Tränendes Auge
motortion – stock.adobe.com
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Organoide

Wenn in der Petrischale Tränen fließen

Forscherinnen und Forschern ist es gelungen, aus Stammzellen menschliche Tränendrüsen in Miniaturversion zu züchten. Sie können tatsächlich weinen und sollen unter anderem dabei helfen, Behandlungsmethoden für Augenkrankheiten zu entwickeln.

Bei Wut, Trauer oder Freude füllt sich das menschliche Auge schlagartig mit sehr viel Flüssigkeit. Aber auch abgesehen vom Weinen produziert das Sinnesorgan laufend Tränen. Das Gemisch aus Wasser, Salz, Fett und Eiweiß stammt vor allem aus der Tränendrüse und enthält antibakterielle Stoffe. So bleibt das Auge feucht und die empfindliche Hornhaut geschützt. Dennoch reicht der Flüssigkeitsfilm oft nicht aus, und das Auge trocknet aus. Jucken, Brennen oder Reizungen der Hornhaut sind die Folge. Die Ursachen der häufigen Benetzungsstörung sind vielfältig. Dazu zählen unter anderem Heizungsluft, Bildschirmarbeit und neuerdings auch das dauerhafte Tragen von Masken, wenn ausgeatmete Luft nach oben entweicht.

Im Labor gezüchtete Tränendrüsen aus adulten Stammzellen von Mäusen
Yorick Post, Hubrecht Institute
Im Labor gezüchtete Tränendrüsen aus Stammzellen von Mäusen

Behandelt wird die Störung meist rein symptomatisch, mit Augentropfen oder -cremes. Manchmal werden auch die Tränenkanäle mit kleinen Stöpseln verschlossen, um ein Abfließen der Flüssigkeit in die Nase zu verhindern. Auch auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr sollte man achten. “Die Behandlungsoptionen sind eingeschränkt, auch weil man die biologischen Zusammenhänge noch nicht ganz verstanden hat und man bis jetzt kein geeignetes Labormodell zur Untersuchung von Tränendrüsen hatte“, erklärt Hans Clevers vom niederländischen Hubrecht Institut in einer Aussendung zur Studie, die er und sein Team soeben in der Fachzeitschrift „Cell Stem Cell“ veröffentlicht haben.

Weinende Zellkultur

Um diese Lücke zu schließen, nützten die Forscherinnen und Forscher eine relativ junge Methode der Grundlagenforschung. Dabei werden mit Hilfe von Stammzellen Miniversionen von menschlichen Organen, sogenannte Organoide, gezüchtet. Die kleinen organähnlichen Strukturen dienen als Modell für ihre echten Vorbilder: z.B. Magen, Darm, Herz oder Hirn. So lassen sich unter anderem deren Funktionsweise erforschen und mögliche Behandlungen von Krankheiten im Labor testen. Clevers und Co. ließen auf diese Weise nun Tränendrüsen in der Petrischale wachsen, Ausgangspunkt waren adulte Stammzellen von Menschen und Mäusen.

Anschwellende Tränendrüsen in der Petrischale

„Die Herausforderung war es dann, die Organoiden zum Weinen zu bringen“, erklärt Erstautorin Marie Bannier-Hélaouët in der Aussendung. Die Forscherinnen und Forscher experimentierten mit der Mischung von zugesetzten Wachstumsfaktoren.

Schließlich gelang es ihnen, die Zellkultur tatsächlich zum Weinen zu bringen. „Ähnlich wie unsere Augen sind die Tränendrüsen in der Petrischale immer feucht“, so Bannier-Hélaouët. Und sie reagieren auch ähnlich wie im menschlichen Auge: Durch den Botenstoff Noradrenalin wird der Tränenfluss angeregt. Die Flüssigkeit sammelt sich im Hohlraum der Drüsen, die dann „wie ein Ballon“ anschwellen, berichten die Studienautoren.

Die Minitränendrüsen können nicht nur bei der Entwicklung von neuen Behandlungsmethoden für trockene Augen oder anderer Erkrankungen des Auges helfen. In ferner Zukunft, so Bannier-Hélaouët, sei sogar eine Transplantation der Organoiden vorstellbar.