Wasserschildkröte Chrysemys picta
Beth A. Reinke
Beth A. Reinke
Analyse

Schildkröten altern extrem langsam

Viele Schildkröten werden kaum schwächer, je länger sie leben. Wie neue Untersuchungen zeigen, kann sich der Prozess des Alterns sogar noch verlangsamen, etwa wenn sie im Zoo leben. Unsterblich sind die gemächlichen Tiere trotzdem nicht.

Alle Lebewesen werden älter und müssen irgendwann sterben. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Seneszenz – ein Prozess, der den allmählichen Verlust von Zellfunktionen mit dem fortschreitenden Alter beschreibt. Zahlreiche Fachleute vermuten, dass die Seneszenz bei den meisten Lebewesen mit der Geschlechtsreife einsetzt. Ab diesem Zeitpunkt wird ein Teil der Energie in die Fortpflanzung investiert, anstatt sie für die Reparatur und Neubildung von Zellen zu verwenden. Die Folge: Das allmähliche Absterben von Zellen, ausgedrückt durch körperliches Altern und einen Stopp des Wachstums.

Schildkröten altern anders

Bei Menschen ist dieser körperliche Alterungsprozess unumgänglich. Bei manchen Lebewesen kann es sich aber sogar verlangsamen. Das zeigt auch eine neue Studie im Fachjournal „Science“, die Rita da Silva von der Süddänischen Universität zusammen mit Kolleginnen und Kollegen durchgeführt hat. Das Team hat 52 Schildkrötenspezies in Zoos oder Aquarien näher untersucht und dabei festgestellt, dass die gemächlichen Tiere ihre ganz eigene Art zu altern haben.

80 Prozent der untersuchten Schildkrötenspezies alterten langsamer als Menschen – ihr Risiko, mit höherem Alter zu sterben, stieg also weniger stark an. 75 Prozent der Schildkröten hatten außerdem eine so geringe Seneszenz, dass sie tatsächlich kaum körperlich alterten. Die Tiere umgehen den Alterungsprozess so effektiv, dass es ihnen auch möglich ist, immer weiter zu wachsen.

Längeres Leben im Zoo

Über einige der Schildkrötenspezies gab es bereits Daten – jedoch von Exemplaren aus der freien Wildbahn. Diese Tiere alterten schneller als die Schildkröten in Gefangenschaft. Laut Da Silva könnte das mit den besseren Lebensbedingungen zu tun haben, die oft in Zoos herrschen. Gegenüber science.ORF.at erklärt die Biologin: „Die Tiere können mehr Energie in die Zellreparatur und das Wachstum stecken und weniger in die Nahrungssuche oder den eigenen Schutz.“

Dass sich bei Schildkröten der Prozess des körperlichen Alterns verlangsamen oder zum Teil fast komplett stoppen kann, erlaubt den Tieren viele Jahre lang zu überleben. Unsterblich seien sie aber trotzdem nicht. Da Silva: „Ihr Risiko zu sterben, ist immer noch größer als null. Das heißt, dass sie nicht ewig leben können. Sie sind zum Beispiel genauso anfällig für Krankheiten oder äußere Einflüsse wie andere Tiere.“ Irgendwann sei also auch für die junggebliebenen Schildkröten der Tod unausweichlich.

Alterungsprozesse im Vergleich

Dass Schildkröten ihren Alterungsprozess verlangsamen können, zeigt auch eine weitere Studie, die ebenfalls aktuell im Fachjournal „Science“ erschienen ist. Darin hat die Biologin Beth Reinke von der Northeastern Illinois University gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam den Alterungsprozess von 77 Landwirbeltieren genauer unter die Lupe genommen: neben Krokodilen und Schlangen auch von Schildkröten.

Die Forscherinnen und Forscher sahen ebenfalls, dass der Alterungsprozess bei verschiedenen Schildkröten unterschiedlich schnell abläuft, abhängig von ihrem Lebensraum und weiteren Faktoren. Auch sie stellten fest, dass die Seneszenz bei manchen Schildkröten fast komplett pausiert und sie körperlich kaum altern.

Gemächliches Verhalten spart Energie

Beim Jungbleiben behilflich sei den Schildkröten laut dem Forschungsteam wahrscheinlich ihr gemächliches und energieeffizientes Verhalten und der starke Panzer, der sie ohne großen Aufwand vor Feinden schützt.

Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Menschen eine Verbesserung des Lebensraums nicht die gleichen Auswirkungen auf den Alterungsprozess hat. Direkte Vergleiche zwischen Schildkröten und Menschen seien demnach unmöglich. Die Ergebnisse der beiden Studien seien laut Da Silva aber dennoch wichtig, um generell mehr über den Alterungsprozess verschiedener Lebewesen zu erfahren.