Der Klein-Satellit Adler-1 klappt sich aus, im Hintergrund ist die Erde zu sehen.
Österreichisches Weltraumforum
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Aufklärung im All

Weltraumschrott verdichtet sich

130 Millionen Schrottteilchen schwirren laut Schätzungen der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA um die Erde. Die größeren Teilchen werden regelmäßig überwacht – in den letzten zehn Jahren hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt. Paradoxerweise wird der Weltraumschrott nun für die Verursacher zur Gefahr.

Weltraumschrott befindet sich in unterschiedlichen Größen, Formen und Höhen in unserer Erdumlaufbahn – von kleinsten Teilchen, kleiner als ein Millimeter, bis hin zu Brocken so groß wie ein Kleinwagen. Ihr Ursprung ist menschlicher Natur. Die Zahl der Raketenstarts nimmt stetig zu – waren es vor zehn Jahren noch wenige pro Jahr, sind es heute hunderte. Raketenstufen, Lacksplitter und Treibstoff – all das bleibt im All zurück.

Kleinste Teilchen richten großen Schaden an

Das Problem sind die teilweise hohen Geschwindigkeiten der Schrottteilchen. Schon Partikel in der Größenordnung von wenigen Millimetern können so massiven Schaden an Satelliten und Raumfahrzeugen anrichten. Besonders gefährlich sind große Teile – jene mit mehr als zehn Zentimetern Durchmesser. Sie werden regelmäßig überwacht.

„Es gibt aktuell etwa 35.000 Objekte größer als zehn Zentimeter, die auch wirklich regelmäßig mit Radarmessungen überwacht werden und wo der Orbit mit einer Genauigkeit von 100 bis 1000 Meter bestimmt wird“, so Michael Steindorfer vom Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Zahl dieser Teilchen hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt, schätzt Steindorfer. Damit werden sie zur zunehmenden Gefahr für aktuelle Weltraummissionen. Steindorfer und das Team des Instituts beobachten größere Teilchen mit mehr als einem Meter Durchmesser regelmäßig mittels Laser.

Grazer Laserstation am Observatorium Lustbühel
Christian Kettenbach
Vom Grazer Lustbühel aus wird die Lage von Schrotteilchen in der Erdumlaufbahn gemessen.

Aufklärungssatellit aus Österreich einsatzbereit

Das Forschungsfeld Weltraumschrott basiert teilweise auf Rechenmodellen und teilweise auf sehr alten Daten aus der Zeit der Spaceshuttle-Flüge. Die Datensammlung von der Erde aus ist begrenzt auf größere Teilchen. „ADLER-1“ ein Satellit aus Österreich soll bald in der Erdumlaufbahn die Konzentration von Weltraumschrott messen. Das Gerät ist im Jänner gestartet und hat Anfang Mai erste aussagekräftige Daten zur Erde übermittelt.

„Der Satellit hat den ersten Einschlag eines Teilchens verzeichnet. Diesen Einschlag sehen wir sehr deutlich auf dem Datensatz. Mit diesen Informationen können wir den Satelliten jetzt kalibrieren“, so Gernot Grömer vom Österreichischen Weltraumforum, das den „Schrott-Spürhund im All“ mitentwickelt hat. „Wir haben gar nicht so bald mit einem aussagekräftigen Datensatz gerechnet, freuen uns aber, dass wir die Bestätigung haben, dass ‚ADLER-1‘ funktioniert.“

Im Normalbetrieb werde er – statistisch gesehen – etwa jeden Tag ein Schrottteilchen detektieren. Die Daten werden an die ESA übermittelt und dort in die Rechenmodelle zu Weltraumschrott eingespeist. Hier gebe es noch großen Forschungsbedarf, so Gernot Grömer: „Wir wissen zum Beispiel nicht, welche Auswirkungen die Reibung der Hochatmosphäre, die Sonnenstrahlung oder andere Orbitstörungen auf die Schrottteilchen haben – das kann man jetzt nur erahnen.“

„ADLER-1“ im Einsatz

Das Video zeigt die zwei Mechanismen wie „Adler-1“ die Schrotteilchen aufspürt. Video: ÖWF

Worst-Case-Szenario „Kessler-Syndrom“

Schon in den 1970er-Jahren hat der US-Astronom Donald Kessler ein Worst-Case-Szenario entwickelt, wonach Weltraumschrott die Erde einmal vollständig umgeben könnte – das sogenannte Kessler-Syndrom. Es handelt sich um einen Kaskaden-Effekt: Ein Schrottteil trifft auf ein anderes und spaltet es.

„Eine Kollision bewirkt, dass sich zwei Objekte in mehrere Einzelteile auflösen, diese Einzelteile kollidieren wieder mit anderen Objekten. Tritt diese Kaskade ein, wäre das der schlimmste Fall. Es würde dadurch eine dichte Kugelschale um unsere Erde herum entstehen, die unsere Weltraumfahrt mehr oder weniger verunmöglicht“, sagte Michael Steindorfer. Informationen darüber, wann dieses Syndrom Realität werden könnte, gebe es nicht. Es werde aber ohnehin daran gearbeitet, Weltraumschrott zu vermeiden und zu beseitigen, so Steindorfer. Der erste Schritt ist eben Aufklärung.