Gefühlsausbruch: Mann schreit vor Freude vor dem Computer
Angelov – stock.adobe.com
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Gefühle

Der Freudenschrei-Primat

Im Gegensatz zu Tieren schreien Menschen auch aus purer Freude. Das spiegelt sich im Gehirn: Neuronen sind besonders für Freudenschreie empfänglich – und weniger für Alarmrufe. Forscher vermuten einen Zusammenhang mit den Lebensumständen: „Heute schleichen keine gefährlichen Wildtiere mehr durch die Städte.“

Was man nicht alles mit Schreien ausdrücken kann: Babys beginnen zu schreien, sobald sie das Licht der Welt erblicken, Menschen jubeln, wenn der favorisierte Fußballklub das Spiel gewinnt, sie jaulen, wenn sie sich verletzen und kreischen, wenn sie sich fürchten.

Auch Tiere schreien. Doch sie nutzen diese Rufe normalerweise als Alarmsignale, etwa, wenn sich etwa ein Raubtier der Gruppe nähert. „Wir kennen keine andere Spezies als den Menschen, die auch aus Freude oder Vergnügen schreit“, sagt der Psychologe Sascha Frühholz von der Uni Zürich. Er ist Erstautor einer Studie, die nun im Fachmagazin „Plos Biology“ veröffentlicht wurde.

Schreie im Labor

Frühholz und sein Team gingen der Frage nach, wie sich die Schreie der Menschen klassifizieren lassen und wie diese von anderen wahrgenommen werden. Dazu baten sie insgesamt zwölf Studienteilnehmer in einen schalldichten Raum, wo sie tief Luft holen und anschließend mit voller Kraft die Luft in einem Schrei aus dem Körper auspressen sollten.

Dieses anstrengende Prozedere wiederholten die Probanden für verschiedene Szenarien, die ihnen die Forscher vorlegten: etwa, dass ein nahestehender Mensch verstorben war oder der Lieblingsclub einen Sieg zu verzeichnen hatte. Zur Erholung erhielten die Teilnehmenden nach dem Brüll-Experiment ein Hustenzuckerl, wie Frühholz erzählt.

Emotionen unterscheidbar

Zwar seien alle Schreie schrill, kräftig und hochtönig gewesen, sagte Frühholz. Trotzdem zeigten sich in den akustischen Profilen feine Unterschiede. So ließ sich die Emotion der Schreie in Schmerz, Wut und Angst (die Alarmschreie) sowie Vergnügen, Traurigkeit und Freude einteilen. Einem selbstlernenden Algorithmus gelang es denn auch, die Schreie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit richtig zu klassifizieren.

In einem zweiten Teil des Experiments spielten die Forscher und Forscherinnen 23 anderen Studienteilnehmern die aufgenommenen Schreie vor und maßen währenddessen deren Hirnströme. Zudem klassifizierten die Zuhörer die Schreie anhand derer emotionalen Natur.

Resultat: Die Hirnareale im vorderen Großhirn, in der Hörrinde und im limbischen System seien bei nicht-alarmierenden Schreien viel aktiver und stärker vernetzt gewesen als bei Alarmrufen, so Frühholz. Außerdem erkannten die Zuhörer die Freudenschreie meistens präziser als die „SOS-Schreie“.

Kultur-Effekt?

Das ist insbesondere überraschend, weil aus Sicht der Evolution der Mensch vor allem Signale von Gefahr und Bedrohung richtig erkannt werden sollten. Frühholz spekuliert, dass im Laufe der Zeit die positiven Schreie immer mehr Gewicht erhielten, Alarmsignale an Bedeutung verloren hätten. Denn: „Heute schleichen keine gefährlichen Wildtiere mehr durch die Städte.“ Die sozialen Strukturen der Menschen hingegen sind immer komplexer geworden, was das Schreien diversifiziert haben könnte.

Um den Einfluss der veränderten Lebensumstände der Menschen auf ihre Schrei-Kommunikation festzumachen, wäre eine ähnliche Untersuchung in anderen Kulturen interessant, sagt Frühholz. „Es könnte gut sein, dass wir beispielsweise bei Naturvölkern andere Muster erkennen als bei uns Westeuropäern.“