Eine Frau vor einem Laptop mit einer Videokonferenz
christian sinibaldi / Eyevine / picturedesk.com
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Neue Arbeitswelten

Videokonferenzen bremsen Kreativität

Videokonferenzen gehören für viele seit zwei Jahren zum Arbeitsalltag. Das ist zwar praktisch, allerdings bremst der Blick auf den Bildschirm laut einer neuen Studie auch die Kreativität. Wenn es um neue Ideen geht, sollte man sich demnach besser persönlich treffen.

Mit der anhaltenden CoV-Pandemie hat sich der Berufsalltag immer weiter in die digitale Welt verschoben. Viele Personen arbeiten von Zuhause aus und die Vorteile des digitalisierten Alltags liegen auf der Hand: Die Gefahr einer Ansteckung ist reduziert, Verkehrswege fallen weg und für Unternehmer minimieren sich die Fixkosten, zum Beispiel was die Heiz- und Reinigungskosten für Büroräume betrifft.

Immer mehr Firmen fördern daher aktiv die Arbeit im Homeoffice und beschränken sich dabei nicht nur auf die Zeit der Pandemie – bekannte Beispiele sind etwa die Firmen Google, Microsoft oder Amazon. Eine Erhebung aus dem Jahr 2021 hat ergeben, dass auch nach dem Ende der Pandemie rund 20 Prozent der US-amerikanischen Arbeitszeit wahrscheinlich von Zuhause aus erledigt werden.

Zoom-Fatigue und geringere Kreativität

Die digitale Arbeitswelt bringt aber nicht nur Vorteile mit sich. Schon seit längerem gibt es etwa den Begriff „Zoom-Fatigue“, benannt nach der beliebten Kommunikationsapp Zoom und dem französischen „fatigue“ für Müdigkeit. Dabei handelt es sich um ein Gefühl der schnellen Ermüdung nach Videokonferenzen – oft verbunden mit Verspannungen, Konzentrationsproblemen und Kopfweh. In einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie der US-amerikanischen Stanford Universität heißt es, dass die Gründe dafür unter anderem im intensiveren Augenkontakt bei Onlinegesprächen und dem ständigen Sehen des eigenen Gesichts liegen.

Neben den Auswirkungen auf unser allgemeines Befinden können Videokonferenzen aber auch unsere Leistungen beeinflussen. Die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Melanie Brucks von der Columbia Universität hat zusammen mit dem Verhaltensforscher Jonathan Levav von der Stanford Universität untersucht, wie es um die Kreativität in Videokonferenzen bestellt ist. Dabei konnten sie herausfinden, dass Onlinegespräche nicht die beste Lösung sind, wenn es darum geht, kreativ tätig zu sein. Das Ergebnis der Untersuchung präsentiert das Forscherteam aktuell im Fachjournal „Nature“.

Weniger Ideen in digitalen Gesprächen

Im Gegensatz zu Telefonaten stehen bei Videokonferenzen fast ebenso viele audiovisuelle Informationen zur Verfügung wie bei persönlichen Treffen. Das Team überprüfte daher mit einer Reihe von Experimenten, ob es überhaupt Unterschiede zwischen jenen Personen gibt, die ihre Kolleginnen und Kollegen persönlich sehen und jenen, die nur von Zuhause aus mit ihnen kommunizieren.

Zunächst bildeten die Autoren der Studie jeweils Zweierteams aus insgesamt mehr als 600 Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmern. Diese wurden gebeten, kreative und neue Verwendungsideen für einen Wurfgegenstand (Frisbee) zu entwickeln. Die Hälfte der Paare saß dabei gemeinsam in einem Raum, bei der anderen Hälfte saß jeder Partner allein vor einem Computer – diese Paare waren nur in einer Videokonferenz miteinander verbunden. Das Ergebnis des Experiments: Die virtuellen Paare entwickelten während des Versuchs deutlich weniger kreative Ideen für das Frisbee als diejenigen, die sich persönlich gegenübersaßen.

Engerer Fokus verschlechtert Kreativität

Als möglichen Grund für das Ergebnis aus dem Experiment nennen Brucks und Levav eine Verengung der visuellen Wahrnehmung, sobald man sich auf den Computerbildschirm fokussiert. Um diese Hypothese zu überprüfen, dekorierten sie die Versuchsräume mit verschiedenen Gegenständen und verfolgten mit technischen Hilfsmitteln die Blicke der Probanden, während sie ihre Ideen sprudeln ließen.

Am Ende des Experiments fragten die Studienautoren, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Raum wahrgenommen hatten. Dabei zeigte sich: Die Probanden, die mittels Videokonferenz miteinander kommunizierten, sahen sich deutlich länger direkt an und erinnerten sich gleichzeitig an weniger Gegenstände im Raum als die persönlich interagierenden Paare. Je mehr die Blicke der Probanden durch den Raum geschweift waren und an je mehr Gegenstände sie sich erinnern konnten, desto mehr kreative Ideen hatten sie auch im Laufe des Experiments.

Methode „hochgradig abgesichert“

Anschließend prüften – und bestätigten – die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Ergebnisse noch unter realistischeren Bedingungen an fast 1.500 Angestellten einer Firma in Finnland, Ungarn, Indien, Israel und Portugal.

Der Wirtschaftswissenschaftler Rene Riedl von der FH-Oberösterreich und der Johannes Kepler Universität Linz beschäftigt sich bereits seit längerem mit den Auswirkungen der immer digitaler werdenden Berufswelt. In einer Reaktion auf die Erkenntnisse aus den USA erklärt er gegenüber science.ORF.at: „Die Studie ist sehr spannend und auch wahnsinnig aufwendig gemacht. Die Ergenbisse sollten also durchaus ernstgenommen werden und sind wissenschaftlich hochgradig abgesichert.“

Videokonferenzen nicht immer von Vorteil

Brucks und Levav sehen das Ergebnis der Untersuchung als Bestätigung für ihre Hypothese, dass ein eingeengtes Sichtfeld und damit ein eingeengter kognitiver Fokus verhindern, dass Gedanken umherschweifen und so Assoziationen aufkommen, die schließlich kreative Ideen entstehen lassen. Mental abzuschweifen kann demnach auch positive Effekte mit sich bringen – vor allem, wenn Kreativität gefragt ist.

Vor allem für Unternehmerinnen und Unternehmer aber dennoch interessant: Wenn es darum ging zu entscheiden, welche Idee aus den Experimenten weiter verfolgt werden sollte, schnitten die digital verbundenen Teilnehmer nicht schlechter ab als Paare, die persönlich miteinander arbeiteten. Die Suche nach kreativen Ideen wurde also durch die Art der Kommunikation beeinflusst, die Arbeitsschritte danach aber nicht.

Für Riedl ist das ein klarer Hinweis darauf, dass einige Sitzungen digital stattfinden können, es bei anderen aber durchaus Vorteile einer persönlichen Präsenz gibt. Sobald es etwa um Arbeitsschritte geht, bei denen Kreativität gefordert ist, rät der Experte, künftige Sitzungen eher wieder in den Räumlichkeiten der jeweiligen Firma abzuhalten. Generell ist er der Meinung: „Videokonferenzen waren in Zeiten der Pandemie dringend nötig und wichtig und bringen auch klare Vorteile mit sich. Nach der Pandemie sollten Unternehmen aber auch daran arbeiten, dass ihre Mitarbeiter wieder mehr Face-to-Face miteinander kommunizieren.“