Verkehrsschilder: Wegweiser Arzt und Dorfzentrum
APA/HARALD SCHNEIDER
APA/HARALD SCHNEIDER
Versorgung

Der Hausarzt und die Pandemie

Niedergelassene Ärzte und Ärztinnen leisten in der CoV-Pandemie einen wichtigen Beitrag – vor allem in ländlichen Bereichen, wie Beispiele zeigen. Doch es gibt auch Kritik. An zu großer Zurückhaltung der Ärzteschaft, an verwaisten Ordinationen und nicht durchgeführten Tests.

Ist das nächste Krankenhaus fern, ist die Allgemeinmedizin noch stärker gefragt. Dann landen viele Patienten und Patientinnen zuerst einmal beim praktischen Arzt. Deshalb kommt ihnen abseits der Ballungsräume in Zeiten der Pandemie eine besondere Rolle zu.

Das zeigen etwa die Erfahrungen von Wolfgang Drapela aus Sölden im Öztal. Als der ganze Ort im März 2020 unter Quarantäne gestellt wird, und sich die Infektionen häufen, ist seine Einschätzung zum neuen Virus begehrt. „Damals war es per ministeriellen Erlass verboten, in die Ordination zu kommen“, erinnert sich der Arzt. „Aber das war praktisch schwierig. Denn dieses Virus macht etliche Symptome, und in der überwiegenden Mehrheit gar keine Symptome.“ Rund 20 Patienten von Drapela waren in diesen Wochen positiv getestet worden. Manche mussten vom Hausarzt vor Ort betreut werden, vielen reichte eine mündliche Konsultation. „Es gab telefonischen Kontakt. Oft war nicht der Zustand das Problem, sondern die Leute waren einfach beunruhigt.“

Sendungshinweis:

Menschen & Mächte: Diagnose: Reformbedarf – Wie belastet ist unser Gesundheitssystem? Do., 12. 11., 21.05 Uhr, ORF 2.

Die Arbeit von Drapela und anderen Ärzten und Ärztinnen im Frühjahr hat entlastet, etwa das nächste Krankenhaus in Zams, gut 60 Kilometer entfernt. „Es sind tatsächlich auch die Leistungen, die im niedergelassenen Bereich getätigt wurden“, sagt Ewald Wöll, Ärztlicher Direktor am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams. „Durch unsere Kolleginnen und Kollegen in der Praxis, die viele Patienten ambulant, zu Hause oder im Hotel versorgt haben. Das ist für uns ein Schlüssel gewesen, warum wir das so gut stemmen konnten.“

Menschen & Mächte: Diagnose: Reformbedarf. Wie belastet ist unser Gesundheitssystem?

Dr. Friedrich Ritter gehört zu einer aussterbenden Spezies. Er ist Landarzt in Gasen in der Steiermark. Tag und Nacht erreichbar, auch am Wochenende. Er impft die Kleinen in der Schule, versorgt Verunglückte, kommt zu Sterbenden auf abgelegene Höfe. In einigen Jahren geht er in Pension. Viele Jungärzte wollen sich diese „Dauerverfügbarkeit“ am Land nicht mehr antun. Hier sollen Primärversorgungszentren mit mehreren Fachärzten und medizinischen Personal wie etwa Physiotherapeuten Abhilfe schaffen. Diese Zentren, derer es noch viel zu wenige gibt, sollen auch die Spitäler entlasten.

Ärzte in aktiver Rolle

Der praktische Arzt als Anlaufstelle, als Entscheidungsträger. Diese Rolle des wohnortnahen Allgemeinmediziners sei in Zukunft bedroht, befürchtet Kassenarzt Wolfgang Drapela. Denn immer weniger junge Ärzte und Ärztinnen wollen als Allgemeinmediziner aufs Land. „Gibt es dieses Netz an Ärzten in der Peripherie nicht mehr, bricht jedes Gesundheitssystem zusammen. Aber es braucht jemanden, der aufgrund seiner Ausbildung und seiner Erfahrung in der Lage ist, den Zustand eines Patienten richtig einzuschätzen und eine Entscheidung zu treffen.“

Wolfgang Drapela, Praktischer Arzt in Sölden
ORF
Wolfgang Drapela, Praktischer Arzt in Sölden, fürchtet um den Fortbestand des wohnortnahen Hausärztenetzes.

