Spritze und Impfstofffläschchen
Adobe Stock/Daniel CHETRONI
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Diskussion: Kann man zweite Impfdosis hinauszögern?

Coronavirus-Impfstoffe sind derzeit knapp: Um mehr Menschen eine erste Dosis verabreichen zu können, wird in Großbritannien nun deshalb die zweite Impfdosis hinausgezögert. Experten und Expertinnen beurteilen das unterschiedlich, belastbare Studien fehlen – und im schlimmsten Fall könnte die Verzögerung sogar schädliche Virusmutationen fördern.

Bis zu zwölf Wochen wollen die Briten die zweite Impfdosis hinauszögern. Angesichts der hohen Infektionszahlen und dem Schutzniveau, das nach der ersten Dosis erreicht wird, will man durch dieses Vorgehen Krankenhausaufenthalte reduzieren und Todesfälle verhindern, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme der britischen Regierung.

Zweite Dosis nach maximal sechs Wochen

Bereits zehn bis 14 Tage nach der ersten Impfdosis hat der Körper Antikörper ausgebildet. Laut der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) am deutschen Robert-Koch-Institut (RKI) weisen die beiden mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer bzw. Moderna zwei Wochen nach Gabe bereits eine Wirksamkeit von über 90 Prozent auf. Wie lange die Wirkung anhält, kann man aber derzeit nicht beurteilen, weshalb eine zweite Impfdosis notwendig ist. Nur so kann eine nachhaltige Antikörperantwort abgesichert werden.

Laut Zulassung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) soll die zweite Dosis frühestens nach 21 (BioNTech/Pfizer) bzw. 28 Tagen (Moderna) und spätestens nach 42 Tagen verabreicht werden. Diese Zeitintervalle wurden in den klinischen Studien erprobt. Die Stiko, die kürzlich das Hinauszögern der zweiten Dosis geprüft hat, spricht sich für die Einhaltung dieses Zeitintervalls aus.

„Der Beobachtungszeitraum ist derzeit noch viel zu kurz, um etwas über die Dauerimmunität auszusagen“, sagt Thomas Mertens, Vorsitzender der Stiko. Es sei zu befürchten, dass der Antikörperspiegel, gerade bei älteren Personen, nach der ersten Impfdosis abfalle, weshalb eine zweite „Boosterdosis“ notwendig sei.

Impfschemaänderungen sind umstritten

Über die Notwendigkeit einer zweiten Impfdosis sind sich die Expertinnen und Experten einig. Nur wann diese spätestens erfolgen muss, ist angesichts der aktuell noch dünnen Datenlage etwas umstritten. Die Deutsche Gesellschaft für Immunologie hat sich beispielsweise für eine Ausdehnung des Impfintervalls auf 60 Tage ausgesprochen. Eine Ausdehnung, die auch Erika Jensen-Jarolim von der MedUni Wien angesichts der aktuellen Notsituation als vertretbar ansieht. „Es gibt eine gewisse immunologische Flexibilität“, sagt die klinische Immunologin. „Ich würde die auch im Bereich von 60 Tagen sehen. Und für alles, was darüber hinaus an Flexibilität erforderlich sein wird, gibt es einfach noch keine Zulassungsstudien.“

Gefahr von Resistenz-Mutationen

Der österreichische Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine in New York sieht eine Änderung des Impfschemas kritisch. Die Anzahl der neutralisierenden Antikörper könne nach der ersten Impfdosis noch recht gering sein, weshalb die Gefahr von sogenannten Fluchtmutationen bestehe. „Wenn jemand niedrige Antikörpertiter hat und dann infiziert wird, zwar keine Symptome entwickelt, aber das Virus für einige Zeit replizieren kann, dann können diese neutralisierenden Antikörper für Varianten selektieren.“

Es könnten dadurch also Virusvarianten entstehen, die resistenter gegen diese neutralisierenden Antikörper sind. Wie hoch das Risiko solcher Fluchtmutationen sei, lasse sich nicht quantifizieren. Klar sei nur, zögert man die zweite Impfdosis hinaus, erhöht man dadurch auch dieses Risiko, so Krammer.

Noch fehlen Daten über die Immunantwort nach der ersten Impfdosis bei Menschen, die bereits eine Coronavirus-Infektion durchgemacht haben, erklärt der Virologe. Sobald diese Daten vorliegen, könnte man darüber reden, ob solche Personen eventuell nur einmal geimpft werden, also nur eine Boosterimpfung erhalten sollten. Doch für jede Impfschemaänderung gelte: „Man sollte da nicht Dinge ändern, ohne zu wissen, welche Auswirkungen sie haben könnten.“