KInder spielen auf einer Autobahn
APA – ROBERT PARIGGER
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Tagung

Wie man den Verkehr kindgerecht macht

Das Verkehrssystem ist auf den Pkw ausgerichtet und nimmt auf Kinder wenig Rücksicht. Ziel müsse sein, von einem „verkehrsgerechten Kind“ zu einem „kindergerechten Verkehr“ zu kommen, forderten Expertinnen und Experten am Donnerstag bei einer Fachtagung. Ein solcher fördere auch die Gesundheit.

Weniger Autos auf den Straßen, eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h, gute Sichtverhältnisse an Kreuzungen und Zebrastreifen, und durchgehende Fuß- und Radwege: Das sind nur einige der Maßnahmen, die eine kindgerechte Verkehrsinfrastruktur ausmachen, sagt Juliane Stark vom Institut für Verkehrswesen der Universität für Bodenkultur Wien. Zudem brauche es auch genügend Spielflächen, damit Kinder sich gerne im öffentlichen Raum aufhalten. „Das heißt, wir müssen den Verkehrsraum auch als Mobilitäts- und Lebensraum sehen und nicht nur als reinen Straßenraum.“

Was es für den Wandel braucht

Um einen solchen Lebensraum zu schaffen, müssen viele Akteurinnen und Akteure zusammenwirken. Nicht nur sei ein Umdenken bei Politik und Verkehrsplanung notwendig, auch die Eltern müssen mitmachen. „Wir wissen, dass die Verkehrsmittelwahl von Kindern das Ergebnis von komplexen Haushaltsentscheidungen ist“, sagt die Verkehrsexpertin bei der Fachtagung des VCÖ am Donnerstag. „Wenn die Kinder ihre Verkehrsmittelwahl immer eigenständig treffen könnten, dann würden sie, unseren Studien zufolge, eigentlich immer das aktive Verkehrsmittel wählen.“

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 25.3., 13:55 Uhr.

Neben den Bedürfnissen der Kinder, sei es auch wichtig ihre Kompetenzen zu berücksichtigen und zu fördern, sagt Stark. Damit das möglich ist, braucht es Bewusstseinsbildung, nicht nur bei Eltern, sondern auch bei Pädagoginnen und Pädagogen. „Man muss bewusst machen, dass die Begleitung auf den Wegen nicht immer notwendig ist und dass Kinder auch eigenständig ihre Erfahrungen sammeln müssen im Verkehrsraum.“ Gleichzeitig sei beispielsweise die Radfahrprüfung kein Freifahrtschein. „Man muss weiterhin mit den Kindern im Straßenraum üben aktiv unterwegs zu sein.“

Damit Kinder aktiver unterwegs sein können, plädiert die Expertin für Verkehrswesen auch für eine Verkehrs- und Mobilitätserziehung, die früh ansetzt, dauerhaft in den Schulunterricht eingebunden ist und viele Praxiselemente beinhaltet. Großes Potenzial für eine aktivere Mobilitätsgestaltung sieht Juliane Stark auch bei den Freizeitwegen, diese würden laut ihren Erhebungen häufig mit dem PKW zurückgelegt.

Aktive Mobilität ist gut für die Gesundheit

Ein kindgerechtes Verkehrssystem ist nicht nur sicherer für Kinder, sondern erhöht auch ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt mindestens eine Stunde Bewegung pro Tag für Kinder und Jugendliche. Mehr als achtzig Prozent der Jugendlichen in Österreich erreichen dieses Bewegungsziel derzeit nicht, betont Michael Schwendinger vom VCÖ. Legten 1995 noch mehr als ein Drittel der Kinder den Schulweg zu Fuß zurück, war es 2014 nur noch ein Viertel. „Ein verkehrsberuhigtes Umfeld fördert die Mobilität von Kindern.“

Das zeigen auch die Forschungsergebnisse des deutschen Soziologen Peter Höfflin von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Bei einer guten Verkehrsberuhigung, also einer Unterbindung des Durchzugsverkehrs und einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h, würden Fünf- bis Siebenjährige durchschnittlich mehr als eine Stunde am Tag draußen spielen, bei Durchzugsverkehr und Tempo 50 nur eine halbe Stunde. „Die Spielzeit verdoppelt sich also bei einer guten Wohnumfeldqualität.“

Die Anzahl der PKW sei in den letzten Jahrzehnten massiv angestiegen, betont der Soziologe. Die Folge: Ein reibungsloser Verkehrsfluss steht heute im Zentrum des Verkehrssystems. „Kinder werden in ihren Spiel- und Mobilitätsbedürfnissen durch das heutige Verkehrssystem und durch die Stadtplanung massiv eingeschränkt.“ Das Ziel müsse sein, von einem verkehrsgerechten Kind zu einem kindgerechten Verkehrssystem zu kommen, sagt auch Juliane Stark. Ein solches sei nicht nur für Kinder, sondern für alle Bevölkerungsgruppen positiv.