Die Versorgung, die derzeit Hausärzte übernehmen, wird in Zukunft stärker über Primärversorgungszentren organisiert werden. Diese Neuakzentuierung in der Primärversorgung ist es eines der großen Ziele der heimischen Gesundheitspolitik. „In Zeiten der Coronavirus-Pandemie werden sich die Zentren bewähren,“ sagt Gesundheitswissenschaftler Martin Sprenger von der Medizinischen Universität Graz. „In den Zentren hast du mehr Flexibilität, bessere räumliche Möglichkeiten, du kannst auch eine Infektionssprechstunde einrichten. Das kann man in einer Einzelordination auch sehr gut managen, aber es ist sicher mühsamer.“

In den Einzelordinationen der Landärzte kann die Verantwortung meist nicht aufgeteilt werden. Das führt zu einem zeitraubenden, familienfeindlichen Arbeitsalltag. Kassenarzt Friedrich Ritter aus Gasen in der Steiermark ist fast ständig erreichbar für seine Patientinnen und Patienten: „Wenn man verantwortungsbewusst ist, dann gibt man seine Privatnummer her. Wenn man hier im Ort ansässig ist, dann fühlt man sich verantwortlich.“

Friedrich Ritter, Praktischer Arzt in Gasen, führt mittlerweile Corona-Tests in seiner Ordination durch.
ORF
Friedrich Ritter, Praktischer Arzt in Gasen, führt mittlerweile Corona-Tests in seiner Ordination durch.

Ritter führt in seiner Praxis mittlerweile Coronavirus-Tests durch: „Wir machen das räumlich abgetrennt, damit niemand durch Ansteckungen gefährdet wird.“ Mehrere seiner Patienten würden mittlerweile positiv getestet und in Heimquarantäne geschickt. „Bei den meisten reicht es aus, telefonisch Kontakt zu halten. Aber wenn die Sauerstoffsättigung unter ein bestimmtes Niveau sinkt, dann gibt es Handlungsbedarf,“ sagt er Arzt.

Ärzte in passiver Rolle

Doch nicht alle Patientinnen und Patienten hatten – vor allem während der ersten Infektionswelle im Frühjahr – den Eindruck, optimal versorgt zu werden. Medien berichteten damals auch von Ordinationen, die in den Wochen des Lockdowns geschlossen blieben. „Ja, es hat Kritik gegeben. Aber die Kritik war unberechtigt“, sagt Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres. „90 Prozent aller Kassenärzte haben offen gehabt. Das wissen wir so genau, weil das aufgrund der EDV der Kassenärzte nachvollziehbar ist.“ Zumindest bei Wahlarztpraxen schränkt Szekeres ein: „Wahlärzte haben, wenn es sich ausgegangen ist, offen gehabt.“

Dass wohl einige Mediziner nicht gewillt sind, die seit Ende Oktober – auf freiwilliger Basis – möglichen Sars-CoV-2-Tests in ihren Ordinationen durchzuführen, stößt ebenfalls auf Kritik. „In Wien haben offenbar mehr als die Hälfte der Kassenärzte eine Coronavirus-Testung in der eigenen Ordination abgelehnt,“ weiß Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer. Er fordert ein Umdenken: „Es wäre so wichtig, dass die Hausärzte aktiv auftreten. Sie sind die Experten, und bei Covid-19 handelt es sich nicht um die erste Infektionskrankheit, mit der sie es zu tun haben.“