In vormodernen Zeiten wurden für schwere Schicksalsschläge wie Seuchen, Naturkatastrophen oder Ernteausfälle meist übernatürliche Kräfte verantwortlich gemacht: Götter, Dämonen, aber auch Menschen, denen „der böse Blick“ oder andere magische Fähigkeiten nachgesagt wurden, wie etwa Hexen. Die Wurzeln des Hexentums reichen vermutlich bis in die Steinzeit, als der Mensch begann mit Ritualen und spirituellen Handlungen sein Schicksal zu beschwören.
Immer wieder waren vermeintliche Unheilsbringer – häufig waren es Frauen – der Verfolgung ausgesetzt. In Europa erreichte diese Hexenjagd im 16. Jahrhundert, zu Beginn der Neuzeit, ihren Höhepunkt. Noch heute werden Menschen als Hexen gejagt, gefoltert oder gar getötet, z.B. in afrikanischen Ländern wie Tansania, Kongo, in Indien und in Südamerika. Die Verfolgung ist mancherorts so gravierend, dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr eine Resolution veröffentlichte, die zur Verurteilung entsprechender verletzender Praktiken und Angriffe auffordert. Aber auch in aufgeklärten, hochentwickelten westlichen Ländern glauben viele Menschen noch immer an Hexerei, wie die soeben im Fachmagazin „PLOS ONE“ erschienene Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Boris Gershman zeigt.
Glaube an den „bösen“ Blick
Für die Arbeit wurden Daten von über 140.000 Menschen aus 95 Ländern ausgewertet, die vom Pew Research Center zwischen 2008 und 2017 in Interviews gesammelt wurden. Nicht dabei waren China, Indien sowie einige afrikanische und asiatische Länder. Um die religiösen Einstellungen und den Glauben an übernatürliche Kräfte zu erfassen, stellten die Interviewer unter anderem diese Frage: „Glauben sie an den bösen Blick oder dass manche Menschen andere verfluchen können?“

Laut Gershman glauben insgesamt mehr als 40 Prozent der Befragten an eine solche Hexerei. Zwischen den Ländern variiert die Quote allerdings stark. In nordeuropäischen Ländern wie Schweden oder Dänemark ist der Hexenglaube mit etwa neun Prozent am wenigsten verbreitet. In Österreich liegt der Anteil (ähnlich wie in Deutschland) bei gut 13 Prozent. Besonders viel Hexengläubige gibt es in manchen afrikanischen Ländern, in Tunesien sind es fast 90 Prozent.
Individuum und Kultur
Anschließend hat Gershman analysiert, mit welchen persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren der Hexenglaube korreliert. Er komme in allen soziodemografischen Gruppen vor, aber Menschen mit höherer Bildung und mit einer sicheren ökonomischen Basis glauben seltener an übernatürliche Kräfte, außerdem areligiöse Menschen. Religiosität und der Glaube ans Übernatürliche gehen hingegen meist Hand in Hand.
Auch auf der gesellschaftlichen Ebene konnte Gershman einige Faktoren identifizieren, die den Hexenglauben anscheinend begünstigen. Beispielsweise sei er weiter verbreitet, wenn die Institutionen und der Staat schwach sind. Die Angst vor Hexerei bzw. die Angst als Hexe bezeichnet zu werden, übernehme eine Art sozialer Kontrollfunktion. In Gesellschaften, wo das soziale Vertrauen gering ist, neigen Menschen auch eher zu einem solchen irrationalen Glauben, außerdem Personen in konformistischen Kulturen und wenn das Misstrauen gegenüber Fremden sehr hoch.
Pessimismus schlecht für Wirtschaft
Generell seien Menschen in hexengläubigen Ländern weniger glücklich und häufiger pessimistisch eingestellt, sie hätten häufiger das Gefühl von Kontrollverlust. Auch für die wirtschaftliche Entwicklung und Innovationen sei diese Stimmung nicht gut. Gesellschaften zwischen modernen und traditionellen Lebensformen seien zudem besonders anfällig für Hexengläubigkeit.
Wie Gershman gegenüber der dpa erklärt, sind diese Aspekte auch der Grund, warum sich er als Wirtschaftswissenschaftler für das Thema Hexerei interessiert: „In den letzten Jahrzehnten hat sich unter Wirtschaftswissenschaftlern die Erkenntnis durchgesetzt, dass es wichtig ist, die Kultur und ihre Verbindung zum wirtschaftlichen Verhalten zu verstehen“, erklärt er – und der Glaube an Hexerei sei ein wichtiger Teil der Kultur auf der ganzen Welt.