Besucher eines Pubs trinken Bier im Freien
TOLGA AKMEN/AFP
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Psychologie

Unter Alkoholeinfluss schrumpft der Abstand

Nach über einem Jahr Pandemie fällt das Distanzhalten nicht immer leicht. Besonders dann, wenn Alkohol im Spiel ist, wie nun ein Experiment bestätigt. Sollte man über ein Alkoholverbot nachdenken? Oder vielleicht eher über die Frage: Was machen Verbote mit unserer Gesellschaft?

Über die Art der Getränke, die Catharine Fairbairn und ihr Team für ihr jüngsten Experiment verwendet haben, verrät die Studie im Fachblatt „PNAS“ leider nichts. Im Methodenteil vermerkt ist zumindest der Blutalkoholgehalt, den die Teilnehmer nach Konsum der Getränke aufwiesen, nämlich durchschnittlich 0,8 Promille. Das dürfte – je nach Trinkfestigkeit – einem Schwips oder einem mittleren Rausch entsprechen, jedenfalls liegt der Wert über der in Österreich gültigen Grenze für Alkohol am Steuer (0,5 Promille).

Ein Zentimeter pro drei Minuten

Das Experiment der Psychologin von der University of Illinois at Urbana-Champaign lief so ab: 212 Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden ins Labor gebeten, um in Zweiergruppen eine halbe Stunde lang Gespräche zu führen. Am Tisch saßen entweder zwei Freunde oder zwei einander Fremde, jeweils nüchtern oder illuminiert, macht in Summe vier verschiedene Möglichkeiten.

Wenig überraschend steckten die Freunde eher die Köpfe zusammen, wie Fairbairn nun mit Hilfe von Videoaufnahmen nachweist. Unter Alkoholeinfluss – und nur dann – rückten allerdings auch die Fremden einander näher. Quantifizieren lässt sich das auch, der Abstand schrumpfte pro drei Minuten um einen Zentimeter, rechnen Fairbairn und ihr Team in der Studie vor.

Soweit fällt das alles in die Kategorie „erwartungsgemäß“ und ist wohl auch Wasser auf die Mühlen jener, die Bars und Nachtlokale als Risikozonen für Virusübertagungen ausgemacht haben. Anthony Fauci, der medizinische Chefberater des US-Präsidenten, bezeichnete Bars letzten Juni in einer Pressekonferenz als „die perfekte Anordnung für die Ausbreitung von Infektionen“ und empfahl nebst üblichen Sicherheitsmaßnahmen wie Händewaschen, Maskentragen und Distanzhalten auch die Schließung solcher Lokalitäten. „Wenn wir das tun“, so Fauci, „dann haben wir einen großen Schritt getan, um die weitere Ausbreitung in unserer Gesellschaft zu verhindern.“

Zügel für den Überschwang

Aus epidemiologischer Sicht ist Faucis Forderung absolut nachvollziehbar. Und konsequent weitergeführt hieße das auch: Geselligkeit – mit oder ohne Alkohol – ist in Zeiten der Pandemie ein Übel, das es zu beseitigen gilt, sofern man den Menschen bloß als potenziellen Virusüberträger betrachtet. Das tun freilich nicht alle Wissenschaftler. Der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski warnte etwa bereits im Oktober gegenüber der deutschen “Ärztezeitung“, dass die Pandemie „zur Epidemie der Einsamkeit" zu werden drohe.

Die irische Autorin Megan Nolan sieht in der Verbotskultur der Pandemie gar einen „garstigen Puritanismus“ angelegt, eine neue Lustfeindlichkeit, die sich mit der Freude an gegenseitiger Überwachung paart. Ähnlich der Historiker Ilja Steffelbauer. In einem Vorausblick auf die Post-Corona-Gesellschaft für „Die Zeit“ notiert er: „Eine Krise verstärkt immer bestehende Tendenzen in einer Gesellschaft. Im 17. Jahrhundert in England etwa – eine sehr puritanische Gesellschaft, wo die Pest als Zeichen Gottes gedeutet wurde – nahmen die Überlebenden es als Zeichen, dass sie im Gegensatz zu den Toten keine Sünder waren.“

Und so, prognostiziert Steffelbauer, werde es auch im 21. Jahrundert sein. Jene, die sich während der Pandemie besonders stark diszipliniert haben, könnten diese Haltung auch danach beibehalten. Und "die Nase rümpfen über die Partygänger. Sie sind die Puritaner unserer Zeit, nur dass ihre Religion die Vernunft ist.“