Blick auf den Atlantik
AFP/NOAA
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Golfstrom

Schwach wie seit tausend Jahren nicht

Forscherinnen und Forscher konnten anhand von Baumringen, Eisbohrkernen und Ozeansedimenten zeigen, dass das atlantische Golfstromsystem mindestens 1.000 Jahre lang relativ stabil war. Seit den 1950er Jahren kam es jedoch zu einer drastischen Abschwächung.

Das Golfstromsystem, auch atlantische Umwälzzirkulation genannt, transportiert warmes, salzhaltiges Wasser aus dem Süden in den Norden des Atlantiks und hat einen großen Einfluss auf das Klima. Zum Beispiel ist es dafür verantwortlich, dass die Winter in Europa viel milder sind als auf den gleichen Breitengraden in Nordamerika. Um die Stärke des Systems über die Jahrhunderte hinweg zu analysieren, hat das Team um die Physikerin Levke Caesar Klimadaten herangezogen, die die Stärke des Golfstromsystems zwar nicht direkt messen, jedoch mit dem System in Zusammenhang stehen. Denn Messdaten über die Stärke des Golfstromsystems gibt es erst seit dem Jahr 2004. Also mussten diese sogenannten Proxydaten – Stellvertreter-Daten – verwendet werden, um die Entwicklung des Golfstromsystems nachvollziehen zu können.

„Ein Beispiel sind die Meeresoberflächentemperaturen im subpolaren Nordatlantik, weil wir wissen, dass diese direkt vom Golfstromsystem beeinflusst werden“, erklärt Caesar. Insgesamt haben die Forscher für ihre im Fachmagazin „Nature“ erschienene Studie elf verschiedene Proxydatensätze analysiert. Für sich allein sei ein solcher Datensatz nicht aussagekräftig, betont die Physikerin. Beispielsweise werden die Meeresoberflächentemperaturen auch von der Atmosphäre beeinflusst. Aufgrund der Kombination verschiedener Proxydaten könne man aber eine robuste Aussage über das Golfstromsystem treffen.

„Die ältesten Daten gehen über 1.600 Jahre zurück, also starten etwa 400 n. Chr., und seitdem war das Golfstromsystem in einem ziemlich stabilen Zustand.“ Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts könne man in den Daten eine Abschwächung beobachten. Darauf folge Mitte des 20. Jahrhunderts eine zweite, drastischere Abschwächung. Insgesamt habe sich das Golfstromsystem über den analysierten Zeitraum hinweg um rund fünfzehn Prozent abgeschwächt, berichtet Caesar, die zuvor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gearbeitet hat. „In allen Datensätzen sehen wir, dass das Golfstromsystem seit etwa 1950 deutlich schwächer ist als je zuvor in den letzten 1.600 Jahren.“

Kollaps unwahrscheinlich

Die bisher beobachtete Abschwächung dürfe man sich nicht als linearen Prozess vorstellen, warnt die Forscherin. Vielmehr gebe es natürliche Schwankungen im System. Der historische Langzeittrend sei nun aber klar ersichtlich. Eine weitere Abschwächung des Golfstromsystems könnte verheerende Folgen haben. Der Meeresspiegel an der Ostküste der USA könnte ansteigen, Winterstürme in Europa könnten häufiger und heftiger, Hitzewellen stärker werden. Allerdings sei das Golfstromsystem so komplex, dass man bei vielen Punkten noch nicht genau wisse, was passiert, wenn sich das System ändert, sagt Levke Caesar.

Auch die Prognosen des Weltklimarats (IPCC) gehen von einem schwächer werdenden Golfstromsystem aus, berichtet der Umweltphysiker Thomas Frölicher, Hauptautor des Spezialberichts über den Ozean und die Kryosphäre. „Die Klimamodelle, die wir untersucht haben, zeigen, dass das Golfstromsystem schwächer wird mit steigenden Treibhausgaskonzentrationen.“ Folgt man einem Erwärmungsszenario von zwei Grad Erwärmung bis Ende des 21. Jahrhunderts, dann würde das Golfstromsystem um weitere elf Prozent abnehmen, so die Prognosen. Bei einer stärkeren Erwärmung von dreieinhalb Grad, ist von einer Abschwächung von rund 30 Prozent auszugehen.

„Klimamodelle haben auch gezeigt, dass das Golfstromsystem Kipppunkte haben kann“, so Frölicher. Werden diese kritischen Punkte erreicht, treten sich selbst verstärkende Effekte auf, und der Prozess kann nicht mehr gestoppt werden. Fällt etwa die Stärke des Golfstromsystems unter einen gewissen Wert, dann wird es instabil und kann sogar kollabieren. So ein Kollaps sei aber sehr unwahrscheinlich, sagt der Umweltphysiker – zumindest im 21. Jahrhundert und wenn man von einem gemäßigten Erwärmungsszenario ausgeht.