Ältere Frau übt Yoga-Baum im Grünen
Kostiantyn/stock.adobe.com
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Alter

Wer auf einem Bein stehen kann, lebt länger

Mit dem Alter verliert man das Gleichgewichtsgefühl. Das könnte auch ein Gradmesser für die Gesundheit sein, wie eine Studie nun nahelegt: Wer es nicht schafft, zehn Sekunden auf einem Bein zu stehen, hat – verglichen mit Menschen, die das noch können – ein fast doppelt so hohes Risiko, in den nächsten zehn Jahren zu sterben.

Knochen und Muskeln werden schwächer, Beweglichkeit und Fitness nehmen ab – mit dem Alter kommt der körperliche Abbau. Vergleichsweise spät schwindet auch das Gleichgewichtsgefühl, etwa ab dem sechsten Lebensjahrzehnt, schreiben die Forscherinnen und Forscher um Claudio Gil Araújo in ihrer soeben im Fachmagazin „British Journal of Sports Medicine“ veröffentlichten Studie. Dann verliere man aber relativ zügig die Balance. Die Sturzgefahr im Alltag steigt. Weltweit sterben jährlich fast 700.000 Personen an Stürzen, viele davon sind ältere Menschen.

Das Gleichgewichtsgefühl sei nicht nur für alltägliche Aktivitäten wichtig, es dürfte auch ein Gradmesser für die Gesundheit sein, ähnlich wie körperliche Fitness, heißt es in der Studie. Allerdings sei Balance schwieriger zu messen. Daher werde die Fähigkeit auch kaum routinemäßig überprüft. Um das zu ändern, haben Araújo und Co. nun einen einfachen Test entwickelt und im Rahmen der brasilianischen CLINIMEX (Clínica de Medicina do Exercício)-Kohortenstudie 13 Jahre lang untersucht, ob er sich als Teil von Gesundheitschecks einsetzen ließe.

Die Einrichtung wurde bereits 1994 gegründet, um Zusammenhänge von Fitness und Gesundheit systematisch zu erfassen. An der Klinik hat der Sportmediziner Araújo auch den sogenannten Sitting-Rising-Test entwickelt, der die Mobiliät von Menschen testet. Auch er soll ein Indikator für die allgemeine Gesundheit sein.

Zehn Sekunden-Test

Für die aktuelle Analyse konnten die Forscherinnen und Forscher auf die Daten von 1.702 Teilnehmern und Teilnehmerinnen (68 Prozent Männer) aus dem Zeitraum von 2008 bis 2020 zurückgreifen, die bei ihrer ersten umfassenden Untersuchung zwischen 51 und 75 Jahre alt waren. Dabei mussten sie auch den neuen Balancetest absolvieren: Unter Aufsicht mussten sie versuchen, barfuß zehn Sekunden auf einem Bein zu stehen. Alle mussten dabei die gleiche Position einnehmen: Die Arme baumeln locker an der Seite, der angehobene Fuß ist an den Unterschenkel des Standbeins gelegt und der Blick auf einen fixen Punkt gerichtet. Drei Versuche hatten alle pro Bein.

Gut ein Fünftel der Probanden und Probandinnen scheiterte beim Balancetest. Die Auswertung zeigt, wie das Gleichgewichtsgefühl mit der Lebenszeit schwindet, etwa alle fünf Jahre verdoppelt sich der Anteil an Menschen, die nicht mehr zehn Sekunden auf einem Bein stehen können, bei den knapp über 50-Jährigen waren es noch etwas weniger als fünf Prozent, bei den 56- bis 60-Jährigen acht Prozent, und schon 18 bei den 61- bis 65-Jährigen. Bei den 66- bis 70-Jährigen scheiterten 37 Prozent, bei den über 70-Jährigen sogar mehr als die Hälfte, rund 54 Prozent. Bei den Älteren scheiterten also etwa elf Mal so viele Personen wie bei den um 20 Jahre jüngeren.

Sterberisiko fast verdoppelt

In den Jahren danach – im Schnitt wurde ein Zeitraum von sieben Jahre pro Teilnehmer erfasst – starben 123 Personen (sieben Prozent): 32 Prozent an Krebs, 30 Prozent an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, neun Prozent an einer Atemwegserkrankung und sieben Prozent an Covid-19-Komplikationen. Mehr Todesfälle gab es in der Gruppe der Personen, die am Balancetest gescheitert waren, insgesamt waren dort 17,5 Prozent gestorben. In der anderen waren es nur 4,5 Prozent.

Die meisten Probandinnen und Probanden, die den Balancetest nicht schafften, waren gesundheitlich angeschlagen: Viele litten schon unter Herzproblemen, hohem Blutdruck, erhöhten Blutfettwerten und Übergewicht. Diabetes war in dieser Gruppe etwa dreimal so häufig wie in der anderen (38 vs. 13 Prozent). Laut der statistischen Analyse war das Sterberisiko für das kommende Jahrzehnt in dieser Gruppe insgesamt um 84 Prozent höher wie in der anderen, bekannte Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen herausgerechnet.

Kurz, einfach und billig

Wie die Studienautoren betonen, handelt es sich um eine reine Beobachtungsstudie. Dass das fehlende Gleichgewichtsgefühl tatsächlich ursächlich zu einem früheren Tod führt, sei dadurch nicht bewiesen. Außerdem konnten manche möglichen Einflüsse nicht berücksichtigt werden, da sie nicht bekannt waren, etwa ob die Teilnehmer rauchten, Drogen nahmen oder wie viel sie sich generell bewegten.

Dennoch wäre der Balancetest ein sehr einfaches Mittel, den allgemeinen Gesundheitszustand blitzschnell zu erfassen. Er dauert nicht länger als ein bis zwei Minuten, kostet nichts und ließe sich ohne Aufwand in Standarduntersuchungen integrieren. Von den Probandinnen und Probanden wurde er sehr gut angenommen. Frühere Studien zeigen außerdem, dass sich das Gleichgewichtsgefühl bzw. die Fähigkeit, auf einem Bein zu stehen, durch gezieltes Training auch im Alter noch verbessern lässt.