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„Nature’s 10“

Ukraine und Klimakrise prägten Wissenschaftsjahr

„Als Kämpferin für den Klimaschutz und die Ukraine“ hat die ukrainische Klimaforscherin Switlana Krakowska laut dem Fachjournal „Nature“ in diesem Jahr eine entscheidende Rolle für die Wissenschaft gespielt. Und auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres reihte das renommierten Magazin in seine Top Ten – für seine Rolle als „Gewissen der Welt“ im Ukraine-Krieg und der Klimakrise.

Switlana Krakowska habe ihr Land auf der internationalen Bühne stark vertreten und aufgezeigt, wie sehr die russische Aggression gegen ihr Heimatland auch mit der Abhängigkeit der Welt von fossilen Energieträgern zusammenhängt, begründet „Nature“ die Aufnahme der ukrainischen Klimaforscherin in die diesjährigen „Nature’s 10“ – eine Liste jener zehn Menschen, die das Wissenschaftsjahr prägten.

Beim Gipfel des Weltklimarates (IPCC) Ende Februar sei Krakowska zur internationalen Fürsprecherin ihres Landes geworden: Während die 195 IPCC-Mitgliedstaaten sich berieten, marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Mehrere ukrainische Delegierte, die von ihren Büros aus an den Videokonferenzen teilgenommen hatten, mussten die Gespräche verlassen, um in Notunterkünften Schutz zu suchen. Beim Abschlussplenum konnte sich die Leiterin der ukrainischen IPCC-Delegation wieder aus ihrer Wohnung in Kyiv zuschalten – und sie nutzte die Gelegenheit.

Nature’s 10 2022 Wissenschaftsjahr, Cover
Nature

„Krieg um fossile Brennstoffe“

In einer leidenschaftlichen Wortmeldung nannte die Klimaforscherin Russlands Invasion einen „Krieg um fossile Brennstoffe“, in dem es um die Abhängigkeit der Menschheit von Erdöl, Erdgas und Kohle gehe. Nach ihrer Erklärung bekundeten Delegationen aus aller Welt ihre Solidarität. Und der Leiter der russischen Delegation sagte sogar, er wolle „im Namen aller Russen für die Unfähigkeit, diesen Konflikt zu verhindern, um Entschuldigung bitten“. Es gebe keine Rechtfertigung für den Angriff auf die Ukraine, so Oleg Anisimow, der zudem seine „enorme Bewunderung“ für die ukrainische Delegation äußerte.

Dass zwischen den Ursachen des vom Menschen verursachten Klimawandels und dem Krieg in der Ukraine ein direkter Zusammenhang bestehe, betonte Krakowska auch im Interview mit science.ORF.at Anfang März: „Russland verdient viel Geld mit dem Export von Erdgas und Erdöl, und mit diesem Geld werden Waffen produziert und das Militär finanziert: Das sind die Panzer und die Soldaten, die wir jetzt in der Ukraine vor unseren Fenstern sehen.“

Sie sei sehr enttäuscht gewesen, dass die Veröffentlichung des IPCC-Berichts im Februar „mit seinen wichtigen Botschaften“ mit den Nachrichten über den Krieg konkurrieren musste, sagte die Leiterin des Labors für Angewandte Klimaforschung am Ukrainischen Institut für Hydrometeorologie damals im Interview.

„Es war eine Ausnahmesituation“

Rückblickend sagte Krakowska nun im Interview mit „Nature“, sie wisse, dass der Klimarat kein politisches Gremium sei und habe ihn nicht untergraben wollen, aber es sei eine Ausnahmesituation gewesen. Die internationale Aufmerksamkeit, die auf ihre Rede vor dem Klimarates folgte, hat für die Forscherin viel verändert. Als „Kämpferin für den Klimaschutz und für die Ukraine“, wie „Nature“ schreibt, nahm sie etwa im Mai bei der diesjährigen Zusammenkunft der European Geophysical Union in Wien und der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos teil.

Svitlana Krakovska, Wolodymyr Selenskyj
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Kurz vor Beginn des Krieges zeichnete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Krakowska für ihre Arbeit aus

Im September leitete sie virtuell eine Veranstaltung zum Wiederaufbau der ukrainischen Wissenschaft bei der UNO-Generalversammlung in New York. Und auch an der Klimakonferenz COP27 in Ägypten nahm Krakowska teil – und rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, der Entschlossenheit der Ukraine im Kampf gegen Russland und gegen die Klimaerwärmung zu folgen.

