Soziale Kipppunkte für den Klimaschutz

Erneuerbare Energien, nachhaltige Mobilität, weniger Fleischkonsum: Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, braucht es tiefgreifende Verhaltensänderungen. Damit sich diese verselbstständigen und sich ein neues System etablieren kann, müssen laut einer Transformationsforscherin erst soziale Kipppunkte überschritten werden.

Der unwiederbringliche Rückzug des arktischen Meereises oder die Zerstörung des Amazonas: Wird eine bestimmte Schwelle überschritten, können Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten und Veränderungen unumkehrbar werden. Die Klimawissenschaft spricht von Kipppunkten. Nicht nur in der Natur, auch in der Gesellschaft gibt es solche Kipppunkte.

Soziale Kippunkte zur Einhaltung der Klimaziele

Im Unterschied zur Natur ist das Erreichen sozialer Kipppunkte jedoch erwünscht. Sie könnten, ebenso wie die natürliche Kipppunkte eine Systemänderung herbeiführen, neue Technologien, andere Verhaltensweisen und soziale Normen etablieren. Veränderungen bauen sich langsam auf, werden von immer mehr Akteurinnen und Akteuren mitgetragen bis ein neuer „Trend“ entsteht, erklärt die Transformationsforscherin Maja Göpel. Ein Beispiel für so einen „social tipping point“ sei Greta Thunberg. „Dass ein Mädchen sich hinsetzt und sagt: Ich streike jetzt. Das wird niemals so eine Resonanz auslösen können, wenn das System, sprich die Gesellschaft und die Aufmerksamkeit – gerade der jungen Generation – nicht schon vorbereitet ist, um sich davon anstecken zu lassen.“

Die Personen, die einer Idee folgen, seien oft wichtiger als die anführende Person, meint Maja Göpel. Denn nur durch sie komme etwas in Bewegung: „Wenn die das können, dann kann ich das auch“ – eine Welle bricht und ein neuer Trend wird so gesetzt. „Dann passiert eine Form von Mobilisierung und das Zurückkehren wird mühsam.“ Wurde einmal eine neue Richtung eingeschlagen, ist die Umkehr mit einem Energieaufwand verbunden. Man muss für sich argumentieren, warum man Dinge doch wieder anders macht. Eine unumkehrbare Änderung ist geschafft. „Das ist manchmal fürchterlich mühsam und langsam und manchmal gibt es diese Ansteckungsmomente.“

Klimaziele machen Klimapolitik

Die Folgen der Klimaerwärmung treten nicht sofort, sondern zeitlich und örtlich versetzt ein. Es gebe nicht diese enge Kausalitätskette, wie bei der Ausbreitung des Coronavirus, erklärt Maja Göpel. Um die Klimaerwärmung einzudämmen, braucht es langfristige Veränderungen unserer Wirtschafts- und Lebensweise. Das widerspreche unserem Bedürfnis nach schnellen Ergebnissen. „Diese strukturelle Kurzfristigkeit, die bei uns eingebaut ist, steht uns sehr im Weg, um die Klimakrise auch als solche anzupacken.“

Die Politik orientiert sich an Wahlzyklen und versucht unangenehme Entscheidungen aufzuschieben. Internationale Klimagipfel bringen das Thema und seine Dringlichkeit immer wieder aufs politische Tapet. Und über Symbolpolitik hinaus hätten solche Gipfel auch konkrete Folgen, wie man derzeit in Deutschland sehe, argumentiert die Politökonomin von der Leuphana Universität Lüneburg. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat im April das bisherige Klimaschutzgesetz gekippt, weil es zu wenig ambitioniert war.

„Hätte es vorher nicht das Paris-Abkommen gegeben, hätte es die Budgetrechnung aus der Wissenschaft nicht geben können, hätte es diese Klage nicht geben können von BürgerInnen in diesem Land und dann hätte wiederum der Druck des Bundesverfassungsgerichtsurteils auf die Politik nicht dazu geführt, dass jetzt zumindest die Ziele reduziert werden.“, sagt die Forscherin. Durch die Klimaziele wird politisches Handeln bewertbar. Es wird nachvollziehbar, ob politische Entscheidungen ausreichen, die vereinbarten Ziele zu erreichen. Und zu sagen, sie werden erreicht, wenn das nicht stimmt, das sei keine gute Idee. „Weil dann ist es der ganz unangenehme Job der Wissenschaft zu sagen: Tut uns leid, aber was ihr erzählt, ist nicht zutreffend.“