Mann löst Kreuzworträtsel, Denken
aibenedis – stock.adobe.com
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Psychologie

Der Mensch ist doch kein kognitives Faultier

Menschen gehen gerne den Weg des geringsten Widerstands, wenn es um kognitive Anstrengung geht – das ist eine gängige Lehrmeinung in der Kognitionspsychologie. Eine Studie zeigt nun, dass mentale Anstrengung durchaus auch als angenehm empfunden werden kann.

Bekommen Personen einmal eine Belohnung für ihre Denkleistung, wählen sie später auch dann herausfordernde Aufgaben, wenn sie keine Belohnung für ihre kognitive Anstrengung mehr erhalten. Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher der Universität Wien und der Technischen Universität Dresden in der Studie.

Die momentan vorherrschende Sichtweise in Kognitionspsychologie und kognitiver Neurowissenschaft sei, dass „Anstrengung aversiv ist und Menschen bestrebt sind, diese Kosten zu vermeiden“, sagt die Psychologin Veronika Job von der Universität Wien. Diese Annahme sei aber durchaus kontraintuitiv.

Kreuzworträtsel zeigen Gegenteil

„Das kontrastiert, was wir im Alltag sehen. Menschen scheinen Dinge zu tun, ohne direkt eine Belohnung zu bekommen.“ Zum Beispiel Kreuzworträtsel lösen oder in der Freizeit ein Instrument lernen. Nichtsdestotrotz sei es eine gut untersuchte wissenschaftliche Erkenntnis, dass Menschen – vor die Wahl gestellt – sich für eine Aufgabe, die weniger Aufwand bedeutet, entscheiden würden.

„Wir haben diese Annahme kritisch hinterfragt und uns dabei auf frühere Arbeiten der Lernpsychologie bezogen. Es gibt Vorläufer wie Robert Eisenbergers ‚learned industriousness‘, also ungefähr ‚gelernte Geschäftigkeit‘: Wir unterliegen Lernmechanismen, und wenn wir für eine bestimmte Tätigkeit belohnt werden, ändert dies die Valenz der Tätigkeit selbst.“ Eine Lernerfahrung auf der basierend man angenommen habe, dass so auch die Anstrengung selbst positiv erlebt wird.

Probandinnen wählten freiwillig schwierigere Aufgaben

Für die Studie, die in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) erschienen ist, habe man an Versuchspersonen – Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen – im Labor mit kardiovaskulären Maßen wie etwa Elektrokardiographie (EKG) gemessen, wie sehr sie sich beim Lösen von Aufgaben anstrengten. Hier gibt es bereits wissenschaftliche Erkenntnisse, dass solche Messungen nicht nur körperliche, sondern auch mentale Anstrengung abbilden. In der Versuchsgruppe wurden die Personen ihrer Anstrengung nach belohnt, in der Kontrollgruppe hingegen rein zufällig.

Nach dem ersten Durchgang wurde um das Lösen von Mathematikaufgaben gebeten. Deutlich machten die Forscherinnen und Forscher, dass es dieses Mal keine Belohnung geben werde und dass man sich die Schwere der Aufgaben selbst aussuchen könne. Diejenigen, die vorher in der Versuchsgruppe waren, wählten im Anschluss schwierigere Aufgaben als diejenigen aus der Kontrollgruppe.

„Gesellschaft belohnt Leistung und nicht Anstrengung“

Dies habe man dann in fünf Onlinestudien mit einem „Community Sample“, einer gemischten Stichprobe, erneut durchgeführt und konnte den Effekt wiederholen. Der sei zwar klein, aber es scheint, als hätte die Anstrengung für diejenigen aus der Versuchsgruppe die Qualitäten einer Belohnung bekommen. Das bedeute aber nicht, dass es den generellen Effekt, Anstrengungen zu vermeiden, nicht gebe, so Job.

So belohne etwa die Gesellschaft in der Schule oder auch im Studium nun einmal Leistung und nicht Anstrengung: „Wenn ein Kontext immer nur Leistung belohnt, dann belohnt er nicht das Streben nach schwierigen Aufgaben, sondern eher das Vermeiden.“ Lieber ein „Sehr gut“ mit wenig Anstrengung bei einer einfachen Aufgabe als ein „Gut“ mit viel Anstrengung bei einer komplexen.

Relevant auch für Bildungswesen

Eine Auswirkung der Studie könnte es daher sein, Anreizstrukturen zu setzen, „die nicht nur das Endprodukt belohnen, sondern auch wenn jemand schwierige Aufgaben macht und Einsatz zeigt“. Systeme, die weniger Fokus auf die Note setzen, sondern auch auf den Umgang mit schwierigen Texten, wären laut Job eine Möglichkeit. „Es geht darum, dass man das ermöglicht: viel zu lernen, vertiefend zu lernen.“ Im jetzigen System sei es schwierig, Anreize dafür zu finden.

Wobei Job durchaus glaubt, dass dies bereits geschähe, wenn auch eher informell: "Ich denke schon, dass Dozierende es in der Hand haben, auch den reinen Aufwand zu würdigen. "Letztlich könnte auch ihre eigene Disziplin, die Psychologie, von der Studie lernen: Die „Replikationskrise“ oder der „File-Drawer-Effekt“, dass nämlich nur Studien mit signifikanten Ergebnissen veröffentlicht werden, die nicht-signifikanten aber kaum. All dies scheint vor allem auch einen Fokus auf das Endprodukt und nicht den Aufwand der geleisteten wissenschaftlichen Forschung zu legen.