Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (GRÜNE), der Vize-Rektor der Med Uni Wien Oswald Wagner, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) , Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (GRÜNE)
APA/HELMUT FOHRINGER
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Debatte

Grüner Pass: Ende der Testpflicht für Geimpfte?

Vor den nächsten Öffnungsschritten in zwei Wochen hat der Nationalrat gestern über weitere Erleichterungen debattiert. Geimpfte, Genesene und Getestete sollen gleichgestellt werden. Das würde bedeuten, dass die Testpflicht für Geimpfte fallen könnte – ist das tatsächlich schon gerechtfertigt?

Und kommt mit dem Grünen Pass das Ende der Testpflicht auch für nach Covid Genesene? Wie sich die Lage aus medizinischer Sicht darstellt, erläutert der Leiter der Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin am AKH Wien, Heinz Burgmann, im Interview.

science.ORF.at: Herr Prof. Burgmann, derzeit werden die Details zum Grünen Pass verhandelt. Angedacht wird, dass man bereits drei Wochen nach der ersten Impfung von der Testpflicht befreit werden könnte. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Heinz Burgmann: Drei Wochen ist meiner Meinung nach der früheste Zeitpunkt. Man hat in den großen Studien gesehen, dass frühestens nach drei bis vier Wochen die Impfungen zu wirken beginnen und Antikörper vorhanden sind. Aber natürlich ist hier ein höheres Risiko anzusetzen, als wenn ich zwei Mal geimpft wäre, also eine vollständige Immunisierung habe.

Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoller, die Testpflicht erst nach der zweiten Impfung fallen zu lassen?

Burgmann: Es gibt hier immer mehrere Standpunkte. Wenn Sie es von der virologischen Seite betrachten: ja. Weil man ganz einfach weiß, nach der zweiten Impfung steigen die Antikörper noch einmal an, das Immunsystem wird noch einmal geboostet und die Effektivität der Impfung steigt.

Würden Sie dafür plädieren, mit dem Aufheben der Testpflicht bis nach der zweiten Impfung zu warten?

Burgmann: Das ist eine schwierige Frage. Es kommt immer auch darauf an, in welcher Phase der Pandemie wir uns befinden. Meiner Meinung nach gibt es zwei Faktoren, die da eine wichtige Rolle spielen. Erstens können wir bei keiner der Impfungen zu 100 Prozent garantieren, dass nicht jemand SARS-Cov-2 ausscheidet. Die zweite Frage ist, wie viele Menschen sind bereits immunisiert? Wir wissen, dass dieses Virus sich oft clusterartig ausbreitet, oft über Superspreader, das heißt, einer kann innerhalb kürzester Zeit eine ganze Gruppe anstecken. In der jetzigen Phase, wo beispielsweise in Wien die Intensivstationen noch ziemlich ausgelastet sind und die Immunisierungsrate noch nicht so hoch ist, würde ich eher meinen: Wenn man an so etwas denkt (die Aufhebung der Testpflicht, Anm.), dann nur für vollständig Immunisierte – also nicht nach einem Stich. Denn selbst wenn Sie hier eine Wirksamkeit von 80 Prozent haben, sind es 20 Prozent, die Sie damit nicht erreichen.

Müsste man bei der Aufhebung der Testpflicht generell Unterschiede machen – etwa abhängig von der Berufsgruppe, im Spitalsbereich oder in der Pflege?

Burgmann: Ja, natürlich. Es geht ja darum, dass ich niemanden anderen infizieren kann. Und wenn man in einem Bereich arbeitet, wo sich vulnerable Menschen befinden, die das Risiko eines schweren Verlaufes im Fall einer Infektion haben, und ich durch die Impfung nicht garantieren kann, dass jemand das Virus nicht weitergibt, ist es in solchen Bereichen meiner Meinung nach schon wichtig, dass dort weiter getestet wird.

Kann sich das bis zu den geplanten weiteren Öffnungsschritten noch ändern?

Burgmann: Das ändert sich sehr dynamisch. Je mehr Menschen geimpft sind, desto mehr Freiheiten kann man geben. Nur – wenn man diese zu früh gibt, besteht die Gefahr, dass sich doch wieder mehr Leute infizieren. Damit erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Menschen auf die Intensivstationen kommen können. Und in Wien, im Osten, sind die Intensivstationen noch sehr, sehr voll.

Was gilt für Genesene? Müssen sie auch eine Impfung erhalten – wenn ja, ab wann? Oder kann man sie auch ab einem bestimmten Zeitpunkt nach ihrer Infektion als nicht mehr ansteckend bezeichnen?

Burgmann: Wenn es eine asymptomatische Infektion war, dann ist die Frage, wie sehr das Immunsystem dagegen Abwehrstoffe aufgebaut hat. Bisher weiß man, dass Genesene nach etwa drei bis vier Wochen eine entsprechende Immunität aufgebaut haben, und diese Immunität dauert sechs bis acht Monate, soweit man bisher gesehen hat. Somit ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich wieder anstecken, deutlich reduziert. Bei manchen sind es 90 Prozent, bei manchen 80 Prozent – aber es sind nie null Prozent! Auch bei Genesenen kann die Wahrscheinlichkeit da sein, dass sich jemand noch einmal infiziert und noch einmal das Virus weitergeben kann. Deshalb wird nach derzeitigem Wissen empfohlen, dass man Genesene sechs bis acht Monate nach der Infektion impft.

Werden wir also Masken und Testungen noch eine Zeitlang beibehalten müssen? Und wann nicht mehr?

Burgmann: Durch die Impfung oder nach einer durchgemachten Infektion sinkt die Wahrscheinlichkeit stark, dass man eine Covid-Infektion mit Symptomen bekommt. Auch die Wahrscheinlichkeit, das Virus weiterzutragen, wird deutlich reduziert. Auch die Viruslast ist bei Geimpften, die mit SARS-Cov-2 besiedelt sind, deutlich geringer – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemanden infizieren können. So lange aber nicht eine genügend große Anzahl immunisiert ist – 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung etwa – müssen wir Maske tragen und müssen wir den Abstand auch einhalten, weil sonst das Virus weitergegeben werden kann und die Pandemie weitergeht. Das kann Mitte Juni alles schon wieder anders sein, das hängt nun davon ab: Wie viele Menschen lassen sich impfen – und wie schnell steigt die Durchimpfungsrate. Für zu viele Freiheiten haben wir derzeit noch nicht genügend Spielraum.