ORF-Landesstudio Salzburg 1972
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ORF-Regionalisierung

50 Jahre „Peichl-Torte“

Vor 50 Jahren, am 21. Juli 1972, ist das ORF-Landesstudio in Salzburg feierlich eröffnet worden. Im Oktober folgten jene in Linz, Innsbruck und Dornbirn. Die baugleichen Studios von Architekt Gustav Peichl nannte der Volksmund aufgrund ihres Aufbaus schnell „Peichl-Torten“ – sie waren Ausdruck der Regionalisierung des Österreichischen Rundfunks.

Am 1. Oktober 1924 nahm die Radio Verkehrs AG, kurz RAVAG, ihren regulären Sendebetrieb in Wien auf. Damit begann die Zeit des Rundfunks in Österreich. Bei der Vergabe der Konzession wurde festgehalten, dass das Programm in ganz Österreich empfangbar sein muss. Als im Jahr 1933 schließlich ein provisorischer Sender in Dornbirn in Betrieb genommen wurde, war das gesamte Bundesgebiet mit Rundfunk versorgt. Die Sender in den Landeshauptstädten erhielten zwar im Laufe der Zeit eigene kleine Studios und Programmfenster, mehr aber nicht. Das Programm wurde von Wien aus vorgegeben. Radio wurde in Österreich zum Massenmedium und zum Propagandainstrument.

Ravag-Logo
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Logo der RAVAG

Ö1 Sendungshinweis:

Die Peichl-Torte. 50 Jahre ORF – „Weststrecke“: Mi., 20.7., 21 Uhr.

Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an Nazideutschland im Jahr 1938 wurden die Sender der RAVAG, auch Radio Wien genannt, aufgeteilt. In der vormaligen Bundeshauptstadt entstand der Reichssender Wien. Linz blieb in seinem Einflussgebiet. Salzburg und Innsbruck wurden an den Reichssender München angeschlossen, Dornbirn dem Reichssender Stuttgart untergeordnet. Der Rundfunk wurde gleichgeschaltet, das Programm von Berlin vorgegeben.

Regionalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg

Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann eine allmähliche Regionalisierung des Rundfunks in Österreich. Das Land wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt und das Radio in vier Gruppen dezentral neu geordnet. Die US-amerikanischen Sendergruppe „Rot-Weiß-Rot“ betrieb neben den Sendern in Salzburg und Linz ebenfalls einen eigenen Sender im viergeteilten Wien.

Der ehemalige Mitarbeiter von „Rot-Weiß-Rot“ Rudolf Tremmel erinnert sich an die Kompetenzverteilung in der Sendergruppe – im Jahr 1945 war Salzburg die Kopfstation. Das Programm wurde von Salzburg, Linz und Wien individuell gestaltet. Ab 1946 wurde die Kopfstation Wien.

So ähnlich funktionierte die Aufteilung auch in der „Sendergruppe West“ der französischen Alliierten. Sie bündelte die Sender in Vorarlberg und Tirol.

Reina Welpe war direkt nach dem Krieg Programmsekretärin in Dornbirn – das Schema wurde tageweise auf Dornbirn und Innsbruck aufgeteilt. Am Wochenende gab es alternierendes Programm. In der Radiozeitung wurde dies abgebildet.

Mit dem Inkrafttreten des österreichischen Staatsvertrags am 27. Juli 1955 wurden alle vormaligen Besatzungssender zu einem österreichischen Rundfunk zusammengefasst. De facto sind während der Besatzungszeit die Landesstudios in den meisten Bundesländern entstanden. Diese regionale Hoheit sollte erhalten bleiben. Nach zweijährigen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern wurde die Errichtung einer „GmbH“ beschlossen. Die Österreichische Rundfunk Gesellschaft konstituierte sich am 11. Dezember 1957. Ihr Sitz war in Wien. Laut Vertrag war der ORF berechtigt, an anderen Orten des Inlandes Betriebsstätten zu errichten.

Gerhard Freund, 1957 ORF-Direktor, berichtet über die Anfänge des Fernsehens in jenen Jahren:

Am 1. Jänner 1958 gingen sowohl nationale als auch regionale Radioprogramme auf Sendung. Das Fernsehen, das in Österreich offiziell am 1. August 1955 startet, blieb zentralistisch organisiert. Zu neu und aufwändig war das noch junge Medium, um eigene Programme in den Bundesländern zu gestalten. Dies änderte sich im Laufe der Zeit.

Jahre des Proporz

Es herrschte der Proporz. Die generelle Hoheit über den Rundfunk hatte die Bundesregierung. Die Länder waren in Form der Landesregierungen in die regionalen Möglichkeiten der politischen Einflussnahme mit eingebunden. Der ORF wurde von der Politik als Sprachrohr verstanden – er war ihr ja schließlich auch direkt unterstellt. Rundfunkprogramme in den Bundesländern hatten einen zusätzlichen Effekt. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstand besonders dann, wenn etwas in der eigenen Region passierte und die Menschen zeitgleich darüber informiert wurden.

