Seegurke in der Nordadria
Ivo Gallmetzer/Universität Wien
Ivo Gallmetzer/Universität Wien
Umwelt

Nordadria wird biologisch immer eintöniger

Der Lebensraum in der Nordadria hat sich in den vergangenen 100 Jahren deutlich verändert. Wo sich damals eine Vielzahl von Meerestieren tummelte, herrscht heute biologische Eintönigkeit, wie Wiener Forscherinnen und Forscher berichten.

Für ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt entnahmen sie aus verschiedenen Sand- und Schlammböden der Nordadria Proben, bestimmten hunderte Arten von Muscheln und Schnecken aus vergangenen Zeiten und verglichen diese mit heutigen Tiergemeinschaften und Habitaten.

Dabei wurde ein dramatischer ökologischer Wandel sichtbar: Arten, die die Sedimentoberfläche besiedeln, wurden seltener, solche, die im Sediment leben, häufiger. Die Artenvielfalt insgesamt ging zurück, und auch die Vielfalt der Ernährungsweisen und Lebensformtypen schrumpfte, wie Alexandra Haselmair und Martin Zuschin von der Universität Wien mit Kollegen in der Fachzeitschrift „Marine Ecology Progress Series“ schreiben.

Seegraswiesen und Muschelbänke verschwunden

Weidegänger, Räuber und Pflanzenfresser wurden von opportunistischen Arten verdrängt, die Plankton aus dem Meerwasser filtern oder sich von organischem Kleinstmaterial ernähren und die heutigen Gemeinschaften dominieren. So ökologisch unterschiedlich sich die einzelnen Regionen in der Nordadria früher präsentierten, so vereinheitlicht erscheinen sie heute.

„Diese Veränderungen stehen in direktem Zusammenhang mit menschlichen Eingriffen in das Ökosystem der Meeresböden. Das sind in erster Linie Bodenschleppnetzfischerei und die Einleitung von Abwässern ins Meer, was zu Sauerstoffkrisen führt“, erklärt Zuschin in einer Aussendung der Uni Wien. Diese massiven Störungen haben im Lauf der letzten hundert Jahre dazu geführt, dass etwa Seegraswiesen und Muschelbänke, die früher an vielen Stellen in der Nordadria die Bodenlebensräume prägten, heute verschwunden sind und mit ihnen eine Vielfalt an Habitaten und Tierarten.

Gefahr von Meeresschleim und Massensterben

Während in den letzten 20 Jahren die Überdüngung in der Nordadria durch verbesserte Abwasseraufbereitung, den Bau von Kläranlagen und phosphatfreie Waschmittel zurückgegangen ist, gibt es nach wie vor kaum Einschränkungen bei der Bodenschleppnetzfischerei. Mit steigenden Wassertemperaturen steigt zudem die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von Sauerstoffkrisen, Meereschleimbildungen und Massensterben von Bodenorganismen erheblich.

„Die aktuelle Umweltkatastrophe im Marmarameer vor Istanbul, wo Meeresschleim alles erstickt, steht beispielhaft für eine solche Entwicklung“, sagt Haselmair. Umso wichtiger wäre es, dem Ökosystem Nordadria durch Einschränkung der Bodenschleppnetzfischerei und durch strenge Umweltschutzauflagen eine Chance zur Erholung zu geben, warnen Haselmair und Zuschin.