Herkunft

Europäischer Wein hat asiatische Wurzeln

Ob Chardonnay, Sauvignon Blanc oder Merlot – die heute so beliebten europäischen Weinsorten haben laut einem italienischen Forscherteam eines gemeinsam: Sie alle stammen von Weinreben, die ihren Ursprung in Asien haben.

Bei Traubensorten wird generell zwischen Tafeltrauben und den Winzersorten unterschieden. Erstere landen oft frisch auf dem Tisch und sind ideal für den sofortigen Verzehr, aus zweiteren wird meist Traubensaft oder Wein hergestellt. Die für den Weinbau relevanten Sorten gehören der Gruppe der europäischen Weine (lat.: Vitis vinifera) an. Forscherinnen und Forscher aus Italien haben nun den Ursprung dieser Traubenarten genauer untersucht. Das Ergebnis präsentieren sie aktuell im Fachjournal „Nature Communications“.

Lange Anbautradition

“Wir wissen bereits seit längerem, dass der Anbau von Trauben und die Weinherstellung im südlichen Kaukasusgebiet begonnen hat und das schon vor vielen tausend Jahren“, erklärt der italienische Weinexperte und Genetiker Michele Morgante gegenüber dem ORF. Jungsteinzeitliche Tonscherben zeigen etwa, dass das beliebte Getränk dort schon vor fast 8.000 Jahren produziert und konsumiert wurde. In Europa startete der Weinbau erst später. „Wir gehen davon aus, dass in den östlichen Mittelmeerländern seit rund 4.000 Jahren und in den westlichen europäischen Gebieten seit etwa 2.000 Jahren Trauben für die Weinherstellung kultiviert werden“, so Morgante.

Wie die heute bei Winzern so beliebten europäischen Weinreben aber tatsächlich entstanden sind, sorgt unter Experten noch für Debatten. „Manche Forscher gehen davon aus, dass der europäische Wein rein aus Kreuzungen regionaler, wilder Traubensorten entstanden ist“, erklärt der Weinexperte und Professor für Genetik an der Universität von Udine. Andere seien wiederum der Meinung, die modernen Weinreben in Europa hätten ihren Ursprung in den Reben, die bereits im südlichen Kaukasusgebiet angebaut wurden und seien erst im Laufe der Zeit mit europäischen Wildtrauben vermischt worden.

Ursprung in Asien wahrscheinlich

Gemeinsam mit einem italienischen Forscherteam untersuchte Morgante daher die Trauben europäischer Reben genauer im Labor. Dazu analysierten die Forscherinnen und Forscher 204 Genome aus der Gattung der europäischen Weine. Die verschiedenen Sorten unterschieden sich dabei zwar in ihrem genetischen Aufbau, sie hatten aber auch Gemeinsamkeiten. „Alle Analysen, die wir im Labor gemacht haben, deuten stark darauf hin, dass die europäischen Weinreben aus einer einzelnen Traubenart entstanden sind, die bereits früher in östlicheren Gebieten wie dem Kaukasus nachgewiesen wurde“, erklärt Morgante.

Laut dem Forscherteam ist es daher wahrscheinlich, dass sich die Trauben, wie wir sie heute kennen, von Asien aus über Europa verteilt haben und dort auf regionaler Ebene mit wilden Traubensorten gekreuzt wurden. „Ob diese Kreuzungen auf natürlichem Weg oder durch Menschenhand zustande gekommen sind, können wir heute leider kaum nachvollziehen“, erklärt Morgante.

Bei der Analyse im Labor konnte das Forscherteam außerdem ein Gen identifizieren, das möglicherweise hauptverantwortlich für die Größe der Weintrauben ist. „Dieses Gen war wahrscheinlich dafür verantwortlich, dass Trauben überhaupt erst für uns Menschen interessant wurden, weil sie dadurch immer größer wurden und ihr Anbau ertragreicher“, erklärt Morgante. Noch müssten weitere Untersuchungen geführt werden, um die Funktionen des Gens genauer zu bestimmen – künftig könnten Forschende mit dem Wissen jedoch noch mehr darüber herausfinden, wie sich der Wein in Europa ausgebreitet hat.

Zum Schutz der Reben

Neben einem genaueren Verständnis, woher die seit vielen tausend Jahren in Europa genutzten Weinsorten kommen, trage das Ergebnis des italienischen Forscherteams auch zum Schutz des Weines bei. Morgante erklärt: „Alle Weinsorten, die derzeit in Europa angebaut werden, sind anfällig für Krankheiten und Pilzbefall. Nur etwas über drei Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird in Europa für den Weinbau genutzt, auf diesen Bereich fallen aber 65 Prozent der insgesamt eingesetzten Fungizide.“ Mit einem genaueren Verständnis über den genetischen Aufbau der Trauben könnte es künftig etwa möglich werden, Weinsorten ohne chemische Mittel zu schützen und so auch die Natur durch den Weinanbau weniger zu belasten.