie der US-Biotechkonzern Moderna gehören zu jenen, die bereits in der Phase III angekommen sind.

Neuartige Ansätze mit Wissenslücken

Dass diese Impfstoffe die Nase aktuell vorne haben, überrascht den Virologen und Impfstoffexperten Christian Mandl nicht. Diese Kandidaten verwenden nämlich zwei neuartige Wege, um eine Immunreaktion des Körpers auszulösen. Während AstraZeneca mithilfe eines modifizierten Erkältungsvirus genetisches Material von SARS-CoV-2 in den menschlichen Körper transportiert, setzen BioNtech/Pfizer und Moderna auf mRNA. Damit wird quasi eine Bauanleitung zur Herstellung von Antikörpern gegen das Virus injiziert. „Diese Plattformen haben genau den Vorteil, dass man relativ schnell einen Kandidaten entwickeln und produzieren kann. Da sie aber beide neu sind, muss man besonders genau prüfen. Man weiß einiges noch nicht, deshalb: Obwohl sie schon weit fortgeschritten sind, sind sie auch noch nicht am Ziel der Reise“, so der Impfstoffexperte Mandl.

Christian Mandl beobachtet die Forschungsfortschritte weltweit und berät unter anderem Firmen wie das österreichische Unternehmen Themis Bioscience, das selbst an einem Impfstoff forscht. (Anm.: Themis Bioscience wurde vom US-Konzern Merck Sharp & Dohme (MSD) übernommen.) Der österreichisch-US-amerikanische Ansatz verwendet das Masernvirus, um das Immunsystem gegen das neuartige Coronavirus zu wappnen. „Das Prinzip wird seit vielen Jahren verwendet und ist sehr sicher und zuverlässig.“ Braucht in der Entwicklung aber eben etwas länger. So befindet man sich erst in Phase I und testet den Impfstoff erstmals an einer kleinen Gruppe gesunder Menschen. Ähnlich ist es beim französischen Konzern Sanofi, erklärt Mandl. Auch hier setzt man auf Bewährtes. Erste klinische Tests sollen im September starten.

Zweimal impfen?

Die Impfstoffkandidaten lassen sich aber nicht nur danach unterscheiden, auf welche Weise Menschen immunisiert werden. Auch wie oft geimpft werden muss, um einen Schutz gegen das Coronavirus zu erreichen, könnte von Impfstoff zu Impfstoff divergieren. Wie bisherige Untersuchungen zeigen, werden bei den modernen Ansätzen vermutlich zwei Impfungen notwendig sein. „Wir kennen aus den bisherigen Untersuchungen die Immunantworten. Bei allen Kandidaten, wo Daten verfügbar sind, waren zwei Impfstoffgaben notwendig, um eine Antikörperhöhe zu erreichen, von der man vermuten kann, dass sie schützt.“

Als Untergrenze gilt hier die Menge an Antikörpern, die Menschen nach einer durchgemachten COVID-19-Erkrankung aufweisen. „Das könnte der Vorteil jener Impfstoffe sein, die derzeit noch weiter hinten in der Entwicklung sind. Diese Ansätze zeigen teilweise schon eine höhere Immunogenität und könnten demnach vielleicht mit einem Stich auskommen.“ Gewissheit wird es aber erst nach den klinischen Tests geben.

Mehrere Vakzine nötig

Unabhängig davon, welcher Impfstoff am Ende früher fertig ist: Um die Pandemie zu stoppen, wird es mehrere Impfstoffe brauchen, ist Mandl überzeugt. „Es wird kein einziger Anbieter in der Lage sein, genügend herzustellen, um so viele Menschen zu impfen, damit wir die Zirkulation des Virus entscheidend zurückdrängen und von einem Ende der Pandemie sprechen können.“

Aber auch viele Impfstoffe zu haben, ist erst der Anfang. Bis genügend Menschen immunisiert sind und erste Länder ein Abflauen der Pandemie beobachten können, wird es Monate dauern, ist Christian Mandl überzeugt.