Menschen auf dem Weg zur Arbeit in der Früh in London
AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS
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Studie

Genetik der Körpergröße entschlüsselt

Wie groß Kinder später einmal werden, kann künftig genauer denn je bestimmt werden. Im Rahmen der bis dato umfangreichsten Studie in diesem Bereich hat ein internationales Forschungsteam über 12.000 Genvarianten identifiziert, die mit der Körpergröße zusammenhängen. Vor allem in der Medizin öffnen sich damit einige Türen.

Die Körpergröße einer Person wird zum größten Teil von in ihrem Erbgut bestimmt. Kinder von zwei großen Elternteilen tendieren normalerweise dazu, selbst groß zu werden. Die spätere Körpergröße eines Kindes aber nur anhand der äußeren Merkmale der Eltern zu schätzen, führt nicht immer zu den korrekten Ergebnissen.

Schon länger gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass bestimmte Genvarianten im Erbgut für 40 bis 50 Prozent der Größenunterschiede zwischen zwei Personen mit ähnlicher Abstammung verantwortlich sind. So lasse sich unter anderem auch erklären, warum Geschwister oft nicht gleich groß sind. Weitere Gründe für die Größenunterschiede liegen aber auch in äußeren Einflüssen wie unter anderem der Ernährung.

Größte genomweite Studie

Um die für die Größenunterschiede verantwortlichen Genvarianten im Erbgut so genau wie nie zuvor zu dokumentieren, haben sich über 600 internationale Forscherinnen und Forscher zusammengetan und die bisher größte genomweite Assoziationsstudie durchgeführt. Über 280 Einzelstudien und Daten über das Erbgut von 5,4 Millionen Menschen sind in die Untersuchung eingeflossen. Die Datenmenge war so rund sieben Mal größer als bei vergleichbaren Studien aus vergangenen Jahren.

Das Ziel der Forscherinnen und Forscher war es, all jene Genvarianten zu identifizieren, die sich auf die Körpergröße einer Person auswirken können. Das Ergebnis ihrer Untersuchung präsentieren sie aktuell im Fachjournal „Nature“.

12.000 Genvarianten beeinflussen Körpergröße

Durch den Vergleich aller 5,4 Millionen Datensätze und die Analyse der darin enthaltenen Einzelnukleotid-Polymorphismen hat das Forschungsteam über 12.000 Genvarianten im Erbgut identifiziert, die Einfluss auf die Körpergröße haben. Sie sind in kleinen Bereichen angesiedelt, die rund 20 Prozent des gesamten menschlichen Erbguts umfassen.

Bei Menschen mit europäischer Abstammung sind diese Genvarianten für knapp 45 Prozent der Unterschiede in der Körpergröße verantwortlich. Dieser Wert stimmt auch mit den früheren Schätzungen zum Einfluss der Genvarianten auf die Körpergröße überein. Laut den Forscherinnen und Forschern werden daher auch künftige Untersuchungen zu dieser Personengruppe keine neuen Erkenntnisse liefern – alle Informationen, die durch genomweite Assoziationsstudien ermöglicht werden, konnten die Forscherinnen und Forscher bereits sammeln.

Globalere Untersuchungen nötig

Das sehr genaue Ergebnis für Menschen mit europäischer Abstammung ist darauf zurückzuführen, dass der Großteil der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer dieser Gruppe angehörte. In der Wissenschaft sei das immer wieder ein Problem. Laut den Studienautorinnen und -Autoren gibt es aktuell einfach noch zu wenige verfügbare Daten über Personen aus Afrika oder Asien. Für Personen ohne europäische Abstammung sind die Resultate der internationalen Studie daher auch weniger aussagekräftig.

Demnach erklären die 12.000 identifizierten Genvarianten bei Personen mit afrikanischer oder asiatischer Abstammung nur zehn bis zwanzig Prozent der Größenunterschiede zwischen einzelnen Individuen. Bei diesen Bevölkerungsgruppen könnten künftige Untersuchungen daher noch einige neue Informationen liefern – vorausgesetzt es können genug Daten für die dafür nötigen umfangreichen Studien gesammelt werden.

Modell mit vielen Möglichkeiten

Mit einem besseren Verständnis über die Genvarianten im Erbgut öffnen sich laut den Forscherinnen und Forschern auch einige Türen in der Medizin. Unter anderem kann schon anhand der DNA die spätere Körpergröße eines Kindes genauer denn je bestimmt werden. Sollte es in der Entwicklung des Kindes dann zu Problemen kommen und das Wachstum nicht wie geplant voranschreiten, kann der Auslöser dafür schnell und genau identifiziert werden.

Das Modell der umfangreichen Studie könnte außerdem dabei helfen, mehr über Krankheiten wie Schizophrenie oder Herzprobleme zu erfahren. „Wenn wir Eigenschaften wie die unterschiedlichen Körpergrößen anhand von Genomen beschreiben können, könnte das gleiche Modell auch zu besseren Diagnosen bei Krankheiten führen, die ebenfalls von genetischen Varianten beeinflusst werden“, erklärt die Biologin und Koautorin der Studie Eirini Marouli von der Queen Mary Universität in London.

Auch abseits der Medizin könnten die Erkenntnisse zu den Genvarianten künftig von Bedeutung sein. Bei Tatortermittlungen könnten etwa die DNA-Proben dazu dienen, die Körpergröße von Verdächtigen auf der Flucht genauer zu bestimmen.