Braunbär, der Beeren von einem Strauch frisst
Paul Vitucci
Paul Vitucci
Pflanzen

Ohne Tiere der Erderwärmung ausgeliefert

Der Artenschwund im Tierreich hat weitreichende Konsequenzen, auch für viele Pflanzen, die darauf angewiesen sind, dass Tiere ihre Samen verteilen – so können sie der Erderwärmung entkommen. Verschwinden die Pflanzen, werden die Temperaturen in weiterer Folge noch weiter steigen.

„Über die Hälfte aller Pflanzen auf der Welt braucht tierische Partner, die Pflanzensamen aufnehmen und an anderen Orten wieder loswerden“, erklärt der Ökologe Evan Fricke von der US-amerikanischen Rice Universität gegenüber dem ORF. Von der kleinen Blume bis hin zum großen Baum können sich viele Pflanzen so nicht nur vermehren, die Tiere seien auch ihr Weg, um auf die steigenden Temperaturen zu reagieren. „Wenn es einer Pflanzenart zu warm wird, muss sie in geeignetere Gebiete umsiedeln. Wenn es keine Tiere gibt, die ihre Samen dorthin mitnehmen, könnte das zum Aussterben der Art führen“, so der Ökologe.

Modell zeigt aktuelles Problem

Zusammen mit einem Team aus den USA und Dänemark hat Fricke nun die Auswirkungen des Artenschwundes im Reich der Vögel und Säugetiere untersucht. In der Modellstudie, die aktuell im Fachmagazin „Science“ präsentiert wird, werden laut den Autoren erstmals weltweite Konsequenzen dieses Problems aufgezeigt. Demnach sind Pflanzen schon jetzt stark in ihren Möglichkeiten, mit der Klimaerwärmung umzugehen, eingeschränkt. „Verglichen mit einer Welt, in der keine Vögel oder Säugetiere durch Menschenhand ausgestorben sind oder in ihrer Reichweite eingeschränkt sind, können Pflanzen bereits heute 60 Prozent schlechter auf die Klimaerwärmung reagieren“, so Fricke. Probleme anderer Tiere, etwa von Insekten, seien in dieser Berechnung gar nicht inbegriffen, das Resultat sei laut dem Ökologen daher sogar untertrieben.

Fricke warnt davor, dass durch den Artenschwund im Tierreich viele Pflanzenarten bereits ausgestorben sind oder noch aussterben werden. „Wenn die Pflanzen nicht auf die steigenden Temperaturen reagieren können, sterben sie und der in ihnen gespeicherte Kohlenstoff wird an die Atmosphäre abgegeben. Das kann die Klimaerwärmung noch beschleunigen“, erklärt der Ökologe. Auch Menschen seien auf Wälder und andere Pflanzen angewiesen: als Nahrung, um Sauerstoff zu produzieren oder wirtschaftlich. „Anhand unserer Untersuchung sieht man klar, dass ein Problem ein weiteres in Gang setzt und ganze Ökosysteme durch den Artenschwund im Tierreich negativ beeinflusst werden“, so Fricke.

Regionen unterschiedlich stark betroffen

In der Studie zeigt das Forscherteam auf, dass der Rückgang der Tierarten, die für das Verteilen der Pflanzensamen geeignet sind, unterschiedlich starke Auswirkungen auf die Welt hat. „Wir haben gesehen, dass Regionen in der gemäßigten Zone bereits am stärksten unter dem Rückgang leiden, wie etwa in Nordamerika oder Europa. Zum Teil sind hier Pflanzen bereits um bis zu 95 Prozent in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, mit den steigenden Temperaturen fertigzuwerden“, so Fricke.

Wanderdrossel mit Beere im Schnabel
CHRISTINE WILLIS
Wanderdrossel mit Beere im Schnabel

In tropischen Gebieten wie in Südamerika, Afrika oder Südostasien seien die Auswirkungen aktuell noch schwächer, einige Regionen stehen laut dem Ökologen aber auf der Kippe: „Viele Tiere, die in tropischen Gebieten für das Verteilen der Pflanzensamen nötig sind, sind aktuell vom Aussterben bedroht.“

Große Datenmengen für Modell

Um das Modell einer Welt, in der noch keine Tierarten durch Menschenhand ausgestorben sind und diese auch nicht in ihrer Reichweite beschränkt sind, berechnen zu können, sammelte das Team große Datenmengen aus anderen Studien und nutzte Machine-Learning-Prozesse. Darunter etwa Daten von über 18.000 verschiedenen Interaktionen zwischen Tieren und Pflanzen aus über 400 Feldstudien. Neben zahlreichen weiteren wissenschaftlichen Arbeiten flossen auch Daten aus über 2.000 Experimenten, unter anderem über die Fruchtbarkeit der von den Tieren verteilten Samen in das Modell ein.

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Die – verglichen mit dem Modell – bereits bestehenden Auswirkungen der Klimaerwärmung seien erschreckend, so Fricke, der erklärt: „Was unsere Studie hauptsächlich zeigt ist, wie wichtig Tiere für den Fortbestand der einer Pflanzenart sind.“ Umso nötiger seien geeignete Schutzmaßnahmen für solche Tierarten. Mitautor Jens-Christian Svenning von der dänischen Universität Aarhus erklärt: „Die Untersuchung zeigt klar, dass die Artenvielfalt in der Tierwelt wiederhergestellt werden muss, um ein effektives Verteilen von Pflanzensamen trotz der schnellen Klimaerwärmung weiterhin zu sichern.“