Tabletten liegen auf sechs Löffeln.
dpa/Matthias Hiekel
dpa/Matthias Hiekel
Vitaminpräparate

Nur „teurer Urin“ oder auch schädlich?

In der Coronavirus-Pandemie ist der ohnehin große Absatz von Vitaminen in Pulver- oder Pillenform noch einmal gestiegen. Fachleute warnen: Die Einstellung „kann ja nicht schaden“ ist falsch.

Sie sollen das Immunsystem unterstützen oder die Knochen stärken, manche Hersteller versprechen sogar Schutz vor dem Coronavirus oder Heilung von Krebs: Vitaminpräparate erleben Marktstudien zufolge einen Boom. Seit Beginn der Pandemie greifen immer mehr Menschen zu solchen Produkten. Nicht immer ist das nur Geldverschwendung – es kann auch gefährlich werden.

Dabei ist das meist völlig unnötig: „Bei einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung erhält der Körper fast alle Vitamine in ausreichenden Mengen. Nahrungsergänzungsmittel sind für die meisten Menschen verzichtbar“, sagt Andreas Hensel vom deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). „Wer hoch dosierte Vitamine einnimmt, ohne dass es nötig ist, riskiert eine Überversorgung und damit unerwünschte Auswirkungen auf die Gesundheit.“

Überdosierung „nicht unbedenklich“

Im besten Fall produziere man durch die unnötige Einnahme von Vitaminen „teuren Urin“, sagt Ernährungswissenschaftlerin Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale im deutschen Bundesland Hessen. Im schlimmsten Fall schade man seiner Gesundheit. Die Behörden prüfen Nahrungsergänzungsmittel – beispielsweise Vitaminpräparate – nicht wie Arzneimittel auf ihre Sicherheit und Qualität, bevor sie auf den Markt kommen. So kommt es bei diesen Pillen und Pulvern immer wieder zu Verunreinigungen.

Im Auge haben müsse man auch mögliche Wechselwirkungen mit Medikamenten: Betacarotin, eine Vorstufe zu Vitamin A, könne bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko erhöhen. Auch eine Überdosierung sei „nicht unbedenklich“, sagt Franz. Zu viel Vitamin D könne etwa zu Kopfschmerzen, Übelkeit und Nierenverkalkung führen. Sehr lange zu hohe Einnahme von Vitamin C könne zu Blasen- und Nierensteinen führen.

Empfehlung nur in Ausnahmefällen

Manchmal werde eine Überdosierung auch gar nicht erkannt, erklärt Franz: Denn zu den Pillen und Pulvern kommen noch die Mengen, die wir natürlich über die Nahrung zu uns nehmen oder die in mit Vitaminen angereicherten herkömmlichen Nahrungsmitteln stecken. Dass dafür keine Höchstmengen definiert sind, kritisieren Verbraucherschützer seit Jahren. Nur in Ausnahmefällen wird die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln empfohlen, beispielsweise in der Schwangerschaft, nach einer Chemotherapie, bei sehr alten Menschen oder bei ausschließlich veganer Ernährung.

„Kein Schutz vor Covid-19“

„Dass einige Nahrungsergänzungsmittel wie etwa Produkte aus Kombinationen der Vitamine A und D oder auch Vitamin C 2020 einen Boom erfuhren, dürfte mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängen“, sagt Thomas Heil von IQVIA, einem Anbieter von wissens- und technologiebasierten Dienstleistungen im Gesundheitswesen. „Verbraucher versprachen sich durch die Einnahme der Präparate einen gewissen Infektionsschutz.“

Fachleute winken ab: Es seien „keine Studien bekannt, die belegen, dass die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten vor einer Infektion mit diesem Virus bzw. vor der Auslösung der Erkrankung schützt“, heißt es beim deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung. „Bei Personen mit adäquatem Vitamin-D-Status ist bisher nicht nachgewiesen, dass die Einnahme eines Vitamin-D-Präparates einen diesbezüglichen Zusatznutzen hat“, sagt das Robert Koch-Institut.

Lukratives Geschäft für Influencer

Ernährungswissenschaftlerin Franz warnt davor, den Gesundheits- und Heilversprechen der Hersteller und Vertreiber Glauben zu schenken. Vor allem im Internet und Direktvertrieb würden Vitamine als vermeintliche Wundermittel angepriesen. „Die Anbieter versprechen eine gesundheitliche Wirkung oder sogar Heilung – damit täuschen sie den Verbraucher.“

Ein großes Problem sei das Marketing über Social-Media-Kanäle, sagt Christiane Seidel, vom deutschen Verbraucherzentrale Bundesverband. Dort würden oft unzulässige Gesundheitsversprechen gemacht – bis hin zu „hilft gegen Krebs“. Anbieter dürfen aber nur versprechen, was das Produkt auch hält: „Vitamine können zur normalen Körperfunktion beitragen. Nahrungsergänzungsmittel dienen nicht der Behandlung von Erkrankungen“, sagt Seidel.

Vitaminpräparate seien „ein superlukratives Geschäft“. Dem Direktvertrieb im Internet sei schwer beizukommen. Die illegale Werbung laufe oft über Influencer, die die Produkte gegen Provision bewerben oder weiterverkaufen. Viele Firmen sitzen im Ausland, es gibt oft kein Impressum, die Seiten poppen nur für kurze Zeit auf, „das ist ein Riesenproblem für die Rechtsdurchsetzung“. Seit der Coronavirus-Pandemie haben solche Geschäfte laut den Verbraucherzentralen enorm zugenommen.