„Regierungen zur Rechenschaft ziehen“

Regierungen, die während der CoV-Pandemie fatale Fehlentscheidungen getroffen haben, müssen aus der Sicht des Chefredakteurs der renommierten Fachzeitschrift „British Medical Journal“ zur Rechenschaft gezogen werden. "Staatsversagen, das zu zwei Millionen Toten geführt hat, ist die Folge konkreter ‚Taten‘ von Politikern oder von ‚Tatenlosigkeit‘“, so Kamran Abbasi.

Abbasi schlägt sogar vor, Covid-19 als „sozialen Mord“ einzustufen. Der Begriff des sozialen Mordes geht auf den Philosophen Friedrich Engels zurück, der in seiner marxistischen Gesellschaftstheorie den Herrschenden vorwarf, durch Vernachlässigung der Arbeiterklasse für deren systematisches Sterben verantwortlich zu sein. In seinem soeben erschienene Leitartikel zog Abbasi einen Vergleich zur Situation der Arbeiter im 19. Jahrhundert und den Gesellschaften vieler Länder in der CoV-Pandemie: So hätten Regierungen die Warnungen ihrer eigenen wissenschaftlichen Berater vor den Gefahren durch das Coronavirus ignoriert und zu spät Lockdown-Maßnahmen ergriffen, wodurch es zu vermeidbaren Todesfällen gekommen sei.

„Politiker müssen mit juristischen Mitteln und durch Wahlverhalten zur Rechenschaft gezogen werden – und in der Tat durch alle verfassungsgemäßen nationalen oder internationalen Methoden, die nötig sind“, schrieb Abbasi. Namentlich Politikern, aber auch Medien, in den USA, Großbritannien und Brasilien warf Abbasi vor, die hohen Todesfallzahlen durch Covid-19 eher als Folge von Pech darzustellen denn als Konsequenz falscher politischer Entscheidungen.

Abbasi plädierte dafür, das CoV-Management in Ländern wie Neuseeland und Taiwan als Maßstab zu nehmen, an dem der Erfolg aller Regierungen im Kampf gegen die Pandemie gemessen werden sollte. Sowohl Neuseeland als auch Taiwan verfolgen eine sogenannte Zero-Covid-Strategie, deren Ziel die vollständige Ausrottung des Coronavirus ist.

Fahrlässiges Verhalten

„Wenn wir es vielleicht auch nicht mit Mord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu tun haben, könnte es sich dann nicht um fahrlässige Tötung, Amtsmissbrauch oder fahrlässiges Verhalten handeln?“, fragte Abbasi. Den Bevölkerungen von Ländern mit hohen Todesfallzahlen riet der BMJ-Chefredakteur, ihre Regierungen etwa durch politische Anfragen, Lobbyarbeit und ihr Wahlverhalten zur Verantwortung zu ziehen.

Für eine Benennung der politischen Verantwortlichen für die Folgen der Corona-Krise sprach sich auch die Wissenschaftlerin Clare Wenham von der London School of Economics ebenfalls im „BMJ“ aus. Nötig sei eine „gezielte Untersuchung, in der Regierungen benannt und an den Pranger gestellt werden, anstatt sie hinter Verallgemeinerungen zu verstecken“, schrieb Wenham in einem Debattenbeitrag.

Das unabhängige Komitee der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Prüfung des Umgangs mit Pandemien müsse in seinen Berichten zur CoV-Krise nicht nur die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen berücksichtigen, „sondern auch die Versäumnisse westlicher Regierungen“, forderte Wenham.