Informatiker und ISTA-Präsident Thomas Henzinger
APA/HERBERT PFARRHOFER
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Interview

ISTA-Präsident Henzinger zieht Bilanz

Das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg hat sich in den letzten 15 Jahren zu einer Topadresse der globalen Forschungslandschaft entwickelt. Das ist nicht zuletzt das Verdienst von Thomas Henzinger. Im ORF-Interview zieht der Informatiker und scheidende ISTA-Präsident Bilanz: ein Gespräch über wissenschaftliche Aufsteiger, abstürzende Computerprogramme – und die Frage, wie exzellente Forschung möglich ist.

science.ORF.at: Herr Henzinger, Sie waren 14 Jahre Präsident des ISTA und legen nun mit Ende des Jahres ihr Amt zurück, um sich wieder mehr auf die Forschung konzentrieren zu können. War die Doppelbelastung auf die Dauer dann doch nicht zu stemmen?

Thomas Henzinger: Für mich war es immer wichtig, dass ich meine Forschungsgruppe behalte. Sozusagen als Ausgleich zur Managerkarriere. Ich denke, es ist nun einfach Zeit, dass das Institut eine neue Leitung bekommt und auch neue Ideen verfolgt.

Wer wird Ihnen nachfolgen?

Henzinger: Ein in den USA erfolgreicher Molekularbiologe und ein geborener Österreicher, derzeit Vize-Präsident am Salk Institute in La Jolla: Martin Hetzer wird ab 1. Jänner Präsident des ISTA.

Zu Ihren Forschungen: Die Informatik gilt als abstraktes Fach, kann man das, was Sie im Alltag tun, anschaulich beschreiben?

Henzinger: Mein Forschungsgebiet heißt Programmverifikation. Wir versuchen zu beweisen, dass Software-Programme tatsächlich das machen, was beabsichtigt ist, dass sie fehlerfrei sind und robust gegenüber Angriffen. Das ist an sich ein mathematisches Problem, denn ein Programm ist ja ein mathematisches Objekt. Wenn man ganz sicher sein will, dass eine Aussage stimmt, dann beweist man sie formal. Dass das auch bei Computerprogrammen wichtig ist, wird jedem einleuchten, der einmal damit zu tun hatte. Programme sind sehr fehleranfällig. Dass eine Software crasht oder hängen bleibt, hat wohl jeder schon einmal erlebt.

Mein Email-Programm stürzt regelmäßig ab. Hätten Sie bewiesen, dass es widerspruchsfrei läuft, wäre das nicht der Fall?

Henzinger: In der Theorie ja. Sie sehen natürlich sofort, wo das praktische Problem liegt. Ihr Email-Programm ist für sich genommen schon ziemlich monströs, wenn Sie den Code betrachten, denn es kümmert sich nicht nur um Ihre eigenen Emails, sondern auch um die von Nutzern auf der ganzen Welt und das mit allen möglichen Features. Und es ist außerdem eingebettet in noch größere Programme. Da kommt man schnell vom Hundertsten ins Tausende. Das System ist oft zu komplex, um etwas beweisen zu können. Aber es gibt Programme, die sehr viel kritischer sind als Emails – zum Beispiel die Software, die in Autos oder Flugzeugen läuft. Hier werden tatsächlich Beweise eingesetzt, um zumindest gewisse Fehler auszuschließen.

Thomas Henzinger vor einer Tafel, vollgeschrieben mit matzematischen Formeln und Symbolen
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Thomas Henzinger: „Ein Computerprogramm ist ein mathematisches Objekt“

Ihre Frau ist ebenfalls Informatikerin und hat letztes Jahr – so wie Sie 2012 – den Wittgenstein-Preis erhalten. Bestimmt das auch den familiären Alltag? Diskutieren Sie zu Hause fachliche Probleme?

Henzinger: Nein, wir reden zu Hause eigentlich kaum über Informatik. Wir arbeiten allerdings auch auf sehr verschiedenen Teilgebieten der Informatik, meine Frau ist Algorithmikerin, ich beschäftige mich mit Logik und Programmverifikation.

Inwieweit verstehen Sie, woran Ihre Frau forscht – und umgekehrt?

Henzinger: Ich verstehe schon, was Sie macht. Aber ich wäre nicht in der Lage, auf diesem Gebiet originelle Forschung zu machen. Da fehlt mir die Erfahrung und das Gespür dafür. Wahrscheinlich ist es umgekehrt genauso.

Kommen wir nun zu Ihrer Rolle als ISTA-Präsident. Ihr Resümee nach knapp anderthalb Jahrzehnten Forschungsmanagement?

Henzinger: Als ich diesen Job annahm, war mir bewusst, dass das ein risikobehaftetes Unternehmen ist. Risikoreich im Sinne von: mit ungewissem Ausgang. Es haben mir auch viele davon abgeraten. Rückblickend haben wir eine der besten Entwicklungen genommen, die möglich waren. Das lag nicht an einzelnen großen Taten, sondern an unzähligen kleinen Entscheidungen, die wir getroffen haben. Es ist so ähnlich wie beim Wetter: Für morgen funktioniert die Vorhersage gut, aber je weiter man in die Zukunft schaut, umso stärker divergieren die möglichen Ergebnisse.

Sie haben sich also quasi in die Schönwetterzone der Wissenschaft manövriert. Wenn man die Publikationen am ISTA als Maß für Qualität heranzieht, ist die Bilanz exzellent. Das zeigen einige Untersuchungen, unter anderem ein Ranking in der Zeitschrift „Nature“. Haben Sie ein Erfolgsrezept?

Henzinger: Die Hauptidee war von Anfang an: Wir wollen aus aller Welt einige der besten Forscher und Forscherinnen in ihrem Fach rekrutieren. Die Person war immer viel wichtiger als das Forschungsgebiet. Wir haben pro Jahr 1.500 Bewerbungen für Professuren am ISTA, etwa fünf davon wählen wir jährlich aus. Unabhängig davon, was sie machen, solange sie unter den Besten ihres Faches sind. Dafür versuchen wir einmalige Forschungsbedingungen zur Verfügung zu stellen – Infrastruktur, Kollegen, Studierende. Denn: Forscher sind immer nur so gut wie die Umgebung. Drittens versuchen wir ihnen vollkommene Freiheit zu geben, woran sie forschen wollen.

In der Planungsphase des ISTA war zunächst von einer „University of Excellence“ die Rede. Von diesem Begriff hat man sich nach der Gründung rasch distanziert, warum?

Henzinger: Zum einen sind wir nicht wirklich eine Universität, wir haben nur Doktoranden und bieten kein Grundstudium an. Zum anderen ist das mit der Exzellent so eine Sache. Ich werde mich nicht dagegen wehren, das ISTA als exzellent zu bezeichnen. Nur würde sich wahrscheinlich jede Institution so nennen – für mich ist das kein Unterscheidungskriterium.

Bleiben wir in der Gründungsphase: Die Standortfrage war letztlich ein politisches Match zwischen der Stadt Wien und dem Land Niederösterreich. Als klar war, dass sich das Institut nicht in Wien, sondern in Gugging, Klosterneuburg, ansiedelt, haben prominente Forscher wie Anton Zeilinger, Arnold Schmidt und Peter Schuster ihre Mitarbeit an dem Projekt zurückgelegt. Wie sehen Sie das rückblickend?

Henzinger: Unabhängig davon, wie der Standort zustande kam, ich war damals übrigens im Ausland: Es ist zu hundert Prozent der richtige und perfekte Standort. Wir haben hier, mitten im Wienerwald, jederzeit die Möglichkeit, zu expandieren. Es gibt Pläne, dass sich das Institut in den nächsten 15 Jahren nochmals verdoppelt von 1.000 auf 2.000 Mitarbeiter. Wir bauen einen hochmodernen Wissenschaftscampus in dieser schönen Lage – und daneben, 30 Minuten entfernt, befindet sich eine der lebenswertesten Städte der Welt.

Innovationen entstehen oft in Regionen, wo die kritische Dichte an Exzellenz erreicht wird, wie zum Beispiel in der Bay Area in Kalifornien oder im Großraum Boston. Wäre da eine Nähe zu Universitäten und anderen Instituten nicht von Vorteil gewesen?

Henzinger: Sie haben absolut Recht, es gibt einen Gravitationssog an solchen Standorten. Aber eines muss ich schon sagen: Für jeden Nicht-Wiener sind wir in Wien. Die Distanz vom ISTA zum ersten Bezirk ist sehr viel geringer als von Stanford nach Berkeley, die beiden Bildungszentren in der Bay Area. Und sie ist auch geringer als von Princeton nach Manhattan.

Noch besser wäre unmittelbare Nachbarschaft. Untersuchungen von Wissenschaftssoziologen zeigen nämlich: Neue Ideen entstehen weniger in offiziellen Meetings, sondern bei Gesprächen an der Kaffeemaschine.

Henzinger: Stimmt. Und daher war es auch eine so wichtige Entscheidung, das ISTA in den Naturwissenschaften so breit aufzustellen. Es war von Anfang an so konzipiert, genau wegen jener Synergiewirkungen, die Sie angesprochen haben.

Thomas Henzinger im Ö1-Studio
ORF/Czepel
Thomas Henzinger im Ö1-Studio

Das ISTA ist bis 2036 durch Mittel vom Bund und vom Land Niederösterreich ausfinanziert, bis dahin sollen 150 Forschungsgruppen etabliert werden. Im Vergleich dazu nagen andere Institutionen am Hungertuch, an der Uni Wien wird mittlerweile über die tolerable Raumtemperatur diskutiert, weil man sich die Energiekosten nicht mehr leisten kann. Verstehen Sie, dass da manche neidisch sind?

Henzinger: Ja, auch die Universitäten sollten mit langfristigeren Budgets rechnen können. Ebenso der FWF. Wenn man aufs Detail schaut, muss man aber sagen: Unsere Budgets waren immer an Leistung gekoppelt. Ein Drittel unseres Budgets fließt nur dann, wenn unsere Forscher in gleichem Ausmaß Drittmittel einwerben. Das gibt es in dieser Form nur bei uns – die Vergleichbarkeit ist also nicht unbedingt gegeben.

Gleiches gilt für die Ausbildungsverpflichtung, die Uni Wien hat zum Beispiel knapp 89.000 Studierende. Aber sprechen wir über die Zukunft: Wohin wird sich das ISTA entwickeln? Wird das wissenschaftliche Portfolio noch breiter?

Henzinger: Ich denke, wir haben jetzt schon die wesentlichen Felder der Naturwissenschaften am Campus etabliert. Und ich nehme an, dass das ISTA weiterhin auf Exzellenz und Personen setzen wird, unabhängig vom Fachgebiet. Gute Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben auch die Tendenz zu ändern, woran sie forschen. Es ist also schwer vorherzusagen, was die Forschungsschwerpunkte in zehn, 15 Jahren sein werden.

Abzusehen ist immerhin, dass Arbeitsgruppen für Astrophysik und Klimaforschung hinzukommen.

Henzinger: Genau, wir haben schon in diesem Jahr zwei Astrophysiker berufen und in der Klimaforschung wird noch eine zweite Arbeitsgruppe hinzukommen. Das sind natürlich wichtige Gebiete, aber auch die Wissenschaft ändert sich ständig.

Für Sie steht nun ein Sabbatical auf dem Programm, bevor Sie ans ISTA als Forscher zurückkehren. Was haben Sie vor? Bücher lesen, Strandurlaub?

Henzinger: Mit Sicherheit kein Strandurlaub und Beine hochlagern. Ich werde einen Großteil der Zeit in Stanford verbringen, um wieder Vollzeit zur Forschung aufschließen zu können.