Oberfläche eines Smartphones mit Logos von Instagram, Twitter, Facebook (Soziale Medien)
AFP/DENIS CHARLET
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Studie

Kein Run auf Verschwörungstheorien

Ob der von Regierungen verheimlichte Kontakt mit Außerirdischen oder das Coronavirus als Biowaffe: Verschwörungstheorien gibt es auf der ganzen Welt. In vier Teilstudien zeigen Forscherinnen und Forscher nun aber, dass der Glaube an diese Theorien auch in Zeiten von Social Media nicht zunimmt.

Es gibt wahrscheinlich kaum Personen, die noch nie mit der ein oder anderen Verschwörungstheorie in Kontakt gekommen sind. Deren Inhalte sind sehr vielfältig – von der Inszenierung der Mondlandung im Jahr 1969 über geheime Mikrochips in der CoV-Impfung bis hin zu Theorien, die nur in einzelnen Ländern Anhänger haben – zum Beispiel jene um den Tod des österreichischen Landes- und Bundespolitikers Jörg Haider im Jahr 2008.

In einer Umfrage der Universität Basel aus den Anfängen der Pandemie meinten rund zehn Prozent der Menschen in Deutschland und der Schweiz, an bestimmte CoV-Verschwörungsszenarien zu glauben. Weitere 20 Prozent stimmten Theorien wie „Antikörpertests sind ein Komplott, um DNA zu sammeln“ mäßig zu.

Goldenes Zeitalter oder wiederkehrendes Phänomen?

Ob die Zahl der Anhänger von Verschwörungstheorien in den letzten Jahren zugenommen hat, wurde laut dem Politikwissenschaftler Joseph Uscinski von der Universität von Miami (USA) bisher kaum empirisch erforscht. Er selbst sehe aber immer wieder Medienberichte, in denen von einem „goldenen Zeitalter der Verschwörungstheorien“ die Rede ist.

Gegenüber science.ORF.at erklärt Uscinski: „Es gibt wiederholte Behauptungen, Verschwörungstheorien seien so beliebt wie noch nie.“ Der Politikwissenschaftler durchstöberte aber auch US-amerikanische Medienberichte aus den vergangenen Jahrzehnten. Seine daraus gewonnene Erkenntnis: „Die Behauptung, es gibt so viele Verschwörungstheoretiker wie noch nie, gab es auch schon in den 60er-Jahren und den Jahrzehnten danach.“

Keine Evidenz für wachsende Beliebtheit

Uscinski machte es sich daher mit einem Team zur Aufgabe, den Glauben an verschiedene Verschwörungstheorien empirisch zu untersuchen. Dazu führten die Forscherinnen und Forscher vier Teilstudien durch. Das Ergebnis präsentieren sie aktuell im Fachjournal „Plos One“.

In einer der Studien analysierte das Forschungsteam die generelle Einstellung von Menschen in den USA und fragte über unterschiedliche Zeiträume ab, wie sie zu 55 verschiedenen Verschwörungstheorien stehen. Dabei ging es sowohl um aktuelle Themen rund um das Coronavirus als auch um bereits länger bestehende Theorien, wie etwa zum Mord am ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy.

Die Resultate aus den Umfragen verglichen die Forscherinnen und Forscher anschließend mit Daten aus historischen Befragungen, die zum Teil bis 1966 zurückreichten. Die meisten Befragungen fanden aber innerhalb der vergangenen zehn Jahre statt. Dabei zeigte sich: „Ein paar der 55 Verschwörungstheorien haben zwischen den Befragungen an Beliebtheit gewonnen. Beim Großteil der Theorien blieb die Zahl der Anhänger aber konstant oder nahm sogar ab.“

Vergleich mit Europa

In der zweiten der vier Teilstudien erhoben die Forscherinnen und Forscher die Meinungen zu sechs Verschwörungstheorien in Europa. Dazu nutzten sie Umfragedaten aus den Jahren 2016 und 2018 aus den Ländern Deutschland, Großbritannien, Italien, Polen, Portugal und Schweden. Die Umfragen fanden noch vor der Pandemie statt, das Coronavirus war darin also noch kein Thema. Die Theorien umfassten Aussagen wie „Menschen hatten bereits Kontakt mit Aliens“ oder „die menschenverursachte Klimaerwärmung ist nur ein Gerücht“.

So wie bei den US-amerikanischen Daten konnte das Forschungsteam auch in Europa keine überzeugende Evidenz dafür finden, dass der Glaube an bestimmte Verschwörungstheorien oder der generelle Glaube an Verschwörungen in letzter Zeit zugenommen hat. Uscinski: „Die Daten, die wir in Europa untersucht haben, sind nicht sehr umfangreich. Trotzdem hat sich gezeigt, dass der Glaube an Verschwörungstheorien auch im europäischen Durchschnitt nicht wirklich zunimmt.“

Weitere Untersuchungen

Das zeigte sich laut Uscinski auch in den beiden übrigen Teilstudien. Darin analysierten die Forscherinnen und Forscher etwa, welche Gruppen in den USA – von Freimaurern über die Regierung bis hin zu internationalen Organisationen – in den letzten Jahrzehnten am häufigsten als „Verschwörer“ gesehen wurden. Darüber hinaus wertete das Team auch acht Befragungen zwischen 2012 und 2021 aus, in denen es um die generelle Neigung der US-Amerikaner zu Verschwörungstheorien ging.

Keine der vier Teilstudien lieferte laut den Forschenden Hinweise darauf, dass der Glaube an Verschwörungstheorien tatsächlich zunimmt. Vielmehr verändere sich der Inhalt der Theorien, die Personen, die daran glauben, bleiben jedoch laut Uscinski oft dieselben: „Viele der Menschen, die glauben, dass das 5G-Netz eine SARS-CoV-2-Erkrankung verursacht, haben vor der Pandemie geglaubt, es führe zu Krebserkrankungen oder sei dazu da, Gedanken zu kontrollieren.“

Kein Zuwachs durch Social Media

Davon zeugt auch, dass der generelle Glaube an Verschwörungstheorien laut Uscinski mit der Zeit schwankt – die Zustimmung zu bestimmten Theorien nahm in den Umfragen mal zu, mal ab. Der Politikwissenschaftler ging, wie er erzählt, selbst davon aus, dass dafür unter anderem die immer präsentere Informationsverbreitung in den sozialen Netzwerken verantwortlich ist.

Aber: „In der Zeit, seit die heute gängigen sozialen Netzwerke existieren, haben wir in den Umfragedaten keine Hinweise darauf gefunden, dass der Glaube an Verschwörungen tatsächlich zugenommen hat.“ Uscinski selbst meint, von diesem Ergebnis überrascht gewesen zu sein.

Eine Erklärung dafür sieht der Politikwissenschaftler aber unter anderem darin, dass die Mediennutzerinnen und -nutzer gemeinhin unterschätzt werden. „Menschen glauben nicht einfach alles, was sie in den sozialen Netzwerken lesen. Nur weil vielleicht mehrere Personen mit Verschwörungstheorien konfrontiert werden als früher, heißt das nicht, dass sie ihnen auch automatisch zustimmen.“

Keine Daten zu Individuen

Die vier Teilstudien tragen laut Uscinski dazu bei, die vielen Zahnräder hinter Verschwörungstheorien zu beleuchten und die Ursachen für ihr Aufkommen zu analysieren. Weitere Untersuchungen seien jedoch nötig, um tatsächlich allgemein gültige Aussagen über die Ausmaße von Verschwörungsszenarien zu treffen.

Davon ist auch die Medienpsychologin Lena Frischlich von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (DE) überzeugt. Sie war an den Teilstudien nicht beteiligt, schreibt aber in einem Kommentar: „Bei den Datensätzen, die analysiert wurden, werden nicht immer die gleichen Menschen befragt – die Studie kann also nichts darüber aussagen, ob sich bei einzelnen Personen der Verschwörungsglaube im Zeitverlauf verändert, ob er wächst oder fällt. Hierfür sind jeweils andere methodische Zugänge notwendig.“