Anton Zeilinger anl. einer Pressekonferenz im Rahmen der Nobel Prize Week, am Mittwoch, 07. Dezember 2022, in der Royal Swedish Academy of Sciences in Stockholm.
APA/EVA MANHART
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Anton Zeilinger

Unbescheiden zum Nobelpreis

Heute findet die feierliche Überreichung der Nobelpreise statt. Anton Zeilinger blickt im ORF-Interview in Stockholm auf Schlüsselmomente seiner Karriere zurück. Resümee des Quantenphysikers: „Man muss den eigenen Ideen vertrauen. Und sollte sich unbescheidene Ziele setzen.“

science.ORF.at: Herr Zeilinger, der Nobelpreis gehört zu jenen Dingen im Leben, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Sind Sie vor der Zeremonie im Stockholmer Konzerthaus nervös?

Anton Zeilinger: Man kann sich nicht vorbereiten, das ist vollkommen richtig. Und man muss auch nicht. Denn wir werden hier in Stockholm so gut betreut, es wird uns ganz genau gesagt, was wir wann machen sollen. Das heißt: Das ist eine Sache, die wir ungehindert genießen können.

Unter Physiker*innen an Uni und Akademie wurden in den letzten Jahren immer wieder Wetten abgeschlossen, wann Anton Zeilinger nun den Nobelpreis gewinnen würde. Haben Sie auch damit gerechnet?

Zeilinger: Ich bin schon seit einigen Jahren im Gespräch, das wird mir immer wieder gesagt. Ein Physikerkollege – interessanterweise einer aus Saudi-Arabien – sagte einmal zu mir: „You will get the Nobel Prize. Just make sure you get old enough.“

Erwartbar im Sinne von: Sie waren Teil des Favoritenkreises.

Zeilinger: Das kann ich nicht beurteilen, inwieweit das zu erwarten war. Ich habe nur Hinweise bekommen, dass ich vorgeschlagen wurde.

Wenn man einen Blick auf die Biografien von Nobelpreisträgern und Nobelpreisträgerinnen wirft, fällt auf: Sehr oft spielen inspirierende Persönlichkeiten, Förderer und Mentoren eine Schlüsselrolle. So auch bei ihnen. Wobei die Inspirationen in Ihrem Fall früh einsetzen, nämlich bereits in der Schulzeit.

Zeilinger: Mein Physiklehrer im Gymnasium war für mich sehr wichtig. Warum? Weil er vollkommen begeistert war von dem, was er gemacht hat. Das ist die allerwichtigste Sache in der Schule: dass man begeistert ist, diese Begeisterung weitergibt und dadurch authentisch ist. Natürlich hat er gelegentlich auch Fehler gemacht, aber das ist ja völlig egal. Ich bin überzeugt, er hatte keine einzige Stunde Fachdidaktik.

Das hat nicht nur Sie beeindruckt, sondern auch andere in der Klasse.

Zeilinger: Insgesamt haben fünf von uns Physik studiert. Einer ging zum CERN und blieb dort bis zu seiner Pensionierung. Ein Kollege ging in die Wissenschaftsadministration, was auch wichtig ist. Die anderen beiden haben ich aus den Augen verloren, das müsste ich recherchieren. Ich möchte eines noch hinzufügen: Bei uns gab es damals keinen einzigen Physiktest. Und auch keinen in der Chemie. Das war ein automatisches Hineinwachsen in diese Fächer. Natürlich gab’s Leute, die in der letzten Reihe saßen, und die das nicht interessiert hat. Aber das ist auch ok.

Anton Zeilinger anl. eines Vortrags im Rahmen der Nobel Prize Week, am Donnerstag, 08. Dezember 2022, in der Universität in Stockholm.
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Zeilinger bei der Nobelvorlesung am Donnerstag in der Universität in Stockholm

Kommen wir zur nächsten prägenden Station ihrer Laufbahn: die Zusammenarbeit mit Ihrem Doktorvater Helmut Rauch. Ich darf Sie zitieren: „Von ihm habe ich gelernt, dass man den Mut haben sollte, große Fragen zu stellen.“

Zeilinger: Es ist das Stellen großer Fragen, ja. Was ich von ihm auch gelernt habe: Man muss den eigenen Ideen vertrauen. Selbst wenn man eine falsche Begründung für die Idee gibt. Es gab endlose Diskussionen zwischen uns, in denen ich gesagt habe: „Die Begründung deiner Idee ist doch Unsinn.“ Und dann stellte sich heraus: Die Idee war dennoch richtig. Das heißt, es gibt eine Intuition, die nicht-logisch funktioniert. Der soll man vertrauen. Und man soll sich unbescheidene Ziele setzen.

Sprechen wir über ihre Verschränkungsversuche mit Lichtteilchen. Die waren, wie Sie selbst immer wieder betonen, zunächst völlig zwecklos.

Zeilinger: Ich würde das Wort „zunächst“ streichen. Wir waren tatsächlich überzeugt, das ist sinnlos im Sinne einer Anwendung. Wir haben es nur aus Neugierde gemacht. Wir wollten wissen, ob sich die Welt für einzelne Teilchen wirklich so verrückt verhält, wie es die Theorie vorhersagt.

Es ging um die Frage: Was ist die Natur der Quantenrealität?

Zeilinger: Da verwenden Sie schon ein Wort, dessen Bedeutung ich nicht kenne. Ich weiß nicht, was Quantenrealität bedeutet. Es ging ganz pragmatisch darum, dass zwei Teilchen miteinander verbunden, über große Distanzen miteinander verschränkt sein können. Die Frage war: Ist das wirklich so? Erst danach kann man die Frage stellen, was es bedeutet. Und diese Frage ist bis heute nicht wirklich beantwortet.

Heute weiß man: Es gibt sehr wohl Anwendungen, die Quantentechnologie könnte die Informationsverarbeitung revolutionieren. Wann wurde Ihnen klar, dass sich da eine Pforte zu neuen Technologien öffnet?

Zeilinger: Als erstmals über die Quantenkryptografie – also die Verschlüsselung von Daten mit Hilfe von Quanteneffekten – diskutiert wurde. Das war Mitte der 90er-Jahre. Wobei ich das zu Beginn als rein mathematische Geschichte angesehen habe. Aber als die ersten Experimente liefen, wurden Anwendungen durchaus sichtbar. Ich habe selbst ein Spin-off mit Kollegen gegründet – und mich bald davon zurückgezogen. Denn über Euros und Businesspläne nachzudenken, ist nicht gut für das Nachdenken über fundamentale Fragen der Wissenschaft.

Anton Zeilinger vor seinem Vortrag im Rahmen der Nobel Prize Week, am Donnerstag, 08. Dezember 2022, in der Universität in Stockholm.
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Zeilinger an der Universität in Stockholm

2017 haben sie einen Quantenschlüssel zwischen Wien und Peking über tausende Kilometer per Satellit ausgetauscht – und dann mit ihrem Amtskollegen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaft ein quantengesichertes Videotelefonat geführt. Eine medienwirksame Inszenierung, wie viele andere Ihrer Experimente. Man könnte sagen: Ihr Versuche waren immer auch Pop.

Zeilinger: Ich muss schon sagen, bei weitem nicht alle sind Pop. Sehr viele meiner Arbeiten sind von Pop weit entfernt und fundamental interessant. Aber gelegentlich passiert das eben. Die Quantenteleportation zum Beispiel – im Volksmund auch als „Beamen“ bezeichnet – den Begriff haben jene Autoren gewählt, auf die der theoretische Vorschlag zurückgeht. Ich habe einmal Charly Bennett, den Erstautor, gefragt: Warum habt ihre euch für „Quantenteleportation“ entschieden? Darauf er: Uns ist kein besserer Begriff eingefallen.

Das hat Ihnen auch den Spitznamen „Mr. Beam“ eingebracht – ein Name, den Sie nicht besonders schätzen.

Zeilinger: Zu Beginn mochte ich den Namen nicht. Aber man wird älter. Und mittlerweile sehe ich das als Weg der Kommunikation. Das sagt Menschen etwas, die sonst mit Physik nicht in Kontakt kommen würden. Und insofern ist es positiv.

Sie wurden 1990 an die Uni Innsbruck berufen. Zu einer Zeit also, als der Wissenschaftsstandort Österreich noch einiges aufzuholen hatte. Warum sind Sie damals dennoch aus dem Ausland zurückgekehrt?

Zeilinger: Ich hätte damals tatsächlich die Möglichkeit gehabt, in den USA Karriere zu machen. Und habe mich bewusst für Österreich entschieden. Ich fühle mich hier einfach wohl. Und ich kann auch mit den seltsamen negativen Eigenschaften dieses Landes gut leben, jedes Land hat seine eigenen Probleme. Ich habe Freunde hier und ich wollte auch, dass meine Familie hier lebt. Dazu kommt, dass ich mich in den 80er-Jahren bei vielen Universitäten beworben habe. Auch in Deutschland. Denen war das, was ich mache, zu exotisch. Ich kann an die 20 Unis aufzählen, die heute froh wären, wenn sie sich damals anders entschieden hätten.

Und die Uni Innsbruck hatte ein offenes Ohr für solche „Verrücktheiten“?

Zeilinger: Auch nicht sofort. Aber das Ministerium hat damals den ursprünglichen Berufungsvorschlag an internationale Gutachter geschickt, wie ich erst kürzlich erfahren habe. Und einer hat geschrieben: Es wäre ein gigantischer Fehler, wenn ihr nicht den Zeilinger beruft.

Noch ein Abstecher ins Private: Sie sind leidenschaftlicher Segler und haben am Traunsee ein Boot mit dem Namen „42“. Was hat es damit auf sich?

Zeilinger: Das stammt aus „Per Anhalter durch die Galaxis“. Da gibt es einen Riesencomputer, der die Frage nach dem Universum, dem Leben und dem ganzen Rest beantworten soll. Er rechnet und rechnet – und irgendwann spuckt er die Zahl 42 aus. Niemand weiß, was es bedeutet. Für mich ist mein Boot die Antwort.