Eine 90-jährige Schottin, die als eine der ersten mit dem Corona-Impfstoff gespritzt wird – sie lächelt
AFP – RUSSELL CHEYNE
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„Science“

CoV-Impfstoffe sind „Durchbruch des Jahres“

2019 liegt gefühlt unzählige Jahre zurück. Zur Erinnerung: Das Fachmagazin „Science“ wählte damals das Bild eines Schwarzen Lochs zum wissenschaftlichen „Durchbruch des Jahres“. 2020 betrifft er natürlich die Pandemie: Dass Covid-19-Impfstoffe rasend schnell entwickelt und bereits eingesetzt wurden, sei eine Erfolgsgeschichte der Wissenschaft, meint „Science“ – und eine „erfreuliche Art, das Jahr zu beenden“.

Am 31. Dezember 2019 hatten chinesische Gesundheitsbeamte von einer seltsamen Lungenkrankheit in Wuhan berichtet, an der 27 Menschen erkrankten. Eine Woche später war klar, dass es sich um ein neuartiges Coronavirus handelte, bereits am 10. Jänner wurde seine DNA-Sequenz veröffentlicht. Ende Jänner war klar, dass das Virus eine Gefahr für die ganze Welt bedeutet, auch wenn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sie erst am 11. März offiziell zur Pandemie erklärte.

Erfolgsgeschichte für die Wissenschaft

Was danach folgte, ist eine Leidensgeschichte für die ganze Welt, bisher haben sich rund 75 Millionen Menschen weltweit infiziert, fast 1,7 Millionen sind gestorben. Es ist aber auch eine Erfolgsgeschichte für die Wissenschaft, findet das US-Fachmagazin „Science“ in seiner jüngsten Ausgabe und vergibt das Prädikat „Breakthrough of the year“. Niemals zuvor hätten so viele Konkurrenten so offen und regelmäßig zusammengearbeitet, ebenso einzigartig sei die gemeinsame Anstrengung von Regierungen, Industrie, Wissenschaft und Non-Profit-Organisationen, heißt es in der Begründung.

Wie „Science“-Chefredakteur H. Holden Thorp schreibt, sei erst in den letzten Wochen vor Redaktionsschluss klar geworden, dass sich die Hoffnung auf wirksame Impfstoffe erfüllen würde: „Die Errungenschaft der Covid-19-Impfstoffe ist ein Zeugnis der Arbeit vieler engagierter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen heute und in der Vergangenheit.“ „Science“-Korrespondent Jon Cohen ergänzt: „Was für eine freudige Art, 2020 zu beenden.“ Endlich sei eine Antwort auf die Frage möglich, wann das alles ein Ende habe. Es handle sich wirklich um einen Durchbruch für alle, fasst Thorp zusammen.

US-Gesundheitsmitarbeiter, der am 15. Dezember zu den ersten Geimpften gehörte
AFP – JEFF KOWALSKY
US-Gesundheitsmitarbeiter, der am 15. Dezember zu den ersten Geimpften gehörte

Wissenschaft funktioniere am besten, wenn viele Forscherinnen und Forscher zusammenarbeiten. Während etwa kleinere Studien widersprüchliche Aussagen zum Anti-Malaria-Mittel Hydroxychloroquin brachten, zeigten zwei riesige Studienreihen, dass es gegen Covid-19 nicht hilft. Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten das John Snow Memorandum unterzeichnet, eine Antwort auf die Forderung mancher Mediziner, auf Herdenimmunität statt auf Abstandhalten zu setzen. Und nicht zuletzt sei die Entwicklung von mehreren Impfstoffen in wenigen Monaten Ausdruck gelungener Kooperationen.

„Ungleicher Kampf mit der Politik“

Allerdings habe die Geschwindigkeit auch Fehler produziert und ein Licht auf Risse zwischen Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern geworfen. „Es gab frühe Aussagen über Masken und die Übertragung durch die Luft, die revidiert werden mussten. Es gab Experten im Fernsehen, die die Wirksamkeit des Impfstoffs aufgrund von Tierversuchen infrage stellten, die sich als unwichtig herausstellten“, zählt Thorp auf.

Nachrichtenberichte über Reinfektionen und Tests hätten für Verwirrung gesorgt, während Vorabdrucke von Studien Aufmerksamkeit erhielten, die dann wegen Schwächen zurückgezogen werden mussten. „Es gab ungleiche Kämpfe mit Politikern, die versuchten, die Pandemie und die Wissenschaftler auszunutzen, und oft wurde mit der Wissenschaft gespielt“, kritisiert der Chefredakteur weiter.

„Bande zwischen Wissenschaft und Gesellschaft stärken“

Es sei nicht gelungen, einen Teil der Öffentlichkeit dazu zu bringen, den Empfehlungen des öffentlichen Gesundheitswesens zu vertrauen, was noch zu schwierigen Tagen führen könne, selbst wenn die lebensrettenden Impfstoffe auf den Markt gebracht würden, befürchtet er. Entsprechend plädiert der deutsche Wissenschaftskorrespondent Kai Kupferschmidt: „Das Fazit dieses Jahres kann nicht nur mehr Forschung über unbekannte, in der Natur lauernde Krankheitserreger sein. Sondern es muss ein Bemühen sein, die Bande zwischen Wissenschaft und dem Rest der Gesellschaft wiederzubeleben und zu stärken.“ SARS-CoV-2 habe die Welt nicht nur gestört, sondern auch den „zerbrechlichen Spiegel, den wir für die Wirklichkeit halten, zerbrochen“.

Gedenkstätte für Li Wenliang Mitte Februar auf einem US-Uni-Campus
AFP – MARK RALSTON
Gedenkstätte für Li Wenliang Mitte Februar auf einem US-Uni-Campus

Im Magazin wird nicht nur die Entwicklung der Pandemie nachgezeichnet, sondern auch eine Zeitleiste mit Meilensteinen der Covid-19-Forschung aufgeführt. Ebenso ehrt das Journal elf Forscherinnen und Forscher, die 2020 an Covid-19 starben – darunter der Augenarzt Li Wenliang, der Ende Dezember vor der Krankheit warnte, von den chinesischen Behörden dafür gemaßregelt wurde und einige Wochen später verstarb.

Bahnbrechend: Höhlenmalerei, KI und Antirassismus

Zu den neun weiteren bahnbrechenden Forschungsarbeiten des Jahres gehören laut „Science“ die Entdeckung der bis dato ältesten Höhlenmalereien auf der indonesischen Insel Sulawesi, zwei Studien zu den erstaunlichen kognitiven Fähigkeiten von Vögeln, die ersten mit der Genschere (CRISPR) geheilten Krankheiten sowie der Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Vorhersage der Faltung von Eiweißen. Ebenso bemerkenswert seien die Verbesserungen bei den Vorhersagen zur globalen Erderwärmung. Zudem nennen die Autoren die zunehmende Präsenz schwarzer Stimmen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft als wegweisende Entwicklung in der Forschungswelt.

Höhlenmalerein in Sulawesi
Ratno Sardi
Höhlenmalerei auf Sulawesi

Ein anderer Durchbruch ist für die Autoren der erste beobachtbare Zusammenhang zwischen Magnetaren, also Neutronensternen, und Fast Radio Bursts, die auch schnelle Radioblitze genannt werden. Der Ursprung jener extrem kurzen Ausbrüche von Radiostrahlung stellt die Astronomie immer noch vor Rätsel, dessen Lösung nun einen Schritt näher gerückt sein könnte.