Der Reporter Walter Waldherr war vor Ort und berichtete über den Brand der Pöstlingbergkirche – am 31. Mai 1963 begann kurz vor 14 Uhr der rechte Turm der Kirche zu brennen. Die Feuerwehr war bemüht, den Brand zu löschen. Nach der Berichterstattung besuchten zahlreiche Menschen am folgenden Tag den Ort des Geschehens.

Die Landesstudios hatten zwar einen eigenen Stellenwert in der Rundfunkgesellschaft, aber noch keine wirklich eigenständige und föderale Position.

ORF-Generaldirektor Gerhard Bacher
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Gerd Bacher

Rundfunkgesetz von 1967

Dies änderte sich erst mit dem neuen Rundfunkgesetz von 1967. Der Proporz wurde abgeschafft. Der Österreichische Rundfunk bekam volle Autonomie und politische Unabhängigkeit. Ein Generalintendant und nicht mehr die Bundesregierung leitete ihn. Die Landesstudios wurden durch das Gesetz schließlich rechtlich institutionalisiert. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich war ab diesem Zeitpunkt neben der nationalen um eine regional-föderale Dimension per Gesetz erweitert.

Gerd Bacher wurde am 9. März 1967 zum ersten Generalintendanten des ORF – der Rundfunk durch das neue Gesetz politisch unabhängig und alleinig einem Genrealintendanten und nicht mehr der Bundesregierung unterstellt.

Bacher leitete eine tiefgreifende Programmreform ein. So wurden etwa die Bundeslandradios unter der Gemeinschaftsmarke „Ö2“ zusammengefasst. Sie sendeten ein Vollprogramm und wurden inhaltlich neu auf die jeweilige Regionalität konzipiert. Für das Fernsehen wurde unter anderem die Sendung „Österreich-Bild“ geschaffen. Zunächst ein Format mit einzelnen Beiträgen aus mehreren Bundesländern, wurde es ab 1975 abwechselnd von einem Landesstudio produziert. Die erste Sendung kam aus Oberösterreich, ein Meilenstein in der Regionalisierung des Fernsehens.

„Österreich Bild am Sonntag“ vom 6. April 1975 aus dem Landesstudio Oberösterreich: „Der Pendler“ thematisierte die Situation eines Landwirten und VÖEST-Arbeiters in Oberösterreich und ging auf das Alltagsleben ein.

Der Pendler

Daraus entwickelten sich schließlich auch die „Bundesland heute“ Sendungen. Diese wurden seit dem 2. Mai 1988 als eigene Regionalfenster gesendet.

Neues Zentrum, neue Landesstudios

Unter Bacher fand 1967 ebenso eine bauliche Neuordnung statt. Am Küniglberg in Wien wurde das ORF-Zentrum errichtet. Auch die Neugestaltung der Infrastruktur in den Bundesländern wurde angegangen. Seit der Besatzungszeit waren die Funkhäuser der Landesstudios meist provisorisch untergebracht. So befand sich beispielsweise das Funkhaus in Salzburg im Franziskaner Kloster der Stadt und in Innsbruck im Landhaus. Das sollte sich nun ändern – zumal schon länger von der Politik versprochen. Für die Errichtung der neuen Funkhäuser wurden Grundstücke angekauft, beispielsweise in Salzburg in Nonntal.

ORF-Landesstudio Oberösterreich während des Baus
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„Mittelteil mit aufgesetzten Deckenelementen“ in Linz – die Bauphase der neuen Funkhäuser wurde genau dokumentiert und zur Eröffnung der Funkhäuser publiziert.

Die Grundstückskäufe und die Errichtung der neuen Landesstudios kosteten viel Geld. Aber nicht nur das – es sollten auch zahlreiche neue Sender gebaut werden. Laut Gesetz mussten 95 Prozent der Bevölkerung in Österreich mit Rundfunk versorgt werden. Gerd Bacher gelang es, ein langfristiges Vier-Milliarden-Investitionsprogramm auf die Beine zu stellen.

Architekt Gustav Peichl bei der Eröffnung des ORF-Landesstudios Vorarlberg 1972
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Gustav Peichl 1972 in Dornbirn

Zunächst sollten die neuen Landesstudios der sogenannten „ORF-West-Strecke“, also Linz, Salzburg, Innsbruck und Dornbirn gebaut werden. Niederösterreich hatte damals noch keine eigene Landeshauptstadt. Für die Gestaltung der neu zu bauenden Landesstudios wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt Gustav Peichl – für Gerd Bacher die erste Wahl.

Der ehemalige ORF-Generalintendant Gerd Bacher über die Gründe, warum Gustav Peichl als Architekt den Zuschlag erhalten hat: „Peichl hatte sein ganzes Leben schon fest mit Medien verbunden und wusste deshalb, worauf es im Konzept der neuen Landesstudios ankam.“

Funktionalität im Mittelpunkt

Das Konzept des Wiener Architekten stellte die Funktionalität des Gebäudes in den Mittelpunkt. Um einen Zentralraum wurden je nach Wichtigkeit und Funktion die verschiedenen Bereiche in Kreissegmenten angeordnet. Daraus resultierte eine runde Gesamtform. Fast alle weiteren bis in die 1990er Jahre neu gebauten ORF-Landesstudios wurden nach dem Konzept vom Peichl errichtet. Am 21. Juli wurde in Salzburg das erste neue ORF-Landesstudio eröffnet.

„Zeit im Bild“ Berichterstattung vom 21. Juli 1972 über die Eröffnung des neuen Landesstudios in Salzburg: Generalintendant Bacher eröffnete in Nonntal in Salzburg das neue Landesstudio. Die Inbetriebnahme war ein Höhepunkt des ORF-Investitionsprogrammes.

ZiB vom 21. Juli 1972

Die zeitliche Nähe der Eröffnung vom Funkhaus zu der der Salzburger Festspiele knapp eine Woche später war geplant. Die Übertragung des Kulturgroßereignisses, auch in die ganze Welt, wurde durch die neue Infrastruktur wesentlich erleichtert. Regional war auch international! Am 6. Oktober 1972 wurde das Landesstudio in Linz eröffnet.

Bei der Eröffnung des neuen Landesstudios in Linz hielt unter anderem der damalige oberösterreichische Landeshauptmann Erwin Wenzel eine Rede: Die Länder erwarteten vom Rundfunk die der Bevölkerung gebührende Betreuung, so Wenzel. Sie würden sich gegen jede Rundfunkgesetz-Novellierung wenden, die eine Einschränkung der Rechte der Länder zur Folge hätte.

In Folge des Eröffnungsreigens der neuen ORF-Landesstudios von 1972 erhöhten die Länder ihre Anteile am Stammkapital der Rundfunkgesellschaft. Unter anderem nutzte dies Gerd Bacher in weiterer Folge, um das Rundfunkmonopol in Österreich aufrecht zu erhalten. Dieses begann erst in den 1990er Jahren zu bröckeln. Am 13. Oktober 1972 wurde das Funkhaus in Innsbruck feierlich eröffnet.

Im Rahmen eines Spezialprogramms führten die Kabarettisten Otto Grünmandl und Theo Peer auf humoristische Art und Weise im Vorfeld der Eröffnung durch die Räumlichkeiten – sie thematisierten die architektonische Umsetzung des Funkhauses und nahmen sie aufs Korn. Auch das Eröffnungsdatum, ein Freitag der 13., führte zu Gesprächsstoff.

Eröffnung des Funkhauses in Innsbruck

Als letztes im Jahr 1972 wurde das Landesstudio in Dornbirn am 20. Oktober eröffnet. Am darauffolgenden Tag öffneten sich die Tore für das interessierte Publikum. Der Architekt Gustav Peichl stellte sich am Tag der offenen Tür mit einem Mikrofon vor das Funkhaus und interviewte die Gäste – die Meinungen der Gäste gingen auseinander. Manchen gefiel das Gebäude sehr gut, aber anderen widerstrebte das Konzept in der Landschaft.

Nach außen hin wirkte der Bau für die damalige Zeit futuristisch und fand nicht immer Zuspruch in der Bevölkerung. Der Volksmund prägte schließlich den Begriff „Peichl-Torte“. Dieser avancierte zum Markenbegriff.

ORF-Landesstudio Salzburg 1972
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Das Landesstudio in Salzburg eröffnete am 21. Juli 1972 – nach außen hin wirkte der Bau für die damalige Zeit futuristisch. Viele Menschen assoziierten die Form mit der einer Torte – die Bezeichnung „Peichl-Torte“ wurde zur Marke.

In den folgenden 50 Jahren wurden die Funkhäuser den sich wandelnden Medien und Ansprüchen stetig angepasst. Die Bilanz der ORF-Landesstudios kann sich sehen lassen. Beispielsweise haben nach der „Zeit im Bild“ die „Bundesland heute“ Sendungen die meisten Zuseherinnen und Zuseher im österreichischen Fernsehen. Und jede dritte gehörte Radiominute entfällt auf die ORF-Regionalradios – ein absoluter Spitzenwert.

Auch die Onlineangebote erfreuen sich großer Beliebtheit. Dabei hat sich in den letzten 20 Jahren gerade die Medienwelt durch diverse „Global Player“ maßgeblich verändert. Doch gerade das Bedienen regionaler Bedürfnisse ist im Sinne der Peichl-Torte ein Erfolgsrezept.