Vortragshonorare finanzieren Stromgeneratoren

Heute lebt Krakowska mit ihrer Familie immer noch in Kyiv und geht weiter ihrer Arbeit, der Klimaforschung, nach. Immer wieder schlagen Raketen nur wenige Kilometer von ihrem Wohnhaus entfernt ein und auch die Strom- und Wasserzufuhr sei oft unterbrochen, wie sie gegenüber „Nature“ erzählt. Dankbar sei sie für die Mobiltelefonverbindung, auch wenn diese oft schwach sei. Honorare, die die Wissenschaftlerin für Vorträge im Ausland erhält, steckt Krakowska in den Kauf von Stromgeneratoren für Ukrainerinnen und Ukrainer.

Switlana Krakowska, COP27,  17. November 2022, in Sharm el-Sheikh
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Switlana Krakowska (2. v. r.) im November bei der Klimakonferenz COP27

Seit Februar wurden laut „Nature“ 131 ukrainische Universitäten und Hochschulen beschädigt und 22 zerstört, und rund 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine verließen das Land. Für jene, die in im Land geblieben sind, sei die Forschung schwierig geworden, auch weil sie – wie Krakowska im „Nature“-Interview sagt, dabei immer auch „ans Überleben denken müssen“.

Ko Barrett, stellvertretende IPCC-Vorsitzende und Beraterin für Klimawandel bei der US National Oceanic and Atmospheric Administration, hob in „Nature“ Krakowskas Entscheidung hervor, sich im Februar gegenüber dem Klimarat zu Wort zu melden: „Wir sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber wir sind auch Menschen. Es gibt niemanden, der dort steht, wo sie steht, der die gleiche Geschichte erzählen kann“.

Guterres als „Gewissen der Welt“

„Die Geschichten der Menschen, die in Nature’s 10 vorgestellt werden, bieten einzigartige Einblicke in einige der größten Ereignisse in der Wissenschaft während dieses außergewöhnlichen Jahres“, so Rich Monastersky, Chefredakteur bei „Nature“. Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres spielte demnach in diesem Jahr eine herausragende Rolle für die Wissenschaft.

Als „Gewissen der Welt“ setze er sich dafür ein, dass die Nationen Krisen wie die Invasion in der Ukraine und den Klimawandel bewältigten, heißt es zur Begründung des Magazins. Zu seinen Qualitäten gehörten mutige und direkte Äußerungen wie die bei der Weltklimakonferenz in Ägypten: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“ Guterres benenne Fehler, wenn er sie sehe.

Gewürdigt wird mit dem Direktor des „International Centre for Climate Change and Development“ in Dhaka, Saleemul Huq, ein weiterer Klimakrisenmahner. Er habe dabei geholfen, im Rahmen der Verhandlungen bei der COP27 im November den Industriestaaten Zugeständnisse abzuringen, Länder des Globalen Südens für die Verluste durch die Klimaerwärmung zu entschädigen.

Astronomin und Long-Covid-Forscherin in Top Ten

Zu den Top Ten zählt das Fachmagazin den chinesischen Forscher Yunlong Cao, der entscheidend dabei geholfen habe, die Veränderungen des Erregers Sars-CoV-2 besser zu verstehen. Ebenso ausgezeichnet wurde die Wissenschaftlerin Lisa McCorkell, die an Long Covid leidet und die Erforschung dieser Krankheit vorangetrieben habe. Auch die Astronomin Jane Rigby findet sich unter den Top Ten. Sie habe maßgeblich dazu beigetragen, das Weltraumteleskop „James Webb“ ins All zu bekommen.

Genannt wird auch der Chirurg Muhammad Mohiuddin, der mit seinem Team ein genetisch verändertes Schweineherz einem Menschen eingepflanzt hatte. Unter den Top Ten findet sich auch Dimie Ogoina von der Niger Delta University in Amassoma. Er konnte wichtige Informationen liefern, mit denen dem Mpox-Ausbruch entgegengewirkt werden konnte.

“Stellvertretend für wesentliche Entwicklungen“

Weiters habe die Soziologin Alondra Nelson als Interimsdirektorin des „US Office of Science and Technology Policy“ der US-Regierung entscheidend bei der Entwicklung ihrer wissenschaftspolitischen Strategie geholfen. Mit wichtigen Daten über die vermutlichen Entwicklungen, die das umstrittene Kippen des Rechts auf Abtreibungen durch das Obersten Gerichts der USA mit sich bringen wird, habe zudem die US-Demographin Greene Foster aufwarten können.

Forschung finde üblicherweise in oft großen Teams statt, betont das Magazin „Nature“. Die ausgewählten Persönlichkeiten stünden stellvertretend für wesentliche Entwicklungen, die es 2022 in der Wissenschaft gegeben